10 Titelthema Gemeinsamer Bundesausschuss. Der G-BA ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland. Staatsmedizin: „Das niederländische Beispiel scheint den großen, letzten Nagel in den Sarg der Beveridge-Gesundheitssysteme zu treiben – und was wir daraus lernen, ist klar: Lasst Politiker und andere Amateure nicht die operativen Entscheidungen treffen, wenn es um die wahrscheinlich komplexeste Branche der Welt geht: das Gesundheitswesen.“ Beveridge-Systeme, so ergänzen die Autoren, scheinen nur in Ländern mit geringer Population zu funktionieren, etwa in Island, Dänemark und Norwegen. Innere Struktur. Auch für Deutschland gilt: Dass unser Gesundheitswesen leistungsmäßig im vorderen Bereich rangiert und mit vorbildlicher Verbraucherorientierung und breitem Behandlungsangebot punkten kann, dürfte weniger den „Amateuren“ als vielmehr dem implementierten Sachverstand zu verdanken sein: den Selbstverwaltungsorganen in der GKV. Sie stehen intermediär zwischen dem Staat und den einzelnen Nachfragern bzw. Anbietern von Gesundheitsleistungen und befinden sich damit genau an der Schnittstelle unterschiedlicher Interessen – oft genug im Hotspot aufeinanderprallender Lobbymeinungen. Aus gesundheitsökonomischer Sicht werden gesundheitspolitische Entscheidungen hierzulande auf drei Ebenen getroffen: Auf der „Makroebene“ agieren staatliche, internationale und supranationale Entscheidungsträger. Bundestag und Bundesregierung, aber auch die Rechtsprechung spielen hier zentrale Rollen. Sie bestimmen die Regeln für die institutionellen Strukturen der Versorgung, die Finanzierung von Gesundheitsleistungen und die Ressourcenallokation. Die „Mesoebene“ besteht im Wesentlichen aus freien und korporatistischen Verbänden und stellt die Selbstverwaltung, ein Charakteristikum des deutschen Gesundheitswesens. Auf der „Mi- General government Social security Private out-of-pocket Private insurance Other 100 90 6 5 2 1 3 2 5 5 14 4 1 9 5 2 6 4 15 13 4 9 13 5 7 3 3 11 6 4 20 15 14 15 15 10 14 12 18 13 7 % of current health expenditure 80 70 60 50 40 30 20 10 0 80 7 11 74 84 78 73 74 84 83 10 6 9 28 53 8 72 75 4 17 18 22 22 13 17 19 23 19 24 13 14 14 5 45 36 58 66 67 70 68 77 67 61 37 31 20 11 11 7 7 1 68 69 3 24 61 10 27 31 20 26 28 35 17 23 37 45 1 33 12 47 47 48 42 22 16 11 68 67 65 56 Finanzierungsvergleich. In der Gesundheitsstatistik 2015 hat die OECD die jeweilige Finanzierungsstruktur des Gesundheitswesens ihrer Mitgliedsstaaten aufgeschlüsselt. Dänemark, Schweden und UK beispielsweise finanzieren ihr Gesundheitswesen zum Großteil aus der Staatskasse, während in den USA auch die Private Versicherung einen beträchtlichen Teil abdeckt. Erhebungsjahr war 2013 (Quelle: OECD Health Statistics 2015). ZBW 11/2016 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 11 kroebene“ befinden sich die individuellen Akteure, etwa die niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte, die Apotheken, Krankenkassen und Versicherten. Verantwortlichkeiten. Laut Grundgesetz ist der Staat zur Daseinsvorsorge für seine Bürger verpflichtet, was auch die Absicherung im Krankheitsfall beinhaltet. Damit ist er oberste und letztentscheidende Instanz für die Regulierung des deutschen Gesundheitssystems. Er definiert den allgemeinen Ordnungsrahmen, während er die Detailsteuerung an die Selbstverwaltung delegiert: „An der Wahrnehmung der sozialen Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung sollen diejenigen Personen gemeinsam und eigenverantwortlich mitwirken, die als Versicherte, Beitragszahler und Leistungserbringer betroffen sind“, erläutert das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf seiner Website. Dazu zählt es die an der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Zahnärzte, die zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben in KVen und KZVen organisiert sind. Nach § 77 SGB V sind dies Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Das BMG stellt nach Maßgabe von § 78 SGB V ausdrücklich klar: „Die staatliche Aufsicht beschränkt sich auf die Beachtung von Gesetz und Recht.