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Kinderzahnheilkunde

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ZBW 11/12 2024

24_TITELTHEMA

24_TITELTHEMA ZBW_11-12/2024 www.zahnaerzteblatt.de Optimales Timing bei der Extraktion von Sechsjahrmolaren INTERDISZIPLINÄRE ZUSAMMENARBEIT FÜR LANGFRISTIGEN ERFOLG WICHTIG Aufgrund von Schmelzstörungen wie der Molaren-Inzisiven- Hypomineralisation (MIH) ist die Extraktion von ersten Molaren ein zunehmend relevantes Thema. Kieferorthopädisch ist das passende Timing der Extraktion bei mittelfristig haltbaren Zähnen von großer Bedeutung, um gute Voraussetzungen für die Einstellung der zweiten Molaren zu schaffen. Aspekte wie ein Platzdefizit zur Auflösung von Engständen sollten in die Entscheidung einbezogen werden. Grundlage für ein gutes Behandlungsergebnis ist die enge Zusammenarbeit von Kinderzahnheilkunde und Kieferorthopädie. Abbildung: Adobe Stock/Alex Mit Die Indikation für die Extraktion von Sechsjahrmolaren wird in der Regel allgemeinzahnärztlich gestellt. Die Evidenzlage lässt es gegenwärtig kaum zu, einen allgemeingültigen optimalen Extraktionszeitpunkt zu definieren 1 . Sowohl ein zu frühes wie auch ein zu spätes Handeln können hier möglicherweise zu unerwünschten Nebenwirkungen hinsichtlich der harmonischen Ausformung der Zahnbögen führen 2-4 . Für die individuelle Entscheidung bedarf es daher einer engen Absprache der Spezialisten aus Kinderzahnheilkunde und Kieferorthopädie 5 . Hinzu kommt, dass nicht jeder Fall mit der Extraktionsnotwendigkeit von bleibenden Molaren zwingend mit einem kieferorthopädischen Lückenschluss behandelt werden muss, hier sind vielfältige Gesichtspunkte für bzw. gegen ein Schließen der Lücke zu berücksichtigen. EXTRAKTIONSZEITPUNKT Um den passenden Extraktionszeitpunkt festlegen zu können, muss man sich aus zahnärztlicher Sicht zunächst einen grundlegenden Überblick über die Gebisssituation des kindlichen Patienten verschaffen. Hierfür empfiehlt sich die Anfertigung eines Orthopantomogramms, um den Entwicklungsstand der bleibenden Zähne und damit das dentale Alter beurteilen zu können 6 . Demirjian hat zur leichteren Bestimmung des Zahnalters die Mineralisation in Stadien eingeteilt 7 . So meint Stadium D eine vollständige Ausbildung der Zahnkrone, Stadium E die Bildung einer beginnenden Wurzelbifurkation und Stadium F eine Wurzelentwicklung, die wenigstens genauso weit fortgeschritten ist wie die Höhe der Krone. Eine Extraktion des 6ers im frühen bzw. ggf. auch im späten Bifurkationsstadium des 7ers (Demirjian-Stadium E – frühe Bifurkation und F – späte Bifurkation) scheint günstig zu sein, wobei der Unterkiefer variablere, schlechter vorhersagbare Ergebnisse – auch bei richtigem Timing – aufweist (ca. zwei Drittel der Patienten) 3, 4, 7-9 . Grundsätzlich scheint die Einstellung der 7er im Oberkiefer aufgrund der günstigeren Durchbruchsrichtung positiver. Es zeigen sich 1 Zeitpunkt und Prognose. Das Orthopantomogramm (07/2015) zeigt die Situation einer Patientin im Alter von neun Jahren und acht Monaten. Aufgrund der geringen Erhaltungswürdigkeit aller Sechsjahrmolaren (MIH) wird die Indikation zur Extraktion gestellt. Alle Weisheitszähne sind angelegt. Die UK 7er befinden sich in Stage E nach Demirjian (beginnende Bifurkation sichtbar). Die Extraktion erfolgte somit in einem guten Zeitraum für einen spontanen Lückenschluss.

