26_TITELTHEMA ZBW_11-12/2024 www.zahnaerzteblatt.de Interdisziplinäre Therapieansätze bei seltenen und syndromalen Erkrankungen INTEGRATIVE KIEFERORTHOPÄDIE Zahlreiche seltene und syndromale Erkrankungen zeigen auch orofaziale Manifestationen, die frühzeitig und interdisziplinär behandelt werden sollten. Die Kieferorthopädie bietet in Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Disziplinen wichtige therapeutische Ansätze zur Behandlung komplexer Syndrome mit orofazialen Problemen. Dieser Beitrag stellt anhand von Einzelfallbeschreibungen dar, wie interdisziplinäre Kooperationen zu erfolgreichen Behandlungsergebnissen führen können. Im Folgenden werden klinische Fälle von Patient*innen mit Frontonasalem Dysplasiesyndrom, der Pierre-Robin-Sequenz, dem Franceschetti-Syndrom, Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und weiteren komplexen Entwicklungsstörungen vorgestellt. Anhand von klinischen Bildern mit orofazialen Problemen werden die vielfältigen therapeutischen Möglichkeiten aufgezeigt, um die Bandbreite der Behandlungsansätze zu veranschaulichen. Die Kieferorthopädie ist ein medizinisches Fachgebiet, das sich nicht nur auf Zahnkorrekturen konzentriert, sondern auch maßgeblich zur Behandlung von Patienten mit orofazialen Fehlbildungen beitragen kann. Insbesondere bei komplexen Syndromen, die oft mehrere medizinische Disziplinen betreffen, erfordert die Therapie eine enge Zusammenarbeit mit Neonatologie, Pneumonologie, Otologie, Ophthalmologie und Chirurgie sowie funktioneller Therapie. FRONTONASALES DYSPLASIESYNDROM Eine Patientin mit der sehr seltenen Erkrankung eines Frontonasalen Dysplasiesyndroms. Im Alter von fünf Monaten zeigte sich eine ausgeprägte Gesichtsasymmetrie sowie eine prämature Coronarnahtsynostose, die ein frontoorbitales Advancement durch pädiatrische Neurochirurgie und MKG-Chirurgie erforderlich machte (1a). Mit zweieinhalb Jahren waren weiterhin Auswirkungen der Erkrankung auf Gesichts- und Kieferentwicklung deutlich sichtbar: stark asymmetrisches Gesichtswachstum, Mittelgesichtshypoplasie, beidseitiger Kreuzbiss und frontal weit offener Biss (1d). Darüber hinaus litt die Patientin an einer ausgeprägten Zungenfehlfunktion sowohl im Schlaf als auch im Wachzustand (1b). Im Verlauf der kieferorthopädischen Behandlung im Milchgebiss mit Gaumennahterweiterungsapparatur und Delairemaske und intensiver funktioneller logopädischer Therapie zeigt sich eine Verbesserung der Kieferrelation und eine Harmonisierung der orofazialen Funktionen. Im Wechselgebiss wurde weiter mit Delairemaske und funktionskieferorthopädischen Geräten (1c) behandelt. Die langfristige Behandlung führte zu einer signifikanten Harmonisierung der Kiefer- und Gesichtsrelationen (1e, 1f). PIERRE-ROBIN-SEQUENZ Bei einem neugeborenen Patienten mit extremer Unterkie- 1a 1b 1c 1d 1e 1f
ZBW_11-12/2024 www.zahnaerzteblatt.de 27_TITELTHEMA 2a 2b 2c 2d 2e 2f 2g ferrücklage (2a), Dorsallage der Zunge, Gaumenspalte (2b) und schwerer Atemnot mit extremen inspiratorischen sternalen Einziehungen (2c) wurde zur Vermeidung einer Tracheotomie eine Tübinger Atmungsplatte eingesetzt (2d). Die Tübinger Atmungsplatte hat einen endoskopisch angepasstem velopharyngealem Fortsatz, der bis zur Vallecula der Epiglottis reicht. Durch die Platte wird die Zunge aus ihrer retralen Fehlposition in die physiologische Stellung gebracht. Diese Maßnahme führte spontan zu einer freien Atmung. Abbildung 2e zeigt das Kind im Alter von vier Monaten noch mit eingesetzter Atmungsplatte. Nach sechs Monaten Behandlungszeit mit Atmungsplatte und intensiver logopädischer Therapie war die Zungenlage und die Unterkieferposition korrigiert und damit die Platte für die Atmung nicht mehr erforderlich. Im Alter von zwölf Monaten (2f, 2g) zeigte sich eine ausgesprochen erfreuliche motorische und kognitive Entwicklung. Der chirurgische Verschluss der Gaumenspalte erfolgte mit 13 Monaten. FRANCESCHETTI-SYNDROM Bei dieser Patientin bestand postpartal extremste Atemnot. Nur durch sofortige Intubation (3a), die nach einigen Tagen 3a 3b 3c 3d 3e 3f
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