“ Soweit die Theorie. Die Praxis sieht etwas anders aus: „Obgleich solchermaßen korporatistische Steuerung Ausdruck einer ordnungspolitischen Wertehaltung ist, die dem Subsidiaritätsprinzip hohes Gewicht beimisst und von einem ‚Vorrang der Selbstverwaltung‘ ausgeht, interveniert das zuständige Ministerium häufig auch im Detail“, wie Gesundheitsökonom Prof. Dr. Jürgen Wasem et al. in „Medizinmanagement“ (Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2013) schreiben. Als Beispiele führen die Autoren unter anderem die Regelung der Arztausbildung, die Festlegung des einheitlichen Beitragssatzes in der GKV und die Festlegung bundesweit geltender Vertragsverletzungsverfahren Die Compliance der EU-Mitgliedstaaten bei der Realisation des europäischen Binnenmarkts lässt offenbar zu wünschen übrig. Mitte letzten Jahres waren etwa 1.090 Vertragsverletzungsverfahren anhängig, und die nationalen Behörden benötigten durchschnittlich fast 30 Monate, um Verfahren abzuschließen, wie die Europäische Kommission beklagt. Durch ein Vertragsverletzungsverfahren wird geklärt, ob ein Mitgliedstaat gegen EU- Recht verstoßen hat. Nach Artikel 258 bis 260 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) versendet die EU-Kommission zunächst ein Mahnschreiben. Bei unzureichender Reaktion kann diese vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen, der entscheidet, ob eine Vertragsverletzung vorliegt und welche Maßnahmen der Mitgliedstaat ergreifen muss, um diese zu beheben. Führt dies aus Sicht der EU-Kommission nicht zum gewünschten Erfolg, können in einem zweiten Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH Geldstrafen verhängt werden. Vorgaben zur vertragsärztlichen Bedarfsplanung an. Für die Organe der Selbstverwaltung bedeutet das Durchgreifen der Staatsgewalt eine Beschneidung der eigenen Entscheidungsfreiheit. Blick zurück. Klagen über die Einmischung des Staates in Angelegenheiten der Selbstverwaltung gibt es nicht erst seit die Eckpunkte des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes bekannt sind (s. dazu auch Artikel S. 14 f.). „Die Selbstverwaltung hat keine Spielräume mehr – keine Spielräume im Gestalten und auch keine Spielräume im Verwalten. Die Spielräume sind immer enger gemacht durch die Gesetzgebung“, beschwerte sich beispielsweise vor zehn Jahren der damalige KBV- Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Köhler – genau derjenige, der aus heutiger Sicht den Anstoß zu einer möglichen neuerlichen Verschärfung der Gesetzeslage geliefert hat. „Wo können wir eigentlich noch eigenständig handeln?“ Zu den wesentlichen Aufgaben der ärztlichen und zahnärztlichen Selbstverwaltung gehören die Sicherstellung der Versorgung, die Honorarverteilung und die Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen sowie die Mitwirkung in verschiedenen Gremien, etwa dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Die Selbstverwaltungen müssen die politisch beschlossenen Reformen der Makroebene umsetzen, aber gleichzeitig die Interessen ihrer Mitglieder auf der Mikroebene wahren – oft keine leichte Aufgabe, so auch 2006. Denn angesichts der allseits beklagten „Mangelverwaltung“ damals, richtete sich der Protest der aufgebrachten Ärzte auch gegen die eigene Körperschaft. Rollenwechsel. „Wir sind immer mehr in eine Sanktionierungs- und bürokratische Drangsalierungsbehörde gewechselt. So empfinden uns die Ärzte“, erklärte der damalige KBV-Chef in einem Beitrag des Deutschlandfunks. „Und dann muss man sich auch mal die Frage stellen dürfen: Sind wir denn noch tatsächlich Interessenvertreter unserer eigenen Mitglieder?“ Gleichzeitig dachten Politiker aller Couleur laut über die Abschaffung der Selbstverwaltung nach, was die Vermittlung zwischen den Ebenen nicht erleichterte. „Ich glaube nicht, dass die Qualität der Versorgung zusammenbricht und auch die Sicherstellung gefährdet ist, wenn wir keine Kassenärztliche Vereinigung und auch keine gemeinsame Selbstverwaltung mehr haben“, sagte zum Beispiel der damalige BMG-Abteilungsleiter Franz Knieps, heute Chef des Betriebskassenverbands, im selben Rundfunkbeitrag. „Diese Form der Selbstverwaltung kennt nur Deutschland.“ Neue Player. Heute ist die Abschaffung der Selbstverwaltung www.zahnaerzteblatt.de ZBW 11/2016
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