14 Fortbildung 41. Jahrestagung der südbadischen Zahnärzteschaft in Rust Risiken sind allgegenwärtig Die wissenschaftliche Fortbildungstagung im Europark war ein voller Erfolg: über 800 Teilnehmer beim zahnmedizinischen Kongress und viel Zuspruch auch für das erstmals auf den Weg gebrachte Spezialpodium Kieferorthopädie. Ein lebhafter Pre-Congress mit acht praxisrelevanten Themen, Seminare für Studierende und für das Praxisteam, ein Get-together auf der vergrößerten Ausstellungsfläche und ein rundum gelungener Gesellschaftsabend – was wünscht man sich mehr. Nach der positiven Resonanz auf den neuen Tagungsort lud die Bezirkszahnärztekammer Freiburg am 8. und 9. April 2016 erneut in das Confertainment-Center des Europa-Parks in Rust. Der Vorsitzende der Bezirkszahnärztekammer Freiburg, Dr. Peter Riedel, der die zahlreich anwesende zahnärztliche Prominenz begrüßte und dabei auch Standesvertreter aus dem Elsass mit einbezog, musste nicht eigens erwähnen, dass im Vergleich zum ersten Kongress in Rust kräftig in die Tagungstechnik investiert worden war. Die großen Projektionen, ein angenehmes Klima und ein satter Raumklang waren sofort zu bemerken und boten ideale Voraussetzungen, um den Vorträgen mit ungeteilter Aufmerksamkeit folgen zu können. Ständiger Begleiter. In Sichtweite von bis zu 70 Meter ho- hen Holz- und Stahlachterbahnen schien das Thema „Risiko erkennen – Risiko vermeiden“ durchaus in der Luft zu liegen. Der wissenschaftliche Leiter des Kongresses, Prof. Dr. Elmar Hellwig, Freiburg, hatte neun renommierte Referenten aus dem In- und Ausland eingeladen, die mit ihren Vorträgen dazu beitrugen, vor der Behandlung Risiken zu erkennen und bei der Behandlung Risiken zu vermeiden. Zu Beginn definierte er den Begriff Risiko und grenzte ihn gegen Wagnis und Gefahr ab. „Risiko ist unser ständiger Begleiter“, gab Prof. Hellwig zu bedenken – und „eine vollständige Risikobegrenzung in der Praxis kann man nur dann erzielen, wenn man dort nicht mehr arbeitet“. Risikoreiche Implantate. Dass Implantate kein Zahnersatz ohne Risiko sind, machte im ersten Vortrag Prof. Dr. Giovanni Salvi, Bern, deutlich. Er riet von prophylaktischen Zahnextraktionen ab und appellierte an die Zahnärzteschaft, auch kompromittierten Zähnen zunächst eine Chance zu geben. Neueste Untersuchungen, die eine Zehn-Jahres-Überlebensrate von zahngetragenen Brücken (n 1218) mit 89,2 Prozent und von implantatgetragenen Brücken (n 219) mit 86,7 Prozent angaben, legten die Empfehlung nahe, zunächst zahngetragene Restaurationen in Betracht zu ziehen. „Implantate können Sie immer noch setzen.“ Vor einer Implantation sollte aber immer eine erfolgreiche Parodontitistherapie stehen. Die Überlebensrate von implantatgetragenen Rekonstruktionen hängt, so Prof. Salvi, von der Frühdiagnostik (klinisch und radiologisch) einer Periimplantitis, einer adäquaten Therapie und der langzeitigen Nachsorge des Patienten ab, wobei Implantate bei Rauchern höhere Verlustraten aufweisen. Als Risikofaktoren benannte er u. a. unentdeckte Zementreste im Sulkus, die eine signifikant höhere Prävalenz für periimplantäre Entzündung bis hin zu schwerem Knochenverlust aufweisen. Seine Alternative: Verschrauben und mit Komposit verschließen. Internationale Referenten. Der wissenschaftliche Leiter des Kongresses, Prof. Dr. Elmar Hellwig (r.), hatte renommierte Wissenschaftler eingeladen, darunter Prof. Dr. Giovanni Salvi (l.) und Prof. Dr. Gottfried Schmalz. Teilnehmerrekord. Der Vorsitzende der Bezirkszahnärztekammer Freiburg, begrüßte rund 800 Teilnehmer. ZBW 5/2016 www.zahnaerzteblatt.de
Fortbildung 15 Vielgefragt. Im Anschluss an ihren Vortrag beantwortete Prof. Dr. Diana Wolff viele Fragen. Gewaltprävention. Prof. Dr. Stefanie Ritz-Timme sprach über Patienten, die Gewalt erfahren haben. Praxisbegehung. Prof. Dr. Jürgen Becker informierte über für Hygienekontrollen zuständige Sachverständige. Fotos: Bamberger Sichere Materialien. Obwohl Unverträglichkeiten von zahnärztlichen Werkstoffen selten sind, muss der Zahnarzt den jeweils geeigneten Werkstoff auswählen und im Rahmen der „Risikokommunikation“ seine Patienten über unerwünschte Reaktionen informieren. Prof. Dr. Gottfried Schmalz, Regensburg, plädierte dafür, dem häufig vorinformierten Patienten zu erklären, dass es kein Null-Risiko gibt, aber bei Beachtung der entsprechenden Richtlinien die Häufigkeit von Nebenwirkungen auf zahnärztliche Werkstoffe gering ist. Dennoch werden immer wieder Substanzen, heute vor allem das Bisphenol-A aus Komposit-Kunststoffen, für Beschwerden verantwortlich gemacht. Nach dem gegenwärtigen Wissensstand kann man davon ausgehen, dass keine Gefährdung der Bevölkerung („allgemeines Risiko“) vorliegt. Dennoch muss das individuelle Risiko abgeklärt und bei nachgewiesenen Allergien, während der Schwangerschaft oder bei schweren Nierenschäden besondere Vorsicht an den Tag gelegt werden. Direkte Restauration. Diesen Gedanken nahm am Nachmittag Prof. Dr. Diana Wolff, Heidelberg, auf, die über das Risiko subgingivaler Kompositrestauration sprach und die Heidelberger R2-Technik demonstrierte, mit der auch tief zerstörte Zähne mit direkten Restaurationen versorgt werden können. In eindrucksvollen Bildern zeigte sie, wie entzündliche Prozesse zu vermeiden sind, selbst wenn im Einzelfall der Toleranzbereich der biologischen Breite unterschritten wird. Häusliche Gewalt. Eine ganz spezielle Form von Risiken sprach Prof. Dr. Stefanie Ritz-Timme, Düsseldorf, an. Die Direktorin des Institutes für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Düsseldorf geht davon aus, dass Zahnärztinnen und -ärzte die Spirale der häuslichen Gewalt zum Stillstand bringen können, wenn sie äußere Zeichen richtig deuten und sich klar machen, dass Gewalt in der Familie nicht mit einem bestimmten Bildungsstand, dem Einkommen oder einer sozialen Schichtzugehörigkeit assoziierend ist. Einer repräsentativen Umfrage zufolge hat jede vierte Frau zwischen 16 und 85 Jahren in Deutschland mindestens einmal Gewalt in einer Beziehung erlebt. Prof. Ritz-Timme machte klar, dass man die ärztliche Schweigepflicht brechen darf, wenn es dem Wohl des Gewaltopfers dient, es dadurch vor weiteren Übergriffen geschützt werden kann. Das gilt auch für den sog. dental neglect, die Vernachlässigung der Zahnpflege bei Kindern mit Auftreten zahnmedizinischer Befunde, was nicht nur eine Gefährdung des Kindeswohls darstellt, sondern auch den Verdacht auf Misshandlung nahelegt. Hilfreiche Downloads für das Erkennen der Folgen von Gewalt, die gerichtsfeste Dokumentation von Verletzungen sowie für Beratung und Weitervermittlung findet man unter gobsis.de Praxis-Hygiene. Prof. Dr. Jürgen Becker, Düsseldorf, der als Leiter der Arbeitsgruppe Zahnmedizin die RKI-Empfehlung „Infektionsprävention in der Zahnheilkunde – Anforderungen an die Hygiene“ mit erarbeitete, gab in seinem Vortrag „Praxishygiene: Risiken erkennen und vermeiden“ einen Überblick über die aktuelle Rechtslage und erläuterte u. a. die großen regionalen Unterschiede. Die Praxisbegehungen, die derzeit in Baden-Württemberg für große Unruhe sorgen, sind Ländersache. Dabei arbeiten einige Länder eng mit den Zahnärztekammern zusammen, sodass im Bereich Westfalen-Lippe Sachverständige der Kammer für diese Kontrollen zuständig sind, in Nordrhein hingegen Beamte. Lebenselixier Risiko. Der Festvortrag, bei dem die Extrembergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner in die Welt der Achttausender entführte, war abgestimmt auf das Tagungsthema und die Österreicherin zeigte anhand von eindrucksvollen Bildern und Videos, wie die hohen Berge zu ihrem Lehrmeister wurden. Die erste Frau, die sämtliche Achttausender ohne Flaschensauerstoff bestiegen hat, konnte nach sechs abgebrochenen Versuchen den K2, den zweithöchsten Berg der Welt, von China aus über die Nordflanke bezwingen. In ihrem Vortrag betonte sie wiederholt die Wichtigkeit von Willensstärke und Disziplin, beschwor aber auch Teamgeist, Vertrauen und Zusammenhalt. Dorothea Kallenberg » info@zahnaerzteblatt.de www.zahnaerzteblatt.de ZBW 5/2016
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