14 Titelthema Interview mit Univ.-Prof. Dr. Dr. Rainer Pitschas Selbstverwaltung sichert Effektivität und Effizienz im Gesundheitswesen Im Gesundheitswesen schlägt der Selbstverwaltung ein harter Wind aus der Politik entgegen. Zu Recht? Im Interview dazu Univ.-Prof. Dr. Dr. Rainer Pitschas. Der Verwaltungswissenschaftler und Experte für die zahnärztliche Selbstverwaltung war von 2001 bis 2008 Vorsitzender bzw. stellvertretender Vorsitzender des Bundesschiedsamtes für die vertragszahnärztliche Versorgung. Von 2012 bis Juni 2018 saß er auf Vorschlag der Zahnärzteschaft als stellvertretendes unparteiisches Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss. Herr Prof. Pitschas, die Selbstverwaltung hat eine jahrhundertelange Tradition. Worin liegen die Vorteile? Prof. Pitschas: Ihre Vorteile liegen in der Möglichkeit, individuelle oder auch die Allgemeinheit betreffende Entscheidungen in gesellschaftlicher Teilverantwortung nicht staatlich zu organisieren. Die soziale, solidarische Krankenversicherung bedient sich erfolgreich der Selbstverwaltung. Gesundheitsverantwortung wird durch gesellschaftliche Ordnungskräfte – Krankenkassen, Kassen(zahn)ärztliche Vereinigungen, Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) – wahrgenommen, die relativ fern von staatlicher Einflussnahme sind. Deren Angehörige werden durch demokratische Wahlen berufen. Der Vollzug des Gesundheitsrechts setzt damit – trotz Professionalisierung des Managements – auf die Eigenverantwortung der Versicherten. Selbstverwaltung sichert auf diese Weise die Effektivität und Effizienz von Gesundheitsentscheidungen. Dem deutschen Gesundheitssystem wird insgesamt ein sehr guter Zustand attestiert. Warum wächst die Kritik der Politik an der Selbstverwaltung? Insbesondere die Berufsvertretungen klagen über Fremdbestimmung. Experte. Univ.-Prof. Dr. Dr. Rainer Pitschas hält das Zusammenwirken der Träger der Gemeinsamen Selbstverwaltung für unabdingbar. Allerdings besteht Reformbedarf. Der Hinweis auf die international herausgehobene Stellung der deutschen Gesundheitsversorgung verdeckt eine durchaus notwendige Kritik. Der Erfolg der Selbstverwaltung ist zwar unbestreitbar. Gleichwohl wird ihr Wirken einer unendlichen und stetig steigenden Bürokratisierung unterworfen. In diesen Kontext gehört die nicht bewältigte Trennung der Versorgungssektoren, der Streit um die staatlich verordnete Terminsicherung oder die Qualitätssicherung durch eigens geschaffene Institute. Zweifelhaft ist auch, ob das Selbstverwaltungsstärkungsgesetz Rechtsverstößen effektiv begegnen kann; es schnürt die Selbstverwaltung eher ein. Der Blick auf die Ausrichtung der Aufgaben der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen tritt dadurch in den Hintergrund. Stattdessen nimmt die staatliche Fremdbestimmung der Berufsvertretungen zu. Das reicht bis in die Festsetzung der Vorstandsbezüge. Doch dabei ist die Professionalisierung der Selbstverwaltung kein Selbstläufer; sie kostet Geld. Foto: Sämmer/BKK Landesverband Mitte Ist diese Kritik aus Ihrer Sicht gerechtfertigt? Die Kritik ist nur zum Teil gerechtfertigt. Immerhin bleibt der darin enthaltene größte „Brocken“ unbewältigt, nämlich die fehlende demokratische, gleichheitsbezogene Legitimation des G-BA vor dem Grundgesetz. Bereits im November 2015 hat das Bundesverfassungsgericht Zweifel an der verfassungsrechtlichen Legitimation des G-BA angemeldet. Es hatte moniert, dass Vertreter von Ärzten und Krankenkassen auch über Belange von nicht im G-BA vertretenen Gruppen, zum Beispiel Patienten oder Heil- und Hilfsmittelerbringer, entscheiden. ZBW 4/2019 