30 Fortbildung physiologische Standortflora nicht zerstört wird. Die unkritische Verordnung von Breitbandantibiotika birgt das Risiko der Selektion multiresistenter Erreger (z. B. MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus), MRGN (Multiresistente gramnegative Erreger)), vor allem, wenn zu kurz oder zu niedrig dosiert wird. Der Einsatz von Breitbandantibiotika ist daher auf ein Minimum zu reduzieren. Zudem ist eine ausreichende Dosierung und Therapiedauer (sieben bis 18 Tage) notwendig, um mögliche Resistenzbildungen zu vermeiden. Die Compliance des Patienten wird durch eine umfassende Information über Therapiedauer und mögliche Nebenwirkungen erhöht. Eine selektive Antibiose reduziert das Risiko von Nebenwirkungen und wirkt sich damit günstig auf die Compliance und letztendlich den Therapieerfolg aus. Die bei der systemischen Parodontitistherapie eingesetzten Antibiotika sind nun im Folgenden näher charakterisiert. Wirkstoffgruppen. Metronidazol ist ein bakterizides Antibiotikum aus der Gruppe der Nitroimidazole und Antibiotikum der ersten Wahl. Mechanistisch hemmt es die Nukleinsäuresynthese anaerober Bakterien. Es hat daher eine sehr gute Wirksamkeit gegen Parodontitiserreger wie T. forsythia, P. gingivalis, P. intermedia und F. nucleatum (47). Da Anaerobier auch die überwiegende Standortflora des Magen-Darm-Traktes ausmachen, sind in drei Prozent der Fälle gastrointestinale Nebenwirkungen (Erbrechen, Durchfall, Übelkeit) möglich (7). A. actinomycetemcomitans ist gegenüber Metronidazol resistent (vgl. hierzu auch Abb. 6e). Gute Wirksamkeit gegenüber A. actinomycetemcomitans besitzen Amoxicillin bzw. Ciprofloxacin. Das Aminopenicillin Amoxicillin ist ein halbsynthetisches Penicillin-Derivat mit bakterizider Wirkung (Antibiotikum der 1. Wahl). Mechanistisch inhibiert es die bakterielle Zellwandpeptidoglycansynthese. Hauptnebenwirkungen sind makulöse Exantheme sowie gastrointestinale Nebenwirkungen (jeweils 5 bis 20 Prozent der Fälle). Ciprofloxacin hemmt mechanistisch die bakterielle DNA-Topoisomerase II (bakterielle Gyrase). Der Wirkstoff aus der Gruppe der Fluorchinolone wirkt ebenfalls bakterizid. Ciprofloxacin besitzt eine breite Wirkung im grampositiven und gramnegativen Bereich, und wirkt auch gegen Mykobakterien. Es dient jedoch nur als Antibiotikum der zweiten Wahl bei nachgewiesener Penicillinallergie. Eine Monotherapie bei Infektion mit obligaten Anaerobiern muss vermieden werden. Hauptnebenwirkungen sind ebenfalls gastrointestinale Nebenwirkungen (6 Prozent der Fälle) sowie zentralnervöse Reaktionen. Eine bestehende Schwangerschaft stellt eine absolute Kontraindikation dar (7). Doxycyclin ist ein bakteriostatisch wirksames Tetracyclin-Derivat. Mechanistisch hemmt Doxycyclin die bakterielle Proteinbiosynthese. Das Breitbandantibiotikum hat jedoch nur eine eingeschränkte Effektivität gegenüber den Markerkeimen der Parodontitis. Aus diesem Grund zählt Doxycyclin als Antibiotikum der dritten Wahl. Nebenwirkungen sind ggf. Übelkeit bzw. Photosensibilisierung (7). Unter dem Handelsnamen Ligosan © ist Doxycyclin seit einigen Jahren in Deutschland auch als lokales Antibiotikum erhältlich. Neue therapeutische Ansätze aus den USA nutzen die Wirkung von Doxycyclin bei niedriger Dosierung gegenüber den Matrix-Metalloproteinasen (kollagenabbauenden Enzymen). In dieser Dosierung (20 mg/Tag) ist es nicht antibiotisch wirksam und wird so in der Langzeittherapie gegen die körpereigene Immunabwehr eingesetzt. Mit guten klinischen Ergebnissen ist das Präparat in den USA unter dem Handelsnamen Periostat © erhältlich (56). In Deutschland ist diese „low-dose“ Therapie für die Parodontitistherapie jedoch noch nicht zugelassen. Clindamycin gehört zur Gruppe der Lincosamide. Mechanistisch inhibiert Clindamycin die bakterielle Proteinbiosynthese. Gefürchtetste Nebenwirkung