34 Prophylaxe LAGZ-Forum 2016 im Kloster Schöntal Strategien zur frühkindlichen Prophylaxe Jedes Jahr kurz vor den Sommerferien bietet die Landesarbeitsgemeinschaft für Zahngesundheit Baden-Württemberg e. V. (LAGZ) allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der 37 regionalen Arbeitsgemeinschaften Zahngesundheit eine hochkarätige Fortbildungsveranstaltung, die sich wegen ihrer aktuellen Thematik und des starken Praxisbezugs stets reger Nachfrage erfreut. In diesem Jahr stand beim LAGZ-Forum, das am 21. und 22. Juli im Kloster Schöntal stattfand, die Zahn- und Mundgesundheitsförderung von Kindern in Kitas und Tagespflege im Mittelpunkt. Dabei gab es wertvolle Empfehlungen, wie man Kindern unter drei Jahren gruppenprophylaktisch am besten begegnet. Gemeinsames Ziel. Johannes Clausen, Geschäftsführer der LAGZ, heißt die rund 150 Fortbildungsgäste im Kloster Schöntal willkommen und verkündet das geplante Tagungsprogramm. Da immer mehr Kinder aufgrund der Berufstätigkeit ihrer Eltern (und einer entsprechenden Gesetzgebung, die Kindern ab dem Lebensalter von einem Jahr einen Kita-Platz garantiert) bereits in einem sehr jungen Alter Kindertageseinrichtungen besuchen, wird die Mundgesundheitsförderung vor neue Aufgaben gestellt, wenn das Ziel, frühkindliche Karies zu vermeiden, umgesetzt werden soll. Denn Kinder unter drei Jahren, insbesondere die ganz Kleinen, sind sehr schwer zu erreichen, wenn die vertraute Bezugsperson nicht in der Nähe ist. Lernen ist in dieser Altersgruppe stark mit Emotionen verknüpft und in angstvollen Situationen können die ganz Kleinen nichts aufnehmen bzw. verinnerlichen. Nur mit der richtigen Psychologie und Pädagogik kann man erfolgreich mit Kleinstkindern arbeiten. Somit bedeutet die Gruppenprophylaxe für Kinder unter drei Jahren eine Neuorientierung der Prophylaxefachkräfte in ihrem bislang gewohnten Handeln. Das diesjährige LAGZ-Forum wollte dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Foto: Baars Pädagogik der frühen Kindheit. Die LAGZ konnte Frau Prof. Dr. Christina Jasmund, Lehrstuhlinhaberin für Pädagogik der frühen Kindheit an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach, als Expertin für die Fortbildungsveranstaltung gewinnen. Prof. Jasmund hatte im Jahr 2014 von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ) e.V. den Auftrag erhalten, die Gestaltungsmöglichkeiten der Zahnund Mundgesundheitsförderung für Kinder unter drei Jahren in Kindertageseinrichtungen und Tagespflege aus kindeswissenschaftlicher Sicht zu beleuchten und eine Expertise zu erstellen. Diese Expertise war die Grundlage für die aktuellen erweiterten Empfehlungen der DAJ zur Prävention frühkindlicher Karies, die in der Broschüre „Frühkindliche Karies: zentrale Inhalte der Gruppenprophylaxe für unter 3-jährige Kinder“ festgehalten sind. Im Kloster Schöntal sollten die wichtigsten Empfehlungen den Fortbildungsteilnehmern verinnerlicht werden. Dazu wurde das Auditorium in zwei Gruppen aufgeteilt, um an beiden Fortbildungstagen abwechselnd Theorie und Praxis kennenzulernen. Prof. Jasmund übermittelte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern den theoretischen Teil der Fortbildung, während parallel dazu die wichtigsten Kernbotschaften zum Umgang mit Kindern unter drei Jahren in drei Workshops unter der Leitung von Sonja Alberti, Alexandra Ferranti und Regina Nuss erarbeitet wurden. Kleinkinder im Fokus. Die Gruppenprophylaxe für unter 3-Jährige unterscheidet sich deutlich von den Ansätzen für 3- bis 6-jährige Kinder. Im Zentrum der Aktivitäten steht nicht die Arbeit mit dem Kind, sondern mit den Teams in der Kita sowie den Eltern. Denn bei den Kleinsten läuft das Lernen entwicklungsbedingt völlig anders ab als bei älteren Kindern. Der Vortrag von Prof. Jasmund führte deswegen die Fortbildungsteilnehmer an die Grundlagen für frühkindliches Erkunden und Erlernen heran. Bei der frühkindlichen Entwicklung stehen die Ich-Werdung und die Welt-Aneignung an erster Stelle. Zu keiner Zeit wird mehr gelernt als in den ersten Lebensjahren. Emotionen sind dabei bedeutsame Einflussfaktoren auf das Lernen und Verhalten. Wichtig für erfolgreiches ZBW 10/2016 www.zahnaerzteblatt.de
