22 Fortbildung Systematische Parodontitisbehandlung Mikrobiologischer Nachweis parodontalpathogener Bakterien Die Parodontitis ist eine chronische Entzündung des Zahnhalteapparates, hervorgerufen von Bakterien, die in polymikrobiellen Biofilmen am Gingivarand bzw. in den parodontalen Taschen leben (8, 67). Charakteristisch ist der meist in Schüben verlaufende, fortschreitende Verlust von parodontalem Gewebe. Dieser ist das Resultat einer Immunantwort auf spezifische subgingivale Bakterienarten, sogenannte Parodontalpathogene (Abb. 1). Voraussetzung für den Beginn und das Fortschreiten der parodontalen Erkrankung ist das Auftreten mehrerer Faktoren zur selben Zeit: die Anwesenheit parodontalpathogener Bakterien, ein für sie günstiges lokales Milieu und die Anfälligkeit des Wirts (21). Bakterielle Dysbiose. Erkenntnisse aus den vergangenen Jahren verdeutlichen zunehmend die Rolle der Zellen des Immunsystems beim Übergang einer Gingivitis in eine Parodontitis. Dabei sind die Aufgaben von neutrophilen Granulozyten bei der Immunantwort deutlich vielfältiger als lange Zeit angenommen in Hinblick auf die Kommunikation mit anderen Zellen und ihr Zeitpunkt des Auftretens bei der Parodontitis. Man spricht heutzutage von einer Dysbiose des bakteriellen Biofilms anstelle einer Infektion (23). Die Bakterien leben in einem hoch organisierten Biofilm, wo sie von einer Matrix aus Proteinen, extrazellulären Polysacchariden und extrazellulärer DNA umhüllt und dadurch geschützt sind. Obwohl einzelne Spezies wie Porphyromonas gingivalis, Tannerella forsythia, Treponema denticola, Prevotella intermedia oder Fusobacterium nucleatum zum Teil stark mit Auftreten, Schweregrad und Verlauf einer Parodontitis assoziiert sind (siehe unten), handelt es sich nicht um eine spezifische Infektion einzelner Erreger. Vielmehr wird die Erkrankung durch eine „pathogene mikrobielle Gemeinschaft“ als Gesamtheit („Gemeinschaft-als-Pathogen-Modell“) ausgelöst (57). Diese entwickelt sich auf der Grundlage einer mikrobiellen Dysbiose, d. h. einer Verschiebung weg von einer symbiotischen apathogenen Mikroflora hin zu einer dysbiotischen pathogenen Mikroflora (22). Der „mikrobielle Shift“ wird hervorgerufen durch eine Zunahme potenziell pathogener Spezies (bzw. der Expression bislang nicht aktiver Virulenzgene) oder/und durch eine Reduktion apathogener, also günstiger Bakterien. Abb. 1 Klinisches Bild der Parodontitis Derartige Verschiebungen im Keimspektrum können durch eine Vielzahl exogener und endogener Faktoren ausgelöst werden. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Immunsystem des Wirts. Die genetisch determinierte Intensität der Entzündungsantwort beeinflusst das lokale Milieu, beispielsweise über die Menge und Zusammensetzung der Gingivaflüssigkeit, und damit die Zusammensetzung der Mikroflora (69). Beobachtet wurde auch eine Assoziation zwischen parodontalpathogenen Bakterien und verschiedenen Herpesviren (Epstein- Barr-Virus, Cytomegalie-Virus) bei der Pathogenese der Parodontitis (54). Die lokalen Milieubedingungen in der Plaque bzw. in den parodontalen Taschen (Nährstoffangebot, Temperatur, pH, osmotischer Druck, Redoxpotenzial, Ionenkonzentration) beeinflussen die Zusammensetzung des Biofilms wie auch das pathogene Potenzial einzelner Bakterien (21, 36). Auch Lebensstil und Ernährungsverhalten können für die Entstehung einer Parodontitis eine Rolle spielen. So wurde bei Personen mit ungesunden Lebensgewohnheiten (Tabakrauchen, Alkoholkonsum, geringe körperliche Aktivität, ungesunde Ernährung) signifikant häufiger eine generalisierte chronische Parodontitis festgestellt als bei Personen mit gesunden Lebensgewohnheiten (18). In einer anderen Studie bewirkte eine vierwöchige Paleo-Diät eine Verschiebung der mikrobiellen Flora zugunsten nicht-parodontalpathogener Bakterien in der Plaque sowie der Reduktion der Besiedlung mit T. forsythia und A. actinomycetemcomitans im Bereich des Zungenrückens (3). Parodontalpathogene Markerkeime sind stets auf die Anwesenheit eines bereits etablierten Biofilms angewiesen (63). Wird dieser Biofilm regelmäßig durch Mundhygiene entfernt, kann er nicht reifen und es fehlen die notwendigen Lebensbedingungen (z. B. anaerobe Atmosphäre) für das Wachstum parodontalpathogener Keime. Limitationen dieses Modells sind jedoch seltene Fälle, bei denen es trotz suffizienter Mundhygiene zu einem Fortschreiten der parodontalen Destruktion kommt. Neben dem individuellen und genetisch determinierten Immunsystem eines Patienten scheinen hierfür bestimmte Virulenzfaktoren der Parodontalpatho- ZBW 2/2018 www.zahnaerzteblatt.de
Fortbildung 23 Abb. 2 Subgingivales Mikrobiom. Bakterielle Verteilung und Gruppierung des subgingivalen Mikrobioms (63). Besonders pathogene Erreger sind unterstrichen und dadurch optisch hervorgehoben: Porphyromonas gingivalis, Tannerella forsythia, Treponema denticola, Prevotella intermedia und Aggregatibacter actinomycetemcomitans. gene verantwortlich zu sein. In diesen Fällen kann der adjuvante Einsatz von Antibiotika notwendig werden. In diesem Artikel sollen die Indikationen für eine systemische antimikrobielle Therapie beschrieben werden. Ziel ist es den rationalen Einsatz von Antibiotika auf Basis einer mikrobiologischen Diagnostik darzustellen und die Einsatzmöglichkeiten für einen Bakteriennachweis im Rahmen der Parodontitistherapie zu erläutern. (41). Mikrobielle Flora in parodontalen Taschen. Es lassen sich knapp 700 verschiedene Bakterienarten in der menschlichen Mundhöhle nachweisen, davon können schätzungsweise 200 Arten in einem Individuum vorkommen (14). Davon konnte bislang nur knapp die Hälfte kultiviert und näher im Zusammenhang mit der Parodontitis charakterisiert werden. Der Großteil dieser Erreger lebt symbiotisch. Sie sind daher als physiologische Kommensalen zu bezeichnen. Nach heutigem Wissensstand gibt es lediglich einige wenige sogenannte „Leit- oder Markerkeime“ (Porphyromonas gingivalis, Tannerella forsythia, Treponema denticola, Prevotella intermedia und Aggregatibacter actinomycetemcomitans), die mit der Entstehung und Progression einer Parodontitis eng assoziiert sind (74) (Abb. 2). Alle Keime des subgingivalen Mikrobioms sind in fünf phylogenetisch eng verwandte Gruppen in einer Pyramide nach ihrer Häufigkeit angeordnet (63). Dieses Modell wurde durch die heutige Idee des dysbiotischen Biofilms teilweise überholt (23). Manche Spezies profitieren von sich verändernden Umweltbedingungen, wie beispielsweise einer Immunschwäche, und werden als opportunistische Erreger angesehen. Zu diesen Keimen gehört Aggregatibacter actinomycetemcomitans (26). Nach der Komplextheorie vollzieht sich die Ansiedlung von Parodontalpathogenen nach einer bestimmten Abfolge und in Form voneinander unterscheidbarer Bakterienkomplexe. Die Basis bilden Frühkolonisierer, hauptsächlich vergrünende Streptokokken (gelber Komplex) und Actinomyces spp. (blauer Komplex). Es handelt sich um grampositive, überwiegend aerobe Erreger, welche einen Teil der physiologischen Flora darstellen (9, 33, 65). Wird das immunologische Gleichgewicht durch Zunahme des bakteriellen Biofilms oder durch Störungen des Immunsystems verändert, verschiebt sich die mikrobielle Flora zugunsten gramnegativer anaerober Erreger (35). Der erste mit pathologischen Veränderungen assoziierte Komplex ist der „orange Komplex“. Dieser enthält gramnegative anaerobe Spezies mit einer moderaten bis hohen Pathogenität, wie Prevotella intermedia und Fusobacterium nucleatum, und grampositive anaerobe Erreger wie Parvimonas micra (Abb. 2) (11, 12). Diese sogenannten „Brückenspezies“ sind Wegbereiter für die Besiedelung mit den hochpathogenen Bakterien des „roten Komplex“. Neben Treponema denticola und Tannerella forsythia ist es vor allem Porphyromonas gingivalis, der eine sehr hohe Pathogenität besitzt und über verschiedene Immunevasionsstrategien verfügt (26). So scheint P. gingivalis in der Lage zu sein, in Epithelzellen einzudringen (32, 53). Eine besondere Relevanz bei der Parodontitis hat darüber hinaus A. actinomycetemcomitans. Auf molekularer Ebene besitzt dieser Keim neben diversen Virulenzfaktoren vor allem ein sehr potentes Toxin (Leukotoxin) zur Abwehr weißer Blutkörperchen (Leukozyten) und anderer Komponenten des Immunsystems (1, 28). Zudem besitzt der Erreger die Fähigkeit zur Epithelzellinvasion und damit zum fakultativ intrazellulären Wachstum. In Kombination mit einem hoch organisierten bakteriellen Biofilm bietet diese Eigenschaft den Parodontitiserregern daher einen weiteren in vivo Schutz gegenüber äußeren Einwirkungen wie Antiseptika und antimikrobiellen Substanzen (64). www.zahnaerzteblatt.de ZBW 2/2018
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