8 Titelthema Foto: dpa Sonderparteitag, GroKo, Bürgerversicherung An bestimmten Punkten ausgereizt Es ging kaum knapper: Mit 56,4 Prozent stimmte eine hauchdünne Mehrheit der Delegierten beim SPD-Sonderparteitag für Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU. Nun gelte es „zu verhandeln, bis es quietscht“. Kommt sie also doch noch, die Bürgerversicherung? In „Einzelbausteinen“, über die man (nach-)verhandeln will? Dass es die Bürgerversicherung nicht bereits in das Sondierungspapier geschafft hatte, brachte der SPD-Parteispitze harsche Kritik ein. Das zentrale Projekt wurde „sang- und klanglos preisgegeben“, urteilte der frühere Referatsleiter Grundsatzfragen im Sozialministerium des Landes Brandenburg, Hartmut Reiners. Vor dem Sonderparteitag sagte CDU-Vize Thomas Strobl harsch: Es werde nicht nachverhandelt, und „mit uns wird es diesen Einheitskassenbrei nicht geben“. Nach dem Votum der Delegierten steht die Ampel nun auf Grün für Koalitionsverhandlungen mit der CDU/ CSU. Unmittelbar nach Abschluss der Sondierungen mehrten sich bereits die Stimmen in der SPD zu einem zentralen Punkt: „Wir werden auch über die Bürgerversicherung noch einmal sprechen müssen“, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Und SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach ergänzte: Wegen „massivster Widerstände“ sei hier vorerst nicht der große Durchbruch zu erwarten, die SPD werde dafür nun aber „umso stärker werben und kämpfen“. Indirekt sei der Einstieg in die Bürgerversicherung bereits erfolgt, womit Lauterbach beispielsweise auf beihilfefähige GKV-Tarife für Beamte abhob (weitere Infos dazu auf der nächsten Seite). Eindeutig. „Zur Euphorie besteht bei aller grundsätzlichen Zustimmung kein Anlass“, wurde Dr. Hans-Friedrich Spies, der Präsident des Berufsverbands Deutscher Internisten (BDI) von der Ärzte Zeitung zitiert. Entscheidend sei, ob sich die Parteirepräsentanten in den Koalitionsverhandlungen einigen werden, „das duale System von PKV und GKV zu erhalten und dies auch im Koalitionsvertrag festschrieben wird“. ZBW 2/2018 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 9 Ohne eindeutige Formulierung bestehe die Gefahr, dass ein potenzieller SPD-Gesundheitsminister durch viele Einzelmaßnahmen die PKV unattraktiv mache und damit die Bürgerversicherung durch die Hintertür einführe, warnte Spies. „Das Sondierungsergebnis kann nur die Basis sein für Koalitionsverhandlungen. Es wird jetzt so getan, als sei alles schon verhandelt – das ist es mitnichten“, betonte SPD-Vize Ralf Stegner vor dem Parteitag gegenüber der „Bild“-Zeitung. „Wir haben an einigen Punkten noch erheblichen Verhandlungsbedarf.“ Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles kündigte „harte Koalitionsverhandlungen“ an, warnte aber vor Illusionen, da die Verhandlungen „an bestimmten Punkten ausgereizt“ seien. CDU-Vize Thomas Strobl sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland, es gelte, was miteinander vereinbart worden sei. Man sei strikt dagegen, einzelne inhaltliche Punkte noch einmal aufzumachen. Das gelte besonders auch für die Bürgerversicherung. Die drei Parteien CDU, CSU und SPD seien in ernsthaften Gesprächen gewesen und nicht beim Ringelpiez mit Anfassen, so Strobl wörtlich. Einzelbaustein. Voraussichtlich zum 01.08.2018 können sich Beamte im Bundesland Hamburg auf Wunsch gesetzlich krankenversichern. Dazu werde die Beihilfe für Hamburger Beamte so ausgestaltet, dass diese als Pauschale ausbezahlt wird, „die der Hälfte des Beitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung entspricht“, so die „Zeit“. Also: „Bürgerversicherung light“, wie die Deutsche Presse-Agentur titelte. De facto gelte die Wahlmöglichkeit aber nur „für neue Beamte […] und für jene, die bereits jetzt zu einem höheren Beitragssatz freiwillig gesetzlich versichert sind“, so die Zeitung weiter. Für langjährige Beamte sei ein Wechsel aufgrund des derzeitigen Krankenversicherungsrechts nicht mehr möglich, so die Einschränkung der Hamburger Landesregierung. Der Wechsel zwischen Beihilfe und Finanzen. Allein die Einführung einer Bürgerversicherung würde astronomische 610 Milliarden Euro verschlingen, hat Finanzwissenschaftler Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen vorgerechnet. Und auch die Rentenversprechen der Parteien würden den Steuerzahler Unsummen kosten. Pauschale solle nur einmalig möglich sein. Dem vom rot-grünen Senat beschlossenen Gesetzentwurf muss nun die Hamburgische Bürgerschaft zustimmen. Über 600 Milliarden Euro: Astronomisch teuer würde die Einführung der Bürgerversicherung nach Berechnungen des Freiburger Finanzwissenschaftlers Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen werden. Zusammen mit den Rentenplänen von CDU/CSU und SPD könnte das das „größte Ausgabenpaket“ werden, „das jemals von einer großen Koalition beschlossen wurde“. Dies gehe zu Lasten der jungen Generation, kritisierte Raffelhüschen. Von Solidarität keine Spur, kommentierte auch Autor Dr. Wolfgang Bok (früher Chefredakteur der „Heilbronner Stimme“; s. auch Leitartikel in dieser Ausgabe), denn mit der Bürgerversicherung seien Beitragserhöhungen für die Kassenversicherten „nicht unwahrscheinlich“. Beitragserhöhungen. Wenn gesetzliche Krankenkassen und private Krankenversicherungen weiterhin nebeneinander bestehen würden bei leichterer Wechselmöglichkeit von privat zu gesetzlich, wie es das SPD-Konzept vorsieht, „ist das Ergebnis an fünf Fingern abzuzählen“: Privat versicherte Bürgerinnen und Bürger mit hohem Krankheitsrisiko werden sich für die gesetzlichen Krankenkassen entscheiden und dort den Kostendruck erhöhen. Alle anderen „bleiben bei der DKV, Allianz & Co.“. Wolfgang Bok in seinem Beitrag für das Magazin „Cicero“: „Selbst Karl Lauterbach, der entschiedenste SPD-Verfechter einer Bürgerversicherung, hält Beitragserhöhungen für alle Kassenkunden für nicht unwahrscheinlich“. Ob es zur versprochenen besseren Behandlung komme, sei fraglich. Fallen die höheren Privathonorare weg, fehlt Geld für neue Geräte und verbesserte Versorgungslösungen. Dies komme gerade auch den gesetzlich Versicherten zugute. Bok: „So gesehen subventionieren die Privatversicherten die Sozialversicherten – und nicht umgekehrt.“ Keine Rolle. Blicken wir zurück: „Im Wahlkampf hat die Gesundheitspolitik keine Rolle gespielt“, resümierte FAZ-Korre- Foto: Gena96/Sutterstock www.zahnaerzteblatt.de ZBW 2/2018
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