Prophylaxe 35 Gemeinsam für Kleinkinder. Prof. Dr. Christina Jasmund kennt sich bei Prävention frühkindlicher Karies bestens aus. Foto: Baars Gemeinsames Erarbeiten. In den Workshops werden Erfahrungen ausgetauscht und Diskussionen durchgeführt, um selbst eine kindgerechte Strategie zur Gruppenprophylaxe für Kinder unter drei Jahren erarbeiten zu können. Foto: Richter Lernen ist die Bindung an die engste Bezugsperson. Diese „safe base“, die sichere Basis, die meist die Mutter bietet, gibt den Kindern das nötige Vertrauen, die Welt zu erkunden. Gleichzeitig schaut das Kind von ihrer Bezugsperson alles ab und lernt deren Verhaltensweisen. Das, was die Mama kann und tut, möchte das Kind auch können und tun. Somit sind die engen Bezugspersonen der eigentliche Schlüssel, um gesundheitsrelevantes Verhalten zu erlernen. Prof. Jasmund machte deutlich, dass die Prophylaxefachkräfte noch keine Bezugspersonen für die Kleinsten sein können und daher auch kein Verhaltensmodell darstellen. Kognitive und mediale Vermittlungsstrategien sind auch nicht geeignet, außerdem können den Kleinsten auch noch keine feinmotorischen Übungen zur Putztechnik beigebracht werden. Daraus leitet sich logischerweise ab, dass sich die Gruppenprophylaxe bei dieser Altersgruppe nicht auf das Kind direkt konzentriert, sondern über das Kita-Team und die Eltern laufen muss. Lernorte für die Gesundheit. Die Familie des Kindes spielt beim Sozialisationsprozess der Kinder die größte Rolle, denn die Familie ist der wichtigste Lernort der Kinder. Leider ist das Gesundheitsbewusstsein nicht in allen Familien gleich stark ausgeprägt und so wachsen 20 Prozent der Kinder nicht gesund auf. Prof. Jasmund riet, diese Kinder besonders im Blickfeld zu haben, wenn die Zahngesundheit verbessert werden soll, denn diese Gruppe ist ge- radezu prädestiniert für eine spätere Polarisation des Kariesbefalls. Hier ist somit die Kita gefragt, sich intensiv für die Gesundheitsvorsorge der Kinder einzusetzen. Bei einigen Kitas beobachtet man derzeit genau das Gegenteil: Das Zähneputzen wird aus Zeit- oder Hygienegründen wieder abgeschafft. Damit machen sich die Kitas im Grunde strafbar, denn sie haben einen gesetzlichen Auftrag zur Gesundheitsförderung ihrer Schützlinge. Durch den verschärften §8a des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, wo der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung verankert ist, gibt es sogar einen Ansatzpunkt, die Zahnpflege in Kitas durchzusetzen. Doch bevor dieser Hilfeknopf gedrückt wird, sollte den Erzieherinnen deutlich gemacht werden, dass die Kitas die idealen Lernorte für die Gesundheitsförderung sind und die Erzieherinnen als Lernmodelle einen Entwicklungsprozess anstoßen können. Prof. Jasmund verdeutlichte dabei noch einmal, dass es wichtig sei, Eltern und Erzieherinnen gleichermaßen als Partner für die Zahngesundheitsförderung zu gewinnen, denn nur ein gemeinsames Netzwerk böte die größten Chancen, eine positive Entwicklung voranzutreiben. Gruppenarbeit in Workshops. Ziel der Workshops war es, gemeinsam eine entwicklungsgerechte und kindorientierte Umsetzung der Gruppenprophylaxe für Kinder unter 3 Jahren zu erarbeiten. Besonders wichtig war dabei, sich den Gelingensbedingungen für eine erfolgreiche Gruppenprophylaxe mit sehr jungen Kindern bewusst zu werden und selbst zu gestalten. Auch die eigene Rolle als Prophylaxefachkraft mit Vorbildfunktion in der Kita sollte herausgearbeitet werden. Dies gelang in allen drei Workshops hervorragend, weil die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer bereits über hervorragende Erfahrungen mit kleinen Kindern verfügen, die sie in der Gruppenarbeit entsprechend einsetzen konnten. Gerade durch den Erfahrungsaustausch innerhalb der Workshops sowie der Bestätigung, vieles in der Arbeit mit Kleinkindern bereits richtig zu machen, gab den Mitwirkenden viel Selbstbestätigung und Motivation mit auf den Weg. Miteinander im Dialog. Zum Abschluss des Fortbildungsforums bekamen alle Mitwirkenden noch die Gelegenheit, Wünsche an die LAGZ- Geschäftsführung zu richten, Fragen an die Teamplayer der LAGZ zu stellen und miteinander zu diskutieren. Es stand z. B. Dr. Anne Würz vom Ministerium für Soziales und Integration für Fragen zur Verfügung, ebenso waren Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen zugegen. Diese positive Kommunikationskultur innerhalb der LAGZ trägt viel dazu bei, das Zusammengehörigkeitsgefühl aller an der Gruppenprophylaxe Beteiligten zu stärken und sie in ihrer Arbeit zu motivieren. Gerade das Kloster Schöntal bietet jedes Jahr aufs Neue die Gelegenheit, mit Konzentration Themen zu erarbeiten, die beim alltäglichen Einsatz im Sinne der Gruppenprophylaxe hilfreich sind. » claudia.richter@izz-online.de www.zahnaerzteblatt.de ZBW 10/2016
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