ist die pseudomembranöse Enterocolitis hervorgerufen durch Clostridium difficile (7, 66). Aufgrund seiner guten Knochengängigkeit und seinem breiten Wirkspektrum findet es in der Zahnmedizin in Deutschland sehr häufige Anwendung. In der Parodontologie ist dies jedoch nicht der Fall. Lediglich auf T. forsythia wirkt es bakteriostatisch. Daher beschränkt sich der Einsatz von Clindamycin auf Allergien gegen die Antibiotika der ersten, zweiten und dritten Wahl. Ein relativ neues Antibiotikum in der Parodontitistherapie stellt Azithromycin aus der Gruppe der Makrolide dar. Die antimikrobielle Effektivität dieses Antibiotikums bei gleichzeitiger geringer Plasmakonzentration und geringen gastrointestinalen Nebenwirkungen lässt es zu einer sehr guten Alternative werden (44). Azithromycin weist eine sehr gute Wirksamkeit gegen Actinomyces spp. sowie eine mäßige Wirksamkeit gegen Spirochäten (Campylobacter spp., Treponema spp.), Anaerobier und Peptostreptokokken auf. Mechanistisch hemmt Azithromycin, das zur Gruppe der Makrolide gezählt wird, die bakterielle Proteinbiosynthese (Translokationsinhibitor) (7). Vergleichsstudien zwischen Azithromycin und einer Metronidazol/Amoxicillin Kombinationstherapie zeigen ähnliche Ergebnisse hinsichtlich klinischer Parameter wie BOP, Attachmentgewinn und signifikant bessere Ergebnisse zur alleinigen geschlossenen Therapie (27, 51). Neben der antimikrobiellen Wirksamkeit wird ein immunmodulierender, antiinflammatorischer Effekt diskutiert (2, 7). Hinzu kommt eine verkürzte und vereinfachte Einnahmedauer für den Patienten. Weitere Studien werden jedoch nötig sein, um die positiven Effekte von Azithromycin zu untermauern. Nichtsdestotrotz stellt es eine gute Alternative mit geringen Nebenwirkungen zu den „klassischen“ Antibiotikaregimen dar. Wahl des Wirkstoffes und Dosierung. Dem gezielten Einsatz von Antibiotika im Rahmen der Parodontitistherapie kommt – wie oben ausgeführt – eine große Bedeutung zu. Der Nachweis der Parodontalpathogene in der subgingivalen Mikroflora hilft bei der Auswahl geeigneter Antibiotika und der Reduktion des Einsatzes von Breitbandantibiotika. Bei Nachweis von Keimen des orangen und des roten Komplexes (Abb. 2) – ohne den gleichzeitigen Nachweis von A. actinomycetemcomitans – ist Metronidazol das Antibiotikum der ersten Wahl. Bei zusätzlichem Nachweis von A. actinomycetemcomitans sollte additiv Amoxicillin bzw. bei Vorliegen einer Peni- ZBW 2/2018 www.zahnaerzteblatt.de
Fortbildung 31 cillinallergie Ciprofloxacin verschrieben werden. Diese als „Van Winkelhoff-Cocktail“ bezeichnete Wirkstoffkombination liefert sehr gute klinische Ergebnisse (72). Allerdings besitzen beide Wirkstoffe zusammen ein deutlich breiteres Wirkspektrum als Metronidazol alleine, schädigen die physiologische Standortflora und sollten daher nur gezielt eingesetzt werden. Doxycyclin ist aufgrund möglicher Nebenwirkungen als Therapiemittel der dritten Wahl anzusehen. Der Einsatz von Clindamycin sollte in der Parodontologie vermieden werden. Eine gemeinsame wissenschaftliche Stellungnahme der DGMZK (Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde) und DG PARO (Deutsche Gesellschaft für Parodontologie) empfiehlt zusammenfassend folgende Therapiestrategien und Antibiotikadosierungen (4): • Auftreten von Markerkeimen des orangen bzw. orange-assoziierten Komplexes und des roten Komplexes: Metronidazol 3 x 400 mg über sieben Tage • Auftreten von Markerkeimen des orangen bzw. orange-assoziierten Komplexes und des roten Komplexes + A. actinomycetemcomitans: Metronidazol 3 x 400 mg + Amoxicillin 3 x 500 mg über sieben Tage. Bei Penicillinunverträglichkeit: Metronidazol 2 x 500 mg + Ciprofloxacin 2 x 250 mg über sieben Tage oder Azithromycin 1 x 500 mg über drei Tage • Auftreten von A. actinomycetemcomitans alleine (sehr selten): Amoxicillin 3 x 500 