10 Titelthema ZBW-Gespräch mit Dr. Guido Elsäßer Das ist ein großer Erfolg „Endlich gibt es eine echte Verbesserung im Bereich der präventiven Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen“, freut sich Dr. Elsäßer, Referent für Behindertenzahnheilkunde der LZK BW und Vorstandsmitglied der AG Zahnmedizin für Menschen mit Behinderungen oder bes. med. Unterstützungsbedarf (ZMB) der DGZMK. Wie diese Verbesserungen konkret aussehen und was Dr. Elsäßer gerne noch umgesetzt gesehen hätte, hat er uns im ZBW-Gespräch berichtet. ZBW: Für wen gelten die neuen präventiven Leistungen nach § 22 a SGB V und um welche präventiven Leistungen handelt es sich konkret? Dr. Elsäßer: Ab 1. Juli 2018 finanzieren die gesetzlichen Krankenkassen für Pflegebedürftige und neu auch für Menschen mit Behinderungen zahnärztliche präventive Leistungen unabhängig vom Ort, wo diese erbracht werden. Art und Umfang der Leistungen werden in der Richtlinie zum § 22a SGB V geregelt, die im Oktober 2017 durch den Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossen wurde. Anspruchsberechtigt sind Pflegebedürftige, die einen Pflegegrad (1-5) entsprechend § 15b SGB XI haben. Pflegebedürftigkeit wird durch den MDK festgestellt. Menschen mit Behinderungen sind dann anspruchsberechtigt, wenn sie Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII beziehen. Das betrifft laut Eingliederungs-Verordnung körperlich wesentlich behinderte Menschen, geistig wesentlich behinderte Menschen und seelisch wesentlich behinderte Menschen. Unter seelischen Störungen, die eine wesentliche Einschränkung zur Folge haben, werden u. a. Engagiert. Mit seiner Fachkompetenz ist Dr. Guido Elsäßer eine unentbehrliche Stütze im Arbeitskreis Alterszahnheilkunde und Behindertenbehandlung der LZK BW. Psychosen, Suchtkrankheiten, Neurosen und Persönlichkeitsstörungen verstanden. Über Leistungen der Eingliederungshilfe entscheidet das zuständige Sozialamt auf Kreis- bzw. Stadtebene. Dabei muss es nicht nur die Behinderungen und deren Folgen berücksichtigen, sondern auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers. Die Eingliederungshilfe Der Beratungs- und Aufklärungsbedarf ist bei der Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung enorm. ist zurzeit noch eine Sozialleistung nach dem SGB XII (Sozialhilfe). Das Durchschnittsalter der Empfänger von Eingliederungshilfe beträgt etwa 35 Jahre. Die Erhebung eines Mundgesundheitsstatus soll die Beurteilung des Pflegezustands der Zähne, des Zahnfleischs, der Mundschleimhäute und des ggf. vorhandenen Zahnersatzes umfassen und dient als Grundlage eines auf einem verbindlichen Dokumentationsblatt zu erstellenden individuellen Mundgesundheitsplanes. Schließlich soll der Patient und/oder eine Unterstützungsperson, z. B. ein Heil erziehungspfleger, ein Altenpfleger oder pflegende Angehörige über die Bedeutung der Mundhygiene und über Maßnahmen zu deren Erhaltung aufgeklärt werden. Weiterhin darf nun die Entfernung harter Zahnbeläge halbjährlich abgerechnet werden. Wie bewerten Sie das Erreichte, was ist positiv? Aus Sicht des Kassenzahnarztes gibt es endlich eine echte Verbesserung im Bereich der präventiven Maßnahmen für diese Patientengruppe. Bisher waren die Neuerungen auf Besuche in Heimen oder zu Hause fokussiert. Auch die Kooperationsverträge nützen nur Pflegebedürftigen, da die Verträge allein mit stationären Pflegeheimen (gemäß § 71(2) SGB XI) abgeschlossen werden können, aber nicht mit Behindertenwohneinrichtungen. Ab jetzt haben auch mobile Menschen mit Behinderungen oder/und Pflegebedarf, die in die Praxen kommen können, Anspruch auf zusätzliche präventive Leistungen. Das ist ein großer Erfolg, denn die großen Behindertenwohneinrichtungen, wo mehrere hundert Menschen leben, werden im Sinne der UN- Behindertenrechtskonvention verkleinert und viele neue kleine Wohneinheiten entstehen verstreut über das Land. Erlauben Sie mir ein typisches Beispiel: Ein junger Mann mit einer moderaten ZBW 6/2018 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 11 geistigen Behinderung wohnt in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft und geht täglich seiner Arbeit in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen nach. Er ist nicht pflegebedürftig und auch nicht immobil. Mit den neuen Leistungen hat er endlich Anspruch auf zusätzliche präventive Maßnahmen. Das ist gut so. Denn seine