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Kinderzahnheilkunde

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ZBW 11/12 2024

40_FORTBILDUNG

40_FORTBILDUNG ZBW_11-12/2024 www.zahnaerzteblatt.de 59. Bodenseetagung der Bezirkszahnärztekammer Tübingen ZAHNMEDIZIN IM WANDEL Mitte September fand in Lindau die 59. Bodenseetagung unter der Leitung von Professor Dr. Bernd Haller statt. Im Fokus der Veranstaltung standen aktuelle Entwicklungen und Heraus- forderungen in der Zahnmedizin. Unter dem Motto „Zahnmedizin im Wandel – Was kommt? Was bleibt? Was kann weg?“ diskutierten renommierte Expert*innen über zukünftige Trends, bewährte Methoden und veraltete Ansätze in der Zahnheilkunde. Fotos: Michael Bamberger Dr. Markus Steybe, Vorsitzender der Bezirkszahnärztekammer Tübingen, begrüßte die Teilnehmer*innen und betonte die besondere Bedeutung der Tagung angesichts von Herausforderungen wie der nicht angepassten GOZ, der Budgetierungen und wachsender bürokratischer Hürden. Die Veranstaltung biete die Gelegenheit, sich auszutauschen, Strategien zu teilen und Lösungen zu finden, um trotz dieser Widrigkeiten eine exzellente zahnärztliche Versorgung zu gewährleisten. Dr. Steybe appellierte an die Teilnehmenden: „Lassen Sie uns diese Tage nutzen, um uns nicht nur fachlich weiterzubilden, sondern auch gemeinsam für eine bessere Zukunft unserer Berufsgruppe einzutreten.“ Professor Dr. Bernd Haller, Fortbildungsreferent der BZK Tübingen, erläuterte das Motto: „Zahnmedizin im Wandel – Was kommt? Was bleibt? Was kann weg?“ Er betonte, dass die Zahnmedizin durch Innovationen stetig voranschreite, was sowohl die Praxis als auch die Zukunft der Versorgung präge. Jede Neuerung werfe jedoch die Frage auf: „Was ist notwendig, was nützt den Patienten, und was kann weggelassen werden?“ Fortschritt bedeute auch, Altes zugunsten von Neuem loszulassen. Die Tagung solle daher helfen, den Blick auf relevante Innovationen und ihren praktischen Nutzen zu richten. ZAHNERHALTUNG Unter dem Titel „Restaurative Zahnerhaltung: Was hat sich bewährt? Was ist überholt? Was wird kommen?“ gab Prof. Dr. Olga Polydorou, Freiburg, einen differenzierten Überblick über die Entwicklungen in der restaurativen Zahnheilkunde. Sie spannte dabei einen weiten Bogen über bewährte, überholte und zukünftige Ansätze. Zu den überholten Praktiken zählte sie Amalgam, unnötig invasive Behandlungsansätze und die vollständige, aggressive Kariesexkavation. Bewährt haben sich hingegen Kompositmaterialien, die Inkrementtechnik, Bulk-Fill-Komposite sowie die Reparatur von Restaurationen als effektive Therapiemöglichkeit und die erweiterte Anwendung von Kompositmaterialien in Grenzfällen. Die Zukunft der restaurativen Zahnerhaltung wird laut Prof. Polydorou weiterhin minimalinvasiv und substanzschonend sein, wobei neue Ansätze wie antibakterielle Materialien und verbesserte Dentaladhäsive in den Fokus rücken. Biokompatible und bioaktive Werkstoffe spielen dabei eine zentrale Rolle. Zudem wird die humanund ökotoxikologische Exposition verstärkt beleuchtet, um Gesundheitsrisiken zu minimieren. KÜNSTLICHE INTELLIGENZ Dr. Sascha Herbst, München, beleuchtete in seinem Vortrag „Künstliche Intelligenz in der Zahnmedizin – Perspektiven und Herausforderungen“ die Möglichkeiten von KI-basierten Technologien zur Unterstützung des Praxisalltags. KI kann Datenmuster erkennen, die für Menschen zu komplex sind, und so wertvolle Informationen liefern. Er erklärte, wie künstliche Neuronale Netzwerke durch die Gewichtung verschiedener Merkmale komplexe Vorhersagen treffen. Während „shallow learning“ nur wenige Schichten verwende, ermögliche Deep Learning durch mehr Ebenen eine automatische Mustererkennung in großen Datenmengen. In Zukunft könnte die KI sowohl diagnostische Prozesse unterstützen als auch in der Telezahnmedizin, der Erstellung personalisierter Patienteninformationen und Risikoprofile und der Anbindung an digitale Patientenakten eine zentrale Rolle spielen – die Zahnärztin oder der Zahnarzt bleibe dabei jedoch stets der entscheidende Faktor, der die KI-Ergebnisse kritisch beurteilt und in die individuelle Patientenversorgung integriert. ORALE KIEFERCHIRURGIE In seinem Vortrag „Was kommt, was bleibt, was kann weg in der oralen Kieferchirurgie?“ skizzierte Prof. Dr. Dr. Bernd Lethaus, Tübingen, aktuelle Entwicklungen. Im Zusammenhang mit den Medika-

ZBW_11-12/2024 www.zahnaerzteblatt.de 41_FORTBILDUNG Apell. Dr. Markus Steybe rief dazu auf, die Tagung zu nutzen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Innovativ. Prof. Dr. Bernd Haller unterstrich, dass die Tagung wertvolle Impulse für die Zukunft setzen solle. menteninduzierten Knochennekrosen (MRONJ) erläuterte er die sich stetig wandelnden Medikamentengruppen. Dazu zählen neben den bekannten Bisphosphonaten auch Angiogenese-Hemmer wie Tyrosinkinase-Inhibitoren, RANKL- Antikörper, die in der Osteoporose-Therapie eingesetzt werden, sowie DMARDs (disease modifying antirheumatic drugs), die vor allem bei entzündlichen Erkrankungen eine Rolle spielen. In der Therapie habe sich in den letzten fünf Jahren ein Paradigmenwechsel vollzogen und es erfolge nun ein frühzeitigeres Eingreifen. Dabei werde der betroffene Knochen freigelegt und das nicht durchblutete nekrotische Gewebe chirurgisch entfernt. Zur Unterstützung dieses Prozesses kommen Fluoreszenzmittel zum Einsatz, die das nekrotische Gewebe sichtbar machen und so eine präzisere und effektivere Entfernung ermöglichen. In die Zukunft blickend sieht Prof. Lethaus großes Potenzial im Tissue Engineering und der Verwendung von PRF (platelet-rich fibrin). Technologische Innovationen wie Augmented Reality und Guided-Techniken in Echtzeit könnten die Effizienz in der oralen Chirurgie weiter verbessern. KINDERZAHNHEILKUNDE Prof. Dr. Katrin Bekes, Wien, gab in ihrem Vortrag ein umfassendes Update zur Kinderzahnheilkunde und thematisierte dabei zentrale Herausforderungen. Frühkindliche Karies (ECC) bleibe trotz intensiver Bemühungen ein ungelöstes Problem, das vor allem auf Defizite in der zahnärztlichen Betreuung von Kindern unter drei Jahren zurückzuführen sei. Für eine erfolgreiche Prävention sei es wichtig, dass Kleinkinder idealerweise bereits vor ihrem ersten Geburtstag dem Zahnarzt vorgestellt werden sollten. Da die Entwicklung gesunder Ess- und Mundhygienegewohnheiten eine entscheidende Rolle in der Prävention von ECC spiele, sei es daher besonders wichtig, die Eltern frühzeitig aufzuklären. Ein weiteres Thema war die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH), ein qualitativ bedingter Schmelzdefekt an einem oder mehreren ersten bleibenden Molaren, oft auch mit Beteiligung der bleibenden Inzisiven. Sie betreffe inzwischen jedes vierte Kind, unterstrich Prof. Bekes, wobei die genaue Ätiologie nach wie vor ungeklärt sei. Es gebe vier Schweregrade der MIH, und die Therapie hänge von der schwere der Erkrankung, dem dentalen Alter, dem sozialen Hintergrund und den Erwartungen ab. Prophylaktische Maßnahmen umfassen die Anwendung von Zahnpasten mit Calcium und Phosphat sowie die Fissurenversiegelung. Bei fortgeschrittenen Fällen kämen restaurative Maßnahmen zum Einsatz wie das provisorische Abdecken der Zähne mit Glasionomerzement oder die Extraktion. KIEFERORTHOPÄDIE Prof. Dr. Dr. Bernd Lapatki, Ulm, widmete sich in seinem Vortrag der skelettalen DER BESONDERE VORTRAG Verankerung durch Minischrauben, auch als sogenannte „temporary anchorage devices“ (TADs) bekannt. Ihre Einführung habe schwierige kieferorthopädische Behandlungen erheblich vereinfacht. Im Oberkiefer werden sie vorwiegend in der sogenannten „T-Zone“ am Gaumen inseriert, die sich über den anterioren Gaumen und den suturalen Bereich erstreckt. Solche TAD-gestützten Apparaturen eignen sich besonders gut für die Molarendistalisation und -mesialisation sowie zur basalen Expansion der Maxilla. Darüber hinaus ermöglichen interradikulär platzierte TADs im Oberkiefer präzise Zahnbewegungen in allen drei Dimensionen, wie die Mobilisation verlagerter Zähne oder die Intrusion bzw. Extrusion von Front- oder Seitenzähnen, ohne unerwünschte Effekte auf benachbarte Zähne. Im Unterkiefer basieren skelettal verankerte Apparaturen primär auf interradikulären TADs, da alternative Verfahren oft invasiver seien und bei vielen Patient*innen auf Vorbehalte stoßen. Beson- Der traditionelle „Besondere Vortrag“ in Lindau widmete sich in diesem Jahr dem hochaktuellen Thema der Künstlichen Intelligenz (KI). Prof. Dr. Christian Montag, Molekularpsychologe aus Köln, sprach über Vertrauen in Künstliche Intelligenz und beleuchtete aus psychologischer Sicht, warum viele Menschen der KI skeptisch gegenüberstehen. Er hob hervor, dass Künstliche Intelligenz nicht isoliert agiere, sondern immer im Kontext kultureller und politischer Rahmenbedingungen verstanden werden müsse. Nur so lasse sich eine differenzierte Haltung gegenüber der fortschreitenden KI-Entwicklung entwickeln. Im Mittelpunkt seines Vortrags stand das sogenannte IMPACT-Rahmenwerk, ein Akronym für Interplay of Modality (Wechselspiel der Modalität), Person (Person), Area (Einsatzgebiet), Country/Culture (Land/Kultur) und Transparency (Transparenz). Dieses Modell zeige, dass Faktoren wie die Art der KI, individuelle Variablen wie Alter oder Persönlichkeit, das Einsatzgebiet (z. B. Medizin vs. Militär), das kulturelle und politische Umfeld sowie die Transparenz der KI-Technologie entscheidend für das Vertrauen in KI sind.

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