ZBW_11-12/2024 www.zahnaerzteblatt.de 25_TITELTHEMA Abbildungen: Dr. Heberer 2 Frühzeitige Molarenextraktion. Die Patientin stellt sich im Alter von 14 Jahren und 5 Monaten im Mai 2020 in der Poliklinik für Kieferorthopädie des Universitätsklinikums Heidelberg vor. Das OPG zeigt, dass sich die Extraktionslücken in Regio 016, 026, 036 und 046 selbstständig vollständig nach der frühzeitigen Extraktion geschlossen haben. Alle zweiten Molaren (zum Extraktionszeitpunkt Stage E nach Demirjian) haben sich körperlich und mit gerader Zahnachse an Position der Sechsjahrmolaren spontan eingestellt. Neben dem Mesialdrift der Molaren hat sich hier vor allem im Unterkiefer auch die Distalwanderungstendenz der Prämolaren positiv ausgewirkt. auch nach Verpassen des optimalen Zeitpunktes adäquate Ergebnisse 2 . Engstände und das Vorhandensein von Weisheitszähnen 10 können sich hier positiv auf die Einordnung auswirken 11 . Im Oberkiefer ist dagegen laut Teo et al. sogar eine Extraktion in Stadium D der zweiten Molaren zeitlich unkritisch einzustufen (Demirjian-Stadium D – Krone ausgebildet). Jüngst wurden die Erkenntnisse zum passenden Extraktionszeitpunkt noch mal von einer Studie aus Schweden untermauert 12 . Günstige Extraktionszeitpunkte liegen zwischen acht und elfeinhalb Jahren 2 . Das Timing im Unterkiefer ist also stark von patientenindividuellen Faktoren abhängig. Die Entwicklung der zweiten und dritten Molaren wird durch die Extraktion der Sechsjahrmolaren beschleunigt 9, 13-15 . GEMEINSAME PLANUNG Die Frage nach einer Ausgleichsextraktion muss unter besonderer Einbeziehung der Abstützung sowie der vorliegenden Malokklusion individuell geklärt werden. Hier sind vielfältige Faktoren wie der Zustand der anderen 6er bzw. die Frage, ob die Behandlung in ITN durchgeführt werden muss, zu berücksichtigen. In aktuellen kieferorthopädischen Therapiekonzepten ist die Indikation für Ausgleichsextraktionen inzwischen reduziert. Zahnärzt*innen sollten bei Nichterhaltungsfähigkeit der 6er einen Kieferorthopäden in die Planung mit einbeziehen, da die Faktoren zum optimalen Extraktionszeitpunkt komplex und anomalieabhängig sein können. Daher wird in Fällen einer drohenden 6er-Extraktion bereits im frühen Wechselgebiss – idealerweise bis zum achten Lebensjahr – eine Überweisung an einen Kieferorthopäden empfohlen, um den richtigen Zeitpunkt der Extraktion und begleitender kieferorthopädischer Maßnahmen planen zu können. ZU BERÜCKSICHTIGENDE FAKTOREN Kieferorthopädisch kann die zeitliche Terminierung von mittelfristig haltbaren Sechsjahrmolaren bei ausgeprägten Engständen genutzt werden. Wartet man mit der Extraktion bis nach Durchbruch der zweiten Molaren hinter den ersten, kann die Extraktionslücke zum Ausgleich des Platzdefizits genutzt werden 2, 4, 14, 16 . Eine zu frühe Extraktion kann dagegen nicht als kieferorthopädische Platz- oder Verankerungsreserve angesehen werden, da die zweiten Molaren spontan aufwandern 3 . Im Unterkiefer dagegen beansprucht ein Mesialdrift der Seitenzähne die doppelte Zeit. Wird eine Extraktion zu lange herausgezögert, ist mit keinem vollständigen spontanen Lückenschluss mehr zu rechnen und es können ähnliche Komplikationen wie bei der Extraktion bleibender Zähne bei Erwachsenen auftreten 8, 16, 17 . Interessenskonflikt: Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenskonflikte haben. Dr. Marie-Therese Heberer, Prof. Dr. Christopher J. Lux, Poliklinik für Kieferorthopädie, Universitätsklinikum Heidelberg Das Literaturverzeichnis kann beim IZZ bestellt werden unter Tel: 0711/222966-14 oder E-Mail: info@zahnaerzteblatt.de. www.zahnaerzteblatt.de 0711 222966-14 info@zahnaerzteblatt.de Dr. Marie-Therese Heberer, Zahnärztin, Poliklinik für Kieferorthopädie, Universitätsklinikum Heidelberg Prof. Dr. Christopher J. Lux, Ärztlicher Direktor, Poliklinik für Kieferorthopädie, Universitätsklinikum Heidelberg

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