Lebenserwartung entspricht der der Allgemeinbevölkerung, seine Ernährungsweise entspricht der der Allgemeinbevölkerung und er lacht genauso gern wie alle anderen. Weil er wegen seiner geistigen Behinderung aber nur bedingt zu einer eigenverantwortlichen und ausreichenden Zahnpflege in der Lage ist, benötigt er Unterstützung, um seine Zähne dauerhaft gesund zu erhalten: täglich zu Hause durch Pflege- und Betreuungspersonal und in der Zahnarztpraxis wenigstens halbjährlich durch uns und unsere Mitarbeiterinnen. Mit den neuen Leistungen können wir die Patienten und die Pflegepersonen regelmäßig aufklären, instruieren und motivieren. Fortbildungsveranstaltungen für Pflegepersonal und pflegende Angehörige sind wichtig, aber können nicht die individuelle Beratung und die gemeinsame Erarbeitung eines Mundhygieneplanes direkt mit und am Patienten ersetzen. Dass nun auch halbjährlich wenigstens die harten Zahnbeläge entfernt werden können, ist ebenfalls sehr positiv. Wenn man aber sieht, dass sehr viele junge Menschen mit Behinderungen noch vollbezahnt oder mit festsitzendem Zahnersatz versorgt sind, hält sich die Freude in Grenzen, da die Bewertung mit 18 BEMA- Punkten gleichgeblieben ist und damit den zeitlichen und personellen Mehraufwand bei der Behandlung von Patienten mit Behinderungen bei weitem nicht abdeckt. Da es sich bei den neuen Leistungen teilweise um delegierbare Leistungen handelt, müssen wir unbedingt auch unsere Mitarbeiterinnen schulen. Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen weiterhin im IP-Programm bleiben und die neuen Positionen zusätzlich, aber an anderen Tagen, erbracht werden können. Auch die Voraussetzungen für die Behandlung von Parodontopathien wurden nun für Menschen mit eingeschränkter Selbstverantwortung erleichtert. Die PAR- Richtlinien setzen eine Mitwirkung der Patienten voraus. Dies können viele Menschen mit geistiger Behinderung nicht leisten. Eine Parodontalbehandlung war somit nicht als Kassenleistung abrechenbar bzw. man setzt sich als Kassenzahnarzt einem hohen Regressrisiko aus, wenn man es doch tut. Jetzt erfüllt die neue, oben beschriebene individuelle Mundgesundheitsaufklärung, auch wenn sie sich an Pflege- oder Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen weiterhin im IP- Programm bleiben und die neuen Positionen zusätzlich, aber an anderen Tagen, erbracht werden können. Unterstützungspersonen richtet, die Voraussetzungen für die Behandlung von Parodontopathien im Hinblick auf die bestehenden Mitwirkungspflichten. Das ist für Menschen mit Behinderungen und deren behandelnden Zahnärzte eine sehr gute Nachricht, da sie die Parodontalbehandlung aus dieser vertragsrechtlichen Grauzone holt. Was hätten Sie noch gerne umgesetzt gesehen? Es gibt immer noch keine Möglichkeit, mit Behindertenwohneinrichtungen nach § 71(4) SGB XI Kooperationsverträge abschließen zu können. Die Zuschläge im Rahmen eines Kooperationsvertrags mit Pflegeeinrichtungen nach § 71(2) SGB XI sind deutlich höher als ohne Kooperationsvertrag. Hier werden Behindertenwohneinrichtungen im Vergleich zu Pflegeeinrichtungen deutlich schlechter gestellt, obwohl in Behindertenwohneinrichtungen auch viele immobile Menschen mit Behinderungen und Pflegebedürftigkeit leben. Das ist nicht fair; weder für die Einrichtungen noch für die betreuenden Zahnärzte. Das AuB-Konzept „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“ von BZÄK und KZBV und den Fachgesellschaften aus dem Jahr 2010, an dem auch unsere Fachgesellschaft beteiligt war, führt noch lokale Fluoridierungsmaßnahmen auf, die, für mich überhaupt nicht nachvollziehbar, völlig unter den Tisch gefallen sind. Auch bin ich enttäuscht, dass der Mehraufwand in der Praxis (zeitaufwendigere Begleitung des Patienten innerhalb der Praxis, spezielle Lagerungstechniken, längere Behandlungsdauer aufgrund von Pausen bei reduzierter Belastbarkeit) nicht berücksichtigt wurde. Hier wünschen wir uns Zuschlagpositionen. Wichtig wäre zudem, die Fremdanamnese, vergleichbar der GOÄ-Nr. 4, in den BEMA aufzunehmen. Der Beratungs- und Aufklärungsbedarf ist bei der Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung enorm. Die Patienten müssen aufgeklärt werden, das Pflege- und Betreuungspersonal und natürlich der rechtliche Betreuer. Und das Ganze muss auch noch rechtssi- www.zahnaerzteblatt.de ZBW 6/2018
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