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Kontroverse Diskussion um die Bürgerversicherung

Ausgabe 2/2018

10 Titelthema spondent

10 Titelthema spondent Andreas Mihm. Umso überraschender, „dass die SPD den alten Politschlager aus der Tasche gezogen“ und zur Forderung in den GroKo-Sondierungen erhoben hat. Zwischen CDU/CSU und SPD seien zwischenzeitlich allerdings Kompromisse erkennbar, etwa bei der Finanzierung, weil Einkommen aus Mieten sowie Kapitaleinnahmen nicht mehr für Beitragszahlungen herangezogen werden sollen. Auch die einheitliche Gebührenordnung stößt bei maßgeblichen Gesundheitspolitikern hier wie da auf Gegenliebe – die Umsetzung aber ist „technisch anspruchsvoll“, so Mihm. Schließlich die Beamten: Sie könnten ein Wahlrecht erhalten „und einen Zuschuss zur Versicherung […], wenn sie sich gesetzlich versichern“. Wieder eingeführt wird auf Grundlage des Sondierungspapiers der paritätische Beitragssatz für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Abwehrhaltung. Unterdessen wehrten sich Spitzenvertreter der gesetzlichen Kassen im Januar gegen eine Bürgerversicherung „zu Lasten ihrer Beitragszahler“. Die offensichtlichen Probleme der privaten Krankenversicherung (PKV) dürften nicht auf dem Rücken der GKV-Beitragszahler gelöst werden, betonte Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, gegenüber dpa. Ein Stein des Anstoßes: die Wechselmöglichkeit für privatversicherte Beamte wie sie in Hamburg bereits als Gesetzesentwurf vorliegt. Dazu kommt die Befürchtung, dass höhere Arzthonorare für privat Versicherte „möglicherweise zulasten gesetzlich Versicherter angeglichen werden, falls die PKV abgelöst wird“. Gesetzlich Versicherte könnten bei einem Übergang in eine einheitliche Krankenversicherung „besonders belastet werden, wenn teure Versicherte aus der PKV wieder in die Solidargemeinschaft integriert werden, nachdem sie sich in jungen Jahren dem System entzogen haben“, wandte TK-Vorstandsvorsitzender Jens Baas ein. „Mangels Konkurrenz und Quersubventionierung werden am Ende alle gesetzlich Versicherten schlechter versorgt sein“, stellte der Vorsitzende des Beamtenbundes Ulrich Silberbach fest. Und die, die es sich leisten könnten, würden sich schlichtweg qualitativ hochwertige ärztliche Versorgung auf dem Markt dazu kaufen. Medaillen. Die Deutungen darüber, was die SPD in den Sondierungen erreicht habe, gingen sehr weit auseinander. Wohl dem, der das Ergebnis in eine differenzierte, wohlklingende Metapher kleiden kann, wie der SPD-Landeschef in Nordrhein-Westfalen, Michael Groschek: Man habe zwar keinen Siegerpokal mit nach Hause bringen können, aber „dafür ganz viele Medaillen“. Die Medaillen gibt es, wie der „Spiegel“ schreibt, für „zahlreiche kleine Maßnahmen, die Deutschland gerechter machen und für viele Schwache eine große Hilfe seien.“ » guido.reiter@kzvbw.de Sie haben gerungen, sie haben diskutiert, sie haben gestritten und am Schluss haben sie doch noch zugestimmt. Das Ringen der SPD war in den Tagen vor dem Sonderparteitag am 21. Januar 2018 kaum zu ertragen. Die ganze Republik schaute gebannt, zum Teil auch entnervt, auf diese wundregierte Partei und fieberte mit, ob diese es schaffen würde, sich nochmals zusammenzureißen. Am Schluss war die Entscheidung klar, wenn auch knapp: „Erst das Land, dann die Partei.“ Der Wille, Verantwortung durch eine Teilnahme an der Regierung zu übernehmen, setzte sich durch, die Mehrheit der Delegierten stimmte gegen die Oppositionsromantik. Die Debatte der letzten Tage kann einem deshalb – neben dem Mitgefühl – auch Respekt abnötigen: Sie haben es sich wirklich nicht leichtgemacht in einer Situation, die erst durch die schnelle Absage von Martin Schulz an eine Koalition und dann durch den plötzlichen Abgang der FDP aus den Jamaika-Verhandlungen überhaupt zustande kam. Jetzt wird wieder verhandelt und das Dilemma der SPD ist jedoch noch nicht beseitigt: Der Mitgliederentscheid wartet ja bereits am Horizont. Kommentar Was lange währt, wird endlich gut? Was nicht sein darf, ist, dass sich die Union jetzt aus Rücksicht auf die hadernde und gespaltene SPD-Basis darauf einlässt, die akzeptablen Ergebnisse des Sondierungspapiers im Gesundheitsbereich nochmals nachzuverhandeln. Wenn CDU/CSU sich auf das Spiel einlassen, eine weitere Kanzlerschaft von Angela Merkel mit einer Bürgerversicherung bzw. als Scheinkompromiss mit einer einheitlichen Gebührenordnung zu erkaufen, verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit. Mein Rat bzw. meine Forderung lautet deshalb: Finger weg von Nachverhandlungen! Die SPD-Mitglieder sind zwar in einer Schlüsselposition, aber sie dürfen nicht mehr zählen als die Mehrheit der Wähler, die den Bürgerversicherungsparteien bei der Bundestagswahl eine deutliche Absage erteilt hat. Das wäre ein Konjunkturprogramm für Politikverdrossenheit und das in einer Situation in der sich die Begeisterung der Menschen mit ihren gewählten Vertretern – nach den endlosen Verhandlungen seit der Wahl im September – schon bereits sehr in Grenzen hält. Dr. Ute Maier Vorsitzende des Vorstandes der KZV BW ZBW 2/2018 www.zahnaerzteblatt.de

Titelthema 11 Bürgerversicherung Ärzteverbände schlagen Alarm Seit die Sondierungsgespräche für eine Neuauflage der Großen Koalition nach dem Scheitern von Jamaika am 7. Januar begonnen haben, vergeht kein Tag, an dem nicht ein Ärzteverband vor der Einführung der Bürgerversicherung warnt. Eine Zusammenfassung der Warnschüsse und der Argumente. Ablehnung. Die Ärzteverbände eint die Ablehnung der Bürgerversicherung. „Das Ende der Gesundheitsversorgung, wie wir sie kennen und schätzen“, bedeute der Systemwechsel zur Bürgerversicherung, warnte der Vorsitzende des Spitzenverbandes der Fachärzte Deutschlands (Spifa), Dr. Dirk Heinrich. Seine Kollegin aus dem Vorstand des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte, Dr. Sabine Köhler, ergänzt: „Das wäre der Einstieg in eine Zweiklassenmedizin, denn für unsere Fachgruppen spielt es bisher keine Rolle, ob ein Patient privat oder gesetzlich versichert ist“. Vor einer Zweiklassenmedizin, die die SPD mit der Einführung der Bürgerversicherung eigentlich abschaffen will, warnt auch der NAV Virchow-Bund. Der Verband hat ein Positionspapier unter dem Titel „Warum eine Bürgerversicherung zu einer echten Zweiklassenmedizin führt“ vorgelegt. Der Autor, Dr. Dirk Heinrich, hält es für eine Legende, dass in Deutschland eine Zweiklassenmedizin besteht. Privat- und Kassenpatienten würden in allen wichtigen Punkten gleich behandelt – lediglich bei der Terminvergabe beim Facharzt hätten Privatversicherte einen Vorteil. Privatversicherte entzögen sich auch nicht der Solidarität, sie sei ihnen früher verweigert worden. „Weil es gesellschaftlicher Konsens war, dass gut verdienende Bürger für sich selbst zu sorgen hätten und keinen Anspruch auf die Solidarität von Beziehern mittlerer und kleinerer Einkommen hätten“. Erst aus diesem Grund sei die Versicherungspflichtgrenze eingeführt worden. Zuerst PKV-Erstattung. Im Falle der Einführung einer Bürgerversicherung, kündigten einige Ärzteverbände massive Proteste bis zu Praxisschließungen an. Diesen Protesten will sich auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte anschließen. „Im Bereich der Vorsorgeuntersuchungen Foto: Fotolia für Kinder und Jugendliche haben wir in den vergangenen Jahren große Fortschritte erzielt. Viele dieser neuen Vorsorgen wurden zunächst nur von den Privaten Krankenkassen erstattet – die meisten gesetzlichen Krankenkassen haben erst später nachgezogen“, betonte der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Dr. Thomas Fischbach. Von einer „Gleichmacherei“, die zu einer „Verschlechterung der individuellen Patientenversorgung“ führt, warnte auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Dessen stellvertretender Hauptgeschäftsführer, Dr. Norbert Gerbsch, sagte, „die PKV dient bei vielen neuen Präparaten als Eisbrecher, bevor diese auch in der GKV zum Versorgungsstandard werden“. Auch Arzneimittel, die sich bereits länger am Markt befinden, aber von der GKV nicht erstattet würden, laufen nun Gefahr für die Versorgung der Patienten zu entfallen. Sowohl Patienten als auch Ärzten stünde nicht mehr der gesamte Arzneimittelschatz für die individuell beste Therapie zur Verfügung. Sozialer Sprengstoff. Der Blick auf Länder mit einer Einheitsversicherung kann für die Sondierung nach Auffassung des Präsidenten der Ärztekammer Westfalen, Dr. Theodor Windhorst, nur dazu führen, dass das Thema endgültig vom Tisch ist und nicht mehr zur Sprache kommt. In Ländern mit Einheitsversicherung stiege die Zahl der Privatkliniken und Institutionen im privaten Bereich, um wohlhabende Patienten zu behandeln. „Für Gutverdiener, die medizinische Leistungen privat zukaufen können, wäre das sicher kein Problem – die volle Wucht des gesundheitspolitischen Kurswechsels bekommen nur diejenigen zu spüren, die sich kein Versorgungs-Update leisten können“. änd-Meldungen redaktionelle Bearbeitung A. Mader www.zahnaerzteblatt.de ZBW 2/2018

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