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 15 Die Zahnärzte sind auch hiervon betroffen, blickt man etwa auf ihr Stimmgewicht im G-BA. Im Übrigen trifft die Bürokratiekritik zu. Provokant gefragt: Ist die Gemeinsame Selbstverwaltung ein Auslaufmodell? Nein, die Gemeinsame Selbstverwaltung, das heißt das Zusammenwirken ihrer Träger, ist kein Auslaufmodell. Sie ist vielmehr unabdingbar. Ihre Effektivität und Effizienz muss allerdings durch Reformen verbessert werden. Dies betrifft vor allem die Modernisierung des Organisations- und Verfahrensrechts unter Einbeziehung der gegenwärtigen Digitalisierungsansätze. An welchen Stellen sehen Sie konkreten Reformbedarf? Vordringlich sehe ich vier Modernisierungsfelder. Erstens ist der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen unter Einbezug der Qualitätssicherung und der Integration der Versorgungssektoren zu intensivieren. Die Regionalisierung spielt hierbei eine große Rolle. Zweitens ist die Digitalisierung des Gesundheitswesens in diesen Prozess einzufügen. Die sozialen Folgen, wie zum Beispiel die Nutzung der elektronischen Patienten akte oder die Entstehung einer „profitorientierten Callcenter-Medizin“ durch den Eintritt privater Investoren in den Dentalmarkt, dürfen dabei nicht aus dem Blick verloren werden. Drittens steht die Reform des G-BA an, um Legitimationsdefizite zu beheben. Viertens führt kein Weg daran vorbei, das ärztliche Berufsrecht und das Krankenhausrecht in die bundesrechtliche Zuständigkeit zu überführen. Welches wäre eine Alternative, um die Gesundheitsversorgung zu organisieren? Eine Möglichkeit wäre eine Einheitsversicherung, in deren Folge die private Krankenversicherung aufzulösen wäre. Diesen Weg hat aber zu Recht das Bundesverfassungsgericht verschlossen. Was muss passieren, damit sich das Verhältnis von Politik und Selbstverwaltung wieder entspannt? Die momentane Situation zeigt zum einen, dass der Gemeinsamen Selbstverwaltung Handlungsräume fehlen. Zu Unrecht nimmt der Gesetzgeber deren Leistungs- und Legitimationspotenzial selbst in Anspruch. Insofern bleiben die gesetzlichen Regelungen zur Selbstverwaltung ineffektiv. Zum anderen wird die „Hybridform“ der Gemeinsamen Selbstverwaltung auch in Zukunft nicht die am stärksten Betroffenen – die Patienten – mit eigenständiger Entscheidungsmacht einbeziehen. Stattdessen ermöglicht der Gesetzgeber gegenwärtig eine verdeckte Fachaufsicht über die ineinander verschränkten Interessen auf Seiten ausgewählter Gruppierungen. Die Funktion der Gemeinwohlsicherung von sozialer Selbstverwaltung wird vor allem im G-BA, in dem die Interessen der beteiligten Gruppen diskutiert werden, nicht hinreichend erkennbar. Im Übrigen fehlt die Einbeziehung der Pflege. Die Reform des G-BA wäre der Beginn eines neuen Verhältnisses von Politik und Selbstverwaltung auf der Ebene untergesetzlicher Normsetzung. Herzlichen Dank für das Gespräch. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz Anzeige Laila rennt Laila rennt 3.400 km liegen noch vor ihr. Lailas großer Bruder ist auf der 3.400 km liegen noch vor ihr. Flucht ertrunken. Sie vermisst Lailas großer Bruder ist auf der ihre Eltern, die zu Hause bleiben Flucht ertrunken. Sie vermisst mussten. Sie weiß nicht, was ihre Eltern, die zu Hause bleiben die Zukunft bringt. mussten. Sie weiß nicht, was die terre Zukunft des hommes bringt. setzt sich für den Schutz von Flüchtlingskindern ein. terre des hommes setzt sich für den Schutz Bitte unterstützen von Flüchtlingskindern Sie uns. ein. www.tdh.de Bitte unterstützen Sie uns. www.tdh.de www.zahnaerzteblatt.de ZBW 4/2019
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