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Kinderzahnheilkunde

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ZBW 11/12 2024

20_TITELTHEMA

20_TITELTHEMA ZBW_11-12/2024 www.zahnaerzteblatt.de 1a Fotos: Julian Schmoeckel 1b Mangelnde Zahnpflege. Initialkaries bzw. frühe Formen der frühkindlichen Karies an den oberen Milchschneidezähnen (Abb. 1a und b). sich die Frage, was man tun sollte. Im Verdachtsfall ist eine zeitnahe und sorgfältige Dokumentation der durch Gewalteinwirkung oder Vernachlässigung entstandenen Befunde in der Zahnarztpraxis sinnvoll, einschließlich Fotos – sowohl Übersichts- als auch Detailaufnahmen, möglichst mit Maßstab. Eine solche Dokumentation kann im weiteren Verlauf von großer Bedeutung sein; das Fehlen einer aussagekräftigen Dokumentation kann fallabhängig von Nachteil sein. Anamnestisch sind unter anderem Ort, Datum, Zeitpunkt bzw. Zeitraum des Vorfalls, die konkrete Verletzungsursache oder der Unfallhergang (einschließlich registrierter Widersprüche) sowie verursachende und anwesende Personen zu erfassen. Das Verhalten des zu untersuchenden Kindes (z. B. adäquat, auffallend schüchtern/ängstlich, distanzgemindert) sollte ebenso wie dessen Erscheinungsbild (Ernährungs- und Pflegezustand, Bekleidung) und getätigte (Spontan-)Äußerungen dokumentiert werden. Auch das Verhalten der Bezugspersonen oder Eltern, sowohl im Kontakt mit dem Kind als auch zueinander, sollte registriert werden. In diesem Kontext sei auch auf die aktuelle S3-Leitlinie zum Kinderschutz verwiesen (AWMF S3-Leitlinie Kindesmisshandlung, -missbrauch, -vernachlässigung unter Einbindung der Jugendhilfe und Pädagogik (Kinderschutzleitlinie), Langfassung 1.0, 2019, AWMF-Registernummer: 027– 069; https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/027-069.html). Im Internet sind spezielle Befundbögen zur „forensischen Zahnmedizin“ kostenlos abrufbar, wie beispielsweise von der Zahnärztekammer Nordrhein: https://tinyurl.com/ mwbymb89. Neben der Foto- und Röntgendokumentation in der Zahnarztpraxis, mit dem Vorteil, dass dies zur Routine in der Praxis gehört, kann eine gerichtsfeste Befunddokumentationen (einschließlich einer erforderlichen Ganzkörperinspektion auf weitere Verletzungsbefunde und einer Fotodokumentation) grundsätzlich an rechtsmedizinischen Instituten bzw. rechtsmedizinischen Untersuchungsstellen erfolgen. Diese ist auf dieser Ebene auch nicht an eine Anzeige bei der Polizei gebunden. Während Erwachsene bzw. volljährige Personen unproblematisch auf eigene Initiative eine solche rechtsmedizinische Befunddokumentation nach Absprache in Anspruch nehmen können, empfiehlt sich bei Minderjährigen dringend eine vorherige Kontaktaufnahme, um relevante Voraussetzungen (Zustimmung beider sorgeberechtigter Eltern zur Untersuchung; abhängig von der rechtsmedizinischen Untersuchungsstelle Einschaltung des Jugendamtes als Auftraggeber) bereits vorab klären zu können. In diesem Kontext zeigt sich auch, welch große Bedeutung einer primären qualitativ guten Dokumentation von suspekten Befunden in der Zahnarztpraxis zukommt. WEITERE MAßNAHMEN Neben der sorgfältigen Dokumentation spielt das ärztliche Gespräch eine zentrale Rolle, um mögliche Hilfsangebote zu unterbreiten und Vertrauen aufzubauen. Unter Umständen ist auch ein abwartendes oder beobachtendes Verhalten empfehlenswert, bis eine Entscheidung zum weiteren Vorgehen getroffen werden kann. Wichtig ist unter anderem eine Kontrolle der Termintreue. Bei Zweifeln und (Befund-)Unklarheiten kann eine Konsultation der nächstgelegenen Rechtsmedizin erfolgen, um ggf. weitere Maßnahmen zu beraten. Eine Kontaktaufnahme zum Jugendamt ist möglich (siehe Bundeskinderschutzgesetz § 4 Abs. 2 KKG – Beratung durch eine insofern erfahrene Fachkraft). Alle Schritte sollten sorgfältig dokumentiert werden. Seit Juli 2017 kann über eine bundesweite medizinische Kinderschutzhotline telefonisch (anonym) Hilfe eingeholt werden (siehe Infokasten). RECHTLICHER RAHMEN Es besteht keine Meldepflicht bei Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung, außer bei Todesfällen. Der Zahnarzