12 Titelthema Bürgerversicherung im Spiegel der Medien Wechselbad der Gefühle und Meinungen Auch wenn bei Redaktionsschluss noch Ungewissheit über das Zustandekommen einer erneuten Großen Koalition besteht: Nach dem Sonderparteitag in Bonn ist klar, dass die Angleichung der Arzthonorare für Privat- und Kassenpatienten zu den Nachbesserungswünschen der SPD gehört. Nach einem Wechselbad der Gefühle, das damit begann, dass man sich bei Jamaika weit weg von der heiß diskutierten Bürgerversicherung wähnte, wurde nach dem Scheitern der ersten Sondierung das Thema wieder akut. Die SPD hatte die Bürgerversicherung zu einer der zentralen Forderungen gemacht und die Medien beschäftigten sich erneut mit Zwei-Klassen-Medizin und Einheitskasse. Es war nicht das erste Mal, dass das Thema Bürgerversicherung breiten Raum in Berichterstattung und Kommentaren einnahm. Diesmal aber schien es höchst brisant zu sein. Presse, Funk und Fernsehen informierten und bezogen Stellung, ließen Politiker zu Wort kommen, fragten Kassen- und Ärztevertreter und gaben in den diversen Foren den Nutzern breiten Raum zur Diskussion. Gleich zu Jahresbeginn, am 2. Januar, konfrontierte der Mannheimer Morgen seine Leser mit den „wichtigsten Fragen und Antworten zum politisch heiß umstrittenen Thema“. Dort ging es u. a. darum, was gegen die Einführung der Bürgerversicherung spricht: „Wirtschaftswissenschaftler befürchten Übergangsschwierigkeiten und Mehrbelastungen im einstelligen Milliardenbereich. Eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler- Stiftung kam zudem jüngst zu dem Ergebnis, dass eine Umstellung Zehntausende Arbeitsplätze bei den privaten Versicherungen kosten würde. Ein weiterer Aspekt: Das deutsche Gesundheitssystem gilt als eines der besten der Welt. Neben Politikern von Union und FDP warnen auch Ärztevertreter davor, an den bestehenden Strukturen zu rütteln.“ Und Redakteurin Madeleine Bierlein wusste auch die Antwort auf die Frage, ob man die private Krankenversicherung einfach abschaffen könnte: „Das ist schon aus rechtlicher Sicht nicht möglich. Es handelt sich dabei um Unternehmen, die nicht einfach enteignet werden dürfen. Außerdem haben die Versicherten verbriefte Rechte.“ Auch das Ende der Zwei- Klassen-Medizin wird in Zweifel gezogen: „Patienten wären nur in der Grundversorgung gleichgestellt. Wer es sich leisten kann, hätte – wie schon jetzt – die Möglichkeit, Zusatzversicherungen abzuschließen. Etwa für eine Chefarztbehandlung im Krankenhaus oder für spezielle Leistungen beim Zahnarzt.“ Besonders viel Feedback von Seiten der Leser gab es auf den Beitrag der Süddeutschen Zeitung vom 29. Dezember 2017 mit der Überschrift „Bürgerversicherung: Diagnose richtig, Rezept falsch“. Im Vorspann schreibt Kristiana Ludwig: „Ja, es gibt eine Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland – aber nicht nur in der von der SPD festgestellten Form. Und was sie nun vorschlägt und gegen die Union durchsetzen will, löst nichts von den Problemen, welche in Wahrheit die drängendsten sind.“ In seinem Kommentar „Nur Verlierer durch die Bürgerversicherung“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 4. Januar 2018 ist Wirtschaftskorrespondent Andreas Mihm der Historie dieser Forderung auf der Spur: „Vier Wahlkämpfe hat die SPD mit der Forderung nach Einführung einer Bürgerversicherung bestritten. Zweimal hat sie danach mit der Union regiert. Der privaten Krankenvollversicherung, die die Sozialdemokraten so dringend abschaffen wollen, hat das wenig Abbruch getan. Warum sollte es jetzt anders sein, wenn die geschrumpfte SPD unter Parteichef Martin Schulz allen anderen Bekundungen zum Trotz jetzt lieber doch mit Angela Merkel weiterregieren will? Indes kommt die Idee der Bürgerversicherung bei den Wählern gut an. Da mag es überraschen, dass Merkel hier noch nicht zugegriffen hat. Sie lässt es hoffentlich auch bleiben.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel und führende Unions-Politiker waren die Adressaten eines gemeinsamen Schreibens von BÄK, BZÄK, KBV, das kurz vor Beginn der zweiten Sondierungsgespräche verfasst wurde. Die Zahnarzt Woche (dzw) zitierte am 10. Januar unter der Überschrift „Kein Systemwechsel durch die Hintertür“ aus diesem Schreiben, in dem es um Einheitshonorare und Bürgerversicherung ging: „Anlass ist die Diskussion einer ,möglichen Konvergenz der Vergütungssysteme für Leistungen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung‘. Eine einheitliche Gebührenordnung, so die Unterzeichner, sei wegen völlig unterschiedlicher Rahmenbedingungen privatärztlicher und vertragsärztlicher Tätigkeit unzulässig. Das Sachleistungs- und Pauschalierungsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherungen könne dem ZBW 2/2018 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 13 Kostenerstattungs- und Einzelleistungsprinzip der Privatmedizin nicht angeglichen werden. Für die medizinische wie die zahnmedizinische Versorgung gelten zwischen GKV und PKV grundlegend unterschiedliche Vergütungsprinzipien.“ So sieht das auch Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, der in einem Interview mit der Rheinischen Post am 10. Januar wahrhaft prophetische Worte fand: „Die SPD wird ihre Pläne für eine Bürgerversicherung nicht realisieren können – und schon gar nicht in einer Legislaturperiode.“ Auf die Frage, wie sich unser Gesundheitssystem durch eine Bürgerversicherung verändern würde, antwortete er: „Es würde sich massiv verändern. Alles, was unser Gesundheitssystem qualitativ auszeichnet, läuft Gefahr zu verschwinden. Eine Umstellung würde zudem zu immensen Kosten führen. Bei der günstigsten Lösung würde der Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung von heute durchschnittlich 15,7 auf dann 16,7 Prozent steigen – nur für einen Systemwandel, der nichts in der Gesundheitsversorgung verbessert. Statt einem weißen Elefanten nachzurennen, muss eine Regierung die Probleme des Gesundheitssystems lösen, die sich beispielsweise aus der demografischen Entwicklung ergeben und die im Personalmangel und der schlechten Bezahlung in der Pflege liegen.“ Auch Befürwortern war schon lange klar, dass eine eventuelle Umsetzung der Bürgerversicherung schwierig sein würde, „selbst wenn die SPD sie von der Union als Morgengabe“ bekäme. Am 20. Dezember sagte die Ulmer Bundestagsabgeordnete und Sprecherin der Arbeitsgruppe Gesundheit der SPD-Bundestagsfraktion Hilde Mattheis in einem Interview mit der Südwest Presse, Ulm: „Ich kämpfe seit langem für eine Bürgerversicherung, aber ich kann Ihnen sagen: Das, was die Union zu geben bereit ist, wäre ein vergiftetes Geschenk. Da gäbe es wieder nur die Hälfte dessen, was wir fordern. Die Mehrheit in der Union will bei der Gesundheitsversorgung alles dem Markt überlassen und die Pflicht zur Daseinsvorsorge vergessen machen. Die Bürgerversicherung ist so ein komplexes Konstrukt, das nur richtig funktioniert und mehr Solidarität ins System bringt, wenn sie komplett umgesetzt wird.“ „Christoph Eisenring, Berlin- Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) kommentierte unter der Überschrift „Das süsse Gift der Staatsmedizin“ am 6. Januar 2018: „Die Idee der ,Bürgerversicherung‘ ist für die SPD ein Prestigeprojekt – und das seit vielen Jahren. An den derzeitigen Mängeln ändert sie jedoch nichts. […] Es ist schwer vorstellbar, dass die CDU/CSU in den Gesprächen mit der SPD eine 180-Grad-Wende machen wird. Zur Disposition stehen könnte jedoch etwa der Zusatzbeitrag. Lust, die Voraussetzungen für mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen zu schaffen, ist jedoch bei keinem der möglichen Koalitionäre zu erkennen.“ Nach Beendigung der Sondierungsgespräche und dem Bekanntwerden des 28-seitigen Ergebnispapiers war rasch klar, dass mehr als die Rückkehr zur Parität bei der Finanzierung der GKV mit CDU/ CSU nicht erreicht werden konnte. So war in den Badischen Neuesten Nachrichten vom 15. Januar zu lesen: „Martin Schulz muss jetzt viele genervte Genossen von der Großen Koalition überzeugen. Statt einer Verschmelzung der privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen zu einer Bürgerversicherung ist nur die Rückkehr zur gleichteiligen Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer herausgesprungen.“ Das rief die Gegner der GroKo auf den Plan, aber auch Genossen, die der Koalitionsbildung durchaus zugeneigt waren, forderten Nachbesserungen. Und so schrieb der Berliner Korrespondent der Ludwigsburger Kreiszeitung, Stefan Vetter, am 15. Januar unter der Überschrift „Viel erreicht“ einen Kommentar: „SPD-Vize Malu Dreyer und Vorstandsmitglied Michael Müller zum Beispiel wollen sich nicht damit abfinden, dass die Bürgerversicherung nicht kommt. Ihre Partei hat sich allerdings auch nicht um ein schlüssiges Konzept dafür gekümmert. Erst nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen kam das Schlagwort wieder zur Blüte, weil die SPD glaubte, damit eine plakative Forderung vergleichbar der des Mindestlohns zu landen. Doch während der Mindestlohn tatsächlich plakativ zu vermitteln war, ist die Bürgerversicherung eher ein abstraktes Unterfangen.“ Diese Ansicht teilt auch der Spiegel-Kommentator Severin Weiland in seiner Analyse nach dem Sonderparteitag der SPD, der nur mit knapper Mehrheit für einen Beginn der Koalitionsverhandlungen votierte. Bereits am Abend des 21. Januar war in der Online-Ausgabe zu lesen: „Die SPD hat in der Gesundheitspolitik darauf verzichtet, sich in Bonn größer zu machen als sie es als 20,5 Prozent-Partei derzeit ist. Das Wort vom Einstieg in ein Ende der Zwei-Klassen- Medizin offenbart, wie wenig die Genossen an einen grundlegenden Systemwechsel und an ein Ende der privaten Krankenversicherung glauben. Das verschafft Merkel auch auf diesem Feld Spielraum für mancherlei Kompromissvarianten.“ D. Kallenberg » info@zahnarzteblatt.de www.zahnaerzteblatt.de ZBW 2/2018
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