mg über 14 Tage. Bei Penicillinunverträglichkeit: Ciprofloxacin 2 x 250 mg über zehn Tage • Bei Unverträglichkeiten/Resistenzen als Mittel der dritten und vierten Wahl: Doxycyclin 1 x 200 mg am ersten Tag, anschließend 1 x 100 mg über 18 Tage. Alternativ: Clindamycin 4 x 300 mg über sieben Tage Fazit. Der molekularbiologische Nachweis des mikrobiologischen Keimspektrums kann in der Parodontitistherapie eine wichtige und hilfreiche therapeutische Entscheidungshilfe darstellen. Eine antimikrobielle Therapie begleitend zu mechanischen antiinfektiösen Maßnahmen kann in schweren chronischen oder aggressiven Fällen bessere klinische Erfolge liefern (24, 61). Dadurch wird das Ausmaß ergänzender parodontalchirurgischer Maßnahmen verringert (40). Die qualitative und quantitative Bestimmung der Parodontalpathogene ermöglicht eine keimspezifische Antibiotikatherapie sowie ein Therapiemonitoring. Neben den herkömmlichen klinischen Parametern: Bleeding on Probing (BOP) und Sondierungstiefe (ST) ergibt sich für den Behandler somit eine dritte Säule zur Abschätzung des Therapieerfolges. Der weitaus wichtigste Grund für die gezielte mikrobiologische Diagnostik bleibt jedoch die Vermeidung von Über- bzw. Unterbehandlung und damit der verantwortungsvolle Umgang mit Antibiotika (59). Oftmals erfolgt der Einsatz einer Kombination aus Amoxicillin und Metronidazol („Van-Winkelhoff- Cocktail“) ohne mikrobiologische Diagnostik und auf Basis von klinischen Befunden. Außer Acht gelassen wird hierbei jedoch die womöglich unnötige Verschreibung von Antibiotika, resultierend in der Schädigung der intra- und extraoralen Keimflora, oder sogar einer unnötigen Resistenzentwicklung (25, 50, 70). So ist in vielen Fällen die Verschreibung von Antibiotika (meistens Metronidazol) für die adjuvante Antibiotikatherapie völlig ausreichend. Erst bei Nachweis von obligaten Anaerobiern (roter, oranger, orange-assoziierter Komplex) und der fakultativ-anaeroben Spezies A. actinomycetemcomitans ist eine Kombination mit Amoxicillin (oder Ciprofloxacin) indiziert. Eine neue Alternative mit vereinfachter Einnahme und geringen Nebenwirkungen kann das Makrolid Azithromycin darstellen. Für eine endgültige Empfehlung stehen jedoch noch weitere Studien aus. Aufgrund der in den letzten Jahren stetig zunehmenden Fallzahl multiresistenter Keime – ausgelöst durch einen erhöhten und z. Z. B. T. ungezielten Antibiotika-Einsatz – sollte die Gabe von Antibiotika dennoch so rational wie möglich („Antibiotic Stewardship“) entsprechend der mikrobiologischen Diagnostik erfolgen (59, 73). Das Literaturverzeichnis finden Sie unter www.zahnaerzteblatt.de oder kann beim IZZ bestellt werden unter Tel: 0711/222966-14, Fax: 0711/222966-21 oder E-Mail: info@zahnaerzteblatt.de. Dr. med. dent. Malte Michaelis 1,2 Prof. Dr. med. dent. Bernd Haller 1 Prof. Dr. med. Steffen Stenger 3 Prof. Dr. med. dent. Axel Spahr 4 Dr. med. Sebastian F. Zenk 3,5 1 Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Universitätsklinikum Ulm, 2 f16 - Servicegesellschaft für Zahngesundheit mbH, Neu-Ulm 3 Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene, Universitätsklinikum Ulm, 4 Sydney Dental Hospital of Sydney, Sydney, Australien 5 Synlab Medizinisches Versorgungszentrum Augsburg GmbH, Augsburg Die Autoren bedanken sich herzlich bei ZA Adnan Murati und MTLA Marion Ehrlich für die Bereitstellung, Bearbeitung und Mithilfe bei der Gestaltung der Fotos für diesen Beitrag. Dr. Malte Michaelis Dr. Sebastian Zenk Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Universitätsklinikum Ulm, f16 - Servicegesellschaft für Zahngesundheit mbH, Neu-Ulm Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene, Universitätsklinikum Ulm, Synlab Medizinisches Versorgungszentrum, Augsburg www.zahnaerzteblatt.de ZBW 2/2018
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