24 Fortbildung Kieferkammatrophien und Knochendefekte Implantatgetragene prothetische Versorgungen Heute gelingen auch bei komplexen Defektsituationen zufriedenstellende kaufunktionelle Rehabilitationen der betroffenen Patienten. Das ermöglicht ein mittlerweile großes Portfolio an Techniken, die zum einen bereits dem Knochenabbau vorbeugen, zum anderen eine Rekonstruktion des knöchernen Lagers erlauben. Eine wesentliche Bedeutung kommt hierbei der implantatgetragenen prothetischen Versorgung zu, mit der ein Erhalt oder eine Wiederherstellung der Lebensqualität möglich wird. Im dritten Teil der Serie zum Thema Kieferkammatrophien und Knochendefekte werden Algorithmen zur Versorgung von Patienten nach komplexen rekonstruktiven Maßnahmen beschrieben. Bei der Therapie maligner oder benigner Tumoren im Kopf-Hals-Bereich stellt die Resektion des betroffenen Knochens und der angrenzenden Weichgewebe für die meisten Entitäten noch immer den Goldstandard dar. Kieferresektionen können ebenfalls im Zusammenhang mit Osteoradionekrosen nach Strahlentherapie oder auch bei medikamenteninduzierten Kiefernekrosen (MRONJ) erforderlich werden. Für die betroffenen Patienten resultieren daraus je nach Größe, Lokalisation und Art der beteiligten Strukturen unterschiedlich starke funktionelle und ästhetische Einschränkungen. Unter ungünstigen Umständen können in der Folge das Abbeißen und Zerkauen fester Speisen sowie die Schluckfunktion stark bis vollständig eingeschränkt sein, sodass eine normale Nahrungsaufnahme unmöglich und die Ernährung z. B. über eine Magensonde (PEG) erforderlich wird. Um diese Einschränkungen für Patienten auf ein Minimum zu reduzieren, gilt es, die resezierten Strukturen möglichst frühzeitig und adäquat („close to original“) zu rekonstruieren. Abhängig von der Defektgröße und -lokalisation sowie der Qualität der Empfängerstelle zeigt der Einsatz von autologen, nicht-vaskularisierten Transplantaten hier jedoch nur begrenzte Erfolgswahrscheinlichkeiten. Abb. 1 Klinische Situation nach Oberkieferteilresektion (Abb. 1 und 2). Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Intraoperativer Situs im Rahmen der Rekonstruktion vor Einbringen des gefäßgestielten Transplantats (Abb. 3). Mikrovaskuläres Skapulatransplantat und ausgedrucktes Schädelmodell (Abb. 4). ZBW 5/2016
Fortbildung 25 Zur Rekonstruktion des Gesichtsschädels ist heute der freie mikrovaskuläre Gewebetransfer, idealerweise mit knöchernem Transplantatanteil, an den Kliniken als Routineverfahren etabliert. Hiermit gelingt eine zuverlässige und ausreichende Rekonstruktion der betroffenen Strukturen. Für Rekonstruktionen des Ober- und Unterkiefers hat sich die Verwendung von mikrochirurgisch revaskularisierten Beckenkamm-, Fibula- und Skapulatransplantaten bewährt. Diese Transplantate ermöglichen über den Defektverschluss hinaus auch die Wiederherstellung der knöchernen Kontinuität, eine funktionelle Verbesserung sowie die Voraussetzung für eine anschließende implantatgetragene kaufunktionelle Rehabilitation. Bei allen drei Transplantattypen ist die Knochenmenge in der Regel ausreichend, um dentale Implantate zu inserieren. Dennoch haben die beschriebenen Transplantate ihre jeweiligen Stärken und Probleme. Beckenkammtransplantat. Das gefäßgestielte Beckenkammtransplantat, welches mit der A. circumflexa ileum profunda entnommen wird, bietet aufgrund seiner vertikalen Dimension eine gute Möglichkeit, die Gesamthöhe eines vollbezahnten Unterkieferkörpers zu rekonstruieren. Nachteil dieses Transplantats ist jedoch seine geringe Länge, weshalb es nur in der Lage ist, kürzere Strecken von 8 bis 10 Zentimeter, wie sie bei Unterkieferkontinuitätsresektionen entstehen, zu überbrücken. Eine weitere Einschränkung ergibt sich ferner durch die Länge des Gefäßstiels, welcher später das Transplantat versorgt. Fibulatransplantat. Das gefäßgestielte Fibulatransplantat ist aufgrund seiner Anatomie in der Lage, besonders langstreckige Defekte zu überbrücken. Es ist aufgrund seiner Form ebenfalls geeignet, das Kiefergelenk zu ersetzen. Eine weitere Stärke liegt in der Entnahmemöglichkeit zweier getrennter Hautinseln, die sowohl intra- wie auch extraoral positioniert werden können. Ebenso ermöglicht sein sehr langer Gefäßstiel die gute Positionierbarkeit des Transplantates. Nachteilig ist jedoch die geringe vertikale Transplantatdimension. Während für einen atrophen Unterkiefer die vertikale Dimension ausreichend sein kann, tritt bei einem bezahnten Patienten ein deutlicher Niveauunterschied zwischen Restkieferkamm und Transplantat auf. Zur Kompensation dieses Problems kann das Transplantat in „gedoppelter“ Form eingesetzt werden oder aber der Niveauunterschied muss sekundär augmentativ mit freiem Knochen ausgeglichen werden. Skapulatransplantat. Das gefäßgestielte Skapulatransplantat ist sehr gut geeignet, um sowohl Teile des Unterkiefers wie auch den kompletten Oberkiefer zu ersetzen. Abhängig von der Defektart kann das Transplantat im Oberkiefer sowohl horizontal wie auch vertikal eingesetzt werden. Mit dem Knochen kann ferner auch ein nahezu beliebig großer Weichteillappen transplantiert werden. Die intraoral freiliegende muskuläre Bedeckung der Skapula wandelt sich durch sekundäre Granulation in Gewebe um, welches der Mundschleimhaut sehr ähnlich ist. Nachteil des Transplantats ist das geringe Knochen- Abb. 5 Vollständiger Defektverschluss nach Einheilen des Skapulatransplantates (Abb. 5). Abb. 6 Abb. 7 Virtuelle Implantatplanung mit eingesetzter Bariumsulfatschablone (Abb. 6 und Abb. 7). Abb. 8 Intraoperative Situation nach Insertion von 3 Implantaten (Abb. 8). Fotos: Dr. Mertens www.zahnaerzteblatt.de ZBW 5/2016
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