14 Titelthema GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz (GKV-SVSG) Schluss mit maßvoll Es sieht fast so aus, als hätte die Staatsgewalt nur darauf gewartet, dass die gemeinsame Selbstverwaltung in der GKV einen Fehler macht, um sie wieder richtig an die Kandare nehmen zu können. Sind die Bekenntnisse des Bundesgesundheitsministers zur Selbstverwaltung nur ein strategisches Ablenkungsmanöver? Geht es im geplanten GKV-SVSG weniger um die Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung als vielmehr um weitreichendere staatliche Durchgriffsmöglichkeiten? Die Standespolitiker sind sich einig: Die geplanten Einschnitte in die Selbstverwaltung, wie sie der jetzt veröffentlichte Referentenentwurf vorsieht, sind weitgehend unakzeptabel. Es war nicht das erste Mal, dass Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe ein „klares Bekenntnis zur Selbstverwaltung“ ablegte, als er Ende Mai auf dem 119. Deutschen Ärztetag in Hamburg sprach. Schon mehrfach hatte er seine Überzeugung ausgedrückt, „dass sie weit besser dafür geeignet ist, patientennahe Entscheidungen auf medizinischer Ebene zu treffen, als ein rein privatwirtschafliches, ein von Krankenkassen oder von der Politik geführtes System“. Auf den ersten Blick scheint auch der Referentenentwurf des GKV- Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes (GKV-SVSG), den das BMG Ende September vorlegte, diesem Grundgedanken treu zu bleiben: Die Selbstverwaltung wird in der Begründung als „tragendes Prinzip der gesetzlichen Krankenversicherung“ bezeichnet, das praxisnahe und eigenverantwortliche Entscheidungen sichere. Es klingt zunächst auch annehmbar, dass institutionsinterne Kontrollmechanismen gestärkt und die Verwaltung durch das GKV-SVSG transparenter werden sollen. Mit den vorgesehenen Verschärfungen zur externen Kontrolle verscherzt sich Gröhe allerdings die Zustimmung der gesamten Selbstverwaltungsebene. Reaktionen. „Aus unserer Sicht ist es völlig in Ordnung, wenn die Vertreterversammlungen gestärkt werden“, stellt Dr. Ute Maier, Vorstandsvorsitzende der KZV BW, klar. Kritisch sehe man dagegen, dass der Gesetzentwurf neue, ja bedrohliche Dimensionen für die externe Kontrolle und Einflussnahme eröffne. „Wir werden entschieden Widerstand leisten, wenn die Selbstverwaltung durch die Aufsicht praktisch ausgehebelt wird.“ Beim Hineinregieren des Staates in fachliche Angelegenheiten würde die Grenze zwischen Rechtsaufsicht und Fachaufsicht eindeutig überschritten. Eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung und Staatsferne sind auch für Prof. Josef Hecken, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), wesentliche Merkmale der Selbstverwaltung, wie er auf der KZBV-Vertreterversammlung im Juli sagte (s. ZBW 8-9/2016). Und die gilt es zu verteidigen. Als Chef des wichtigsten Gremiums der gemeinsamen Selbstverwaltung warb er dafür, Geschlossenheit zu zeigen, und sich auf Bund- und Länderebene lautstark gegen das geplante Gesetz zu wehren. Nach seiner Einschätzung sind die Kontrollmöglichkeiten durch das BMG auch nach bisheriger Rechtslage ausreichend: „Selbstbereicherung, Misswirtschaft oder Veruntreuung können effektiv aufgedeckt und bestraft werden, wenn die Aufsicht die vorhandenen Möglichkeiten konsequent nutzt“. Daraus lässt sich folgern: Wäre das BMG seiner Aufsichtspflicht ordnungsgemäß nachgekommen, hätte es keiner neuen Gesetzesinitiative bedurft. Offensichtlich hat das Ministerium jahrelang den Turbulenzen Gegenspieler. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe nahm finanzielle Unregelmäßigkeiten in der KBV unter dem damaligen Vorsitz von Dr. Andreas Köhler (r.) zum Anlass, das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz auf den Weg zu bringen. Fotos: BMG/dpa ZBW 11/2016 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 15 bei der KBV (s. Kasten) zugeschaut, ohne wirklich tätig zu werden – und dann die verfahrene Situation zum Anlass genommen, das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz auf den Weg zu bringen. Hindernisse. Gröhe sieht das selbstredend anders: Mit dem Gesetz werde die Selbstverwaltung „vor Selbstblockaden geschützt“, sagte er gegenüber den Funke-Medien. Der Text des Referentenentwurfs offenbart aber eine andere Zielrichtung: Dem BMG geht es um die Lösung eigener Blockaden. Es entledigt sich dem „Grundsatz der maßvollen Rechtsaufsicht“, der in der Praxis häufig indirekt verhindert, „dass die Aufsichtsbehörde bei Rechtsverstößen zielgerichtet und schnell einschreiten und weiteren Fehlentwicklungen bestimmt entgegentreten kann“, wie es dort wörtlich heißt. Dies wird durch die „Weiterentwicklung“ der Regelungen erreicht. Wird das Gesetz verabschiedet, kann das BMG zum Beispiel auch bei unbestimmten Begriffen wie „Wirtschaftlichkeit“ oder „Sparsamkeit“ eindeutige Inhaltsbestimmungen vornehmen – und dadurch den bislang bestehenden Bewertungsund Handlungsspielraum einengen. Die Autoren des Referentenentwurfs geben die „ausufernde Auslegung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit“ als Grund für die Neuregelung an. Bisherige Befugnisse der Aufsicht seien nicht ausreichend in der Lage, „die Anfänge von Misswirtschaft zu unterbinden“. Änderungen. Es ist offensichtlich, dass die KBV bei dieser Formulierung sozusagen Pate gestanden hat. Einmal am Werk, bedachten die Autoren aber gleich die ganze Selbstverwaltungsebene mit Neuregelungen, was andere Betroffene nicht freut: „Gerade weil es einen konkreten Anlass gibt, sollte die Politik differenziert vorgehen und nicht alle Organisationen gleichsetzen, die der Rechtsaufsicht des Bundesgesundheitsministeriums unterstehen“, forderte Ann Marini vom GKV- Spitzenverband. Schließlich handele es sich „um ganz verschieden organisierte Institutionen mit keinesfalls identischen Aufgaben“. Die Koalition will aber das Aufsichtsrecht für die fünf Bundesorganisationen vereinheitlichen. Ärzte und Zahnärzte, Krankenkassen, der ihnen unterstellte Medizinische Dienst und der G-BA werden gleichermaßen einbezogen. Die Liste der geplanten Eingriffe ist lang: Es geht u. a. um Informations-, Berichts- und Dokumentationspflichten, Vorgaben zu Rücklagen und Betriebsmitteln, Beteiligungen sowie die Verpflichtung zur Einrichtung interner Kontrollmechanismen, mit der Maßgabe, „in Fällen festgestellter Verstöße auch an die Aufsicht zu berichten“. Auf die Vertreterversammlungen kommt einiges zu, wird der Entwurf realisiert: Die VV, aber auch jedes Mitglied, kann dann vom Vorstand jederzeit Rechenschaft verlangen. Die Begründung von Beschlüssen muss nachvollziehbar sein. Abstimmungen sind grundsätzlich nicht geheim abzuhalten. Eine namentliche Abstimmung ist vorgesehen, um jedes Mitglied für Schäden haftbar machen zu können. Sitzungen sind grundsätzlich öffentlich. VV-Vorsitzende können mit einfacher Mehrheit abgewählt werden. Zur Wahl der Vorstandsvorsitzenden der KBV sowie der anderen Spitzenverbände soll die Zwei-Drittel- Mehrheit erforderlich werden, um „Akzeptanz und Legitimation“ zu erhöhen. Anordnungen der Rechtsaufsicht sollen schneller umgesetzt werden, indem Klagen keine aufschiebende Wirkung mehr entfalten. Für die Vollstreckung von Aufsichtsverfügungen sollen Zwangsgelder bis 10 Millionen Euro (bisher 25.000 Euro) zugunsten des Gesundheitsfonds möglich werden. Jahresabschlüsse sind zu veröffentlichen und mindestens alle fünf Jahre extern prüfen zu lassen. Die Beschneidung von Haushaltsrechten durch Genehmigungsvorbehalt ist jedoch vom Tisch. Druck. Ein Beispiel von vielen, wie sich die Aushebelung der Selbstverwaltung im Gesetzentwurf liest, bietet § 78 a (2) SGB V, wo „Aufsichtsmittel in besonderen Fällen bei den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen“ abgehandelt werden: „Ist zur Umsetzung von gesetzlichen Vorschriften oder aufsichtsrechtlichen Verfügungen ein Beschluss der Turbulenzen bei der KBV Seit Monaten macht die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) immer wieder Schlagzeilen, in denen es um finanzielle Unregelmäßigkeiten und dubiose Immobiliengeschäfte geht. Die meisten Vorgänge fallen in die Amtszeit von Dr. Andreas Köhler, bis Februar 2014 Vorstandsvorsitzender. So habe sich Köhler nach einem Urteil des Berliner Landgerichts „ohne Rechtsgrund bereichert“ und müsse Mietkostenzuschüsse in Höhe von 96.000 Euro plus Zinsen an die KBV zurückzahlen, berichtete die Ärztezeitung. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hatte ihn Ende 2015 angezeigt. Um Millionen geht es in einer zweiten Anzeige Gröhes, die einen Immobiliendeal betrifft: Die KBV, die 2004 von Köln nach Berlin umzog, hatte vom BMG keine Genehmigung zum Bau einer Repräsentanz in der Hauptstadt bekommen. Die KBV ging daraufhin eine Kooperation mit der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank) ein, die im Auftrag der Ärzteorganisation das Bürogebäude errichten sollte, um es dann an die KBV zu vermieten. Zu diesem Zweck gründete die Bank die APO KG. Als die Immobiliengesellschaft in finanzielle Schieflage geriet, half der Ärzteverband durch Mieterdarlehen aus. 2010 übernahm die KBV die überschuldete APO KG fast komplett, ohne die nötige Zustimmung des BMG als Aufsichtsbehörde einzuholen, heißt es in einer Pressemitteilung des Deutschen Bundestags, die auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zurückgeht. Im Zusammenhang mit dem Immobiliendeal ist das BMG seinerseits wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht in die Kritik geraten. Vertreterversammlung erforderlich, kann die Aufsichtsbehörde anordnen, dass dieser innerhalb einer bestimmten Frist gefasst wird. Wird der erforderliche Beschluss innerhalb der Frist nicht gefasst, kann die Aufsichtsbehörde den Beschluss der Vertreterversammlung ersetzen.“ So einfach kann Regieren sein. » schildhauer@meduco.de www.zahnaerzteblatt.de ZBW 11/2016
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