8 Fortbildung 31. Karlsruher Konferenz am 18. März 2016 Zähne mit hohem Sachverstand erhalten Prof. Dr. Winfried Walther, Direktor der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung in Karlsruhe, eröffnete den mit rund 400 Teilnehmern gut besuchten Kongress mit einem Bibelzitat. Schon im vielleicht mehr als 3.000 Jahre alten Hohenlied Salomos werden schöne und vollständige Zahnreihen gelobt. Kein Wunder, dass Zahnmediziner in ihrer täglichen Praxis alles tun, um „Zähne zu erhalten und, falls nötig, mit Akribie und hohem Sachverstand zu restaurieren“. Damit dies auf Basis der neuesten Erkenntnisse geschehen kann, wartete die Tagung mit einem breiten Themenspektrum zur Konservierenden Zahnheilkunde auf. Zu Beginn des Kongresses, der sich auf „Innovationen aus dem zahnmedizinischen Kernfach“ konzentrierte, ging es intensiv in die Grundlagenforschung: „Schmelzregeneration – was geht und was geht nicht?“ hieß das Thema, dessen sich Prof. Dr. Matthias Hannig, Homburg/Saar, annahm. Er gab einen Überblick über die in den letzten Jahren entwickelten Strategien, die basierend auf azellulären biomimetischen und bioinspirierten Verfahren, den natürlichen Zahnschmelz nachzubilden versuchen. Da nach Abschluss der Schmelzbildung und mit dem programmierten Zelltod der Ameloblasten kein Potenzial zur zellulären Regeneration vorhanden ist, suchen Forscher nach Möglichkeiten, die hierarchisch aufgebaute „Biokeramik“ mit ihrer komplexen Nano- und Mikrostruktur z. B. durch Apatit-Nanopartikel nachzubilden. Neues aus der Kons. Prof. Dr. Winfried Walther bot ein breites Themenspektrum. Weitere Forschung. Wirklich praxistaugliche Lösungen konnte der Leiter der Klinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Präventive Zahnheilkunde an der Universität des Saarlandes allerdings (noch?) nicht anbieten, denn die meisten Strategien zur azellulären Synthese wurden bisher nur in vitro erprobt – manche erfordern Temperaturen von bis zu 80 Grad Celsius. So stehen derzeit keine Verfahren zur Verfügung, mit denen man in der zahnärztlichen Praxis kleinere kariöse Läsionen ebenso wie Abfrakturen, Abrasionen, Erosionen oder Resorptionen mit einem schmelzähnlichen Material regenerativ behandeln kann. Heal and seal. Neue Wege in der Zahnerhaltung bei der Behandlung der Approximalkaries beschreitet Prof. Dr. Hendrik Meyer-Lückel, Aachen. In seinem Vortrag „Therapieentscheid bei okklusaler und approximaler Karies“ plädierte er dafür, vom Prinzip „drill and fill“ zum „heal and seal“ überzugehen und die erste Kariesbehandlung möglichst hinauszuzögern, weil „technische Lösungen für biologische Probleme“ nicht das Mittel der Wahl seien. Seine Forschungsschwerpunkte, die u. a. Kariesprävention und mikroinvasive Kariesbehandlung umfassen, ließen ihn zu folgendem Ansatz gelangen: Die Geschwindigkeit der Kariesprogression richtig einschätzen (durchschnittliche Penetrationsdauer einer approximalen Karies bis in den inneren Schmelz ca. 6 Jahre bei Jugendlichen) und durch möglichst noninvasive Maßnahmen die Karies stoppen. Die therapeutische Lücke zwischen präventiven und invasiven Maßnahmen kann eine neue Therapiemöglichkeit füllen, die in einer Infiltration der kariösen Approximalflächen besteht. Die nächste Stufe der Therapie beschrieb Prof. Meyer-Lückel als „kreatives Boh- Grundlagenforschung. Konzentriert folgte das Auditorium Prof. Dr. Matthias Hannig, der über die bisherigen Ergebnisse der azellulären Synthese von Zahnschmelz sprach. Fotos: Potente ZBW 5/2016 www.zahnaerzteblatt.de
Fortbildung 9 ren“ und Hören auf die Erfahrung und das Bauchgefühl. Probiotika. Der kariogene Biofilm spielte im Vortrag von Prof. Meyer-Lückel eine große Rolle. Er machte deutlich, dass Karies keine Infektionskrankheit ist, sondern eine „ökologische Katastrophe“, bei der nicht den einzelnen Bakterien die Rolle des Bösewichts zukommt, sondern allein dem Zuckerkonsum. Dergestalt vorbereitet, konnte man am Nachmittag bei dem in englischer Sprache gehaltenen Referat von Prof. Dr. Svante Twetman, Kopenhagen, auf die am Vormittag gewonnenen Erkenntnisse mühelos aufbauen. Der dänische Spezialist für Kinderzahnheilkunde fragte, ob man in der Zahnmedizin schon bereit dafür sei, Probiotika als Mittel der Prävention anzuerkennen. Er führte zahlreiche Belege dafür an, dass Präparate mit lebenden nützlichen Bakterien nicht nur einen gesundheitsfördernden Einfluss auf das Immun- und Verdauungssystem haben, sondern dass probiotische Keime auch einen Schutzfilm gegen solche Bakterien bilden können, die für Entzündungen im Mundgewebe verantwortlich sind. Dabei ist nicht die vollständige Elimination schädlicher Bakterien das Ziel des sog. Biofilm-Managements, sondern die Herstellung eines gesunden Gleichgewichts der Keime. Auswirkungen der Probiotika auf die orale Gesundheit sind derzeit nur für Karies und Parodontitis beschrieben, obwohl positive Wirkungen auch bei Halitosis und Hyposalivation denkbar sind. Der genauere Wirksamkeitsmechanismus ist noch nicht völlig erforscht, man weiß aber, dass die positive Wirkung der Probiotika in der Mundhöhle nicht nur auf die Kolonisierung des oralen Biofilms zurückzuführen ist, sondern auch auf die immunologische Wirkung über den Gastrointestinaltrakt. Der lebhafte Vortrag und die Aussicht darauf, dass Laktobazillen und Bifidobakterien (in Joghurts, Ölen, Tabletten) zur Modulation der oralen mikrobiellen Ökologie genutzt werden könnten, wurde mit viel Beifall belohnt. R2-Technik. Auf große Zustimmung musste auch Prof. Dr. Diana Wolff, Heidelberg, nicht verzichten. In ihrem Vortrag „Direkte plastische Restaurationen – gestern, heute, morgen“ berichtete sie von den Weiterentwicklungen in der Adhäsiv- und Komposittechnologie und ging ausführlich auf die Versorgung subgingivaler und auch tief subgingivaler Kavitäten mit Kompositrestaurationen ein. Bisher bezieht sich die Literatur über zweizeitige Restaurationstechniken auf ein direkt eingebrachtes Basismaterial und eine anschließende indirekte Versorgung mit Inlays oder Teilkronen. Mit der Heidelberger zweiphasigen direkten Kompositrestauration (R2-Restauration) ist es jedoch möglich, nach der Optimierung der Kavität in der ersten Phase in einer zweiten Phase eine direkte restaurative Versorgung vorzunehmen. Wie die Referentin in eindrucksvollen Bildern zeigte, können bei guter häuslicher Mundhygiene (unter Verwendung von individuell angepassten Interdentalbürstchen) auch extrem tiefe subgingivale Kompositrestaurationen entzündungsfrei bleiben, selbst wenn bei der Restauration der Toleranzbereich der biologischen Breite unterschritten wurde. Praktische Übungen. Mit zum Angebot der Karlsruher Konferenz gehören auch die Workshops am folgenden Tag, die in der für solche Veranstaltungen ideal ausgestatteten neuen Akademie in der Lorenzstraße stattfinden und auch praktische Übungen mit einschließen. So konnte neben dem Üben von Nahttechniken und endodontischen Kniffen auch kieferorthopädisches Know-how erworben und modernste Abdrucktechniken vermittelt werden. Gut besucht war auch der Workshop von Dr. Simone Ulbricht, Karlsruhe, die unter dem Titel „Der pulpitische und der avitale Milchzahn“ effiziente Techniken in der Kinderzahnheilkunde vorstellte. Dorothea Kallenberg » info@zahnaerzteblatt.de Approximalkaries. Prof. Dr. Hendrik Meyer-Lückel bevorzugt „heal and seal“. Probiotika. Prof. Dr. Svante Twetman sprach über nützliche Bakterien. Subgingivale Kavitäten. Prof. Dr. Diana Wolff erläuterte die zweiphasige direkte Kompositrestauration. www.zahnaerzteblatt.de ZBW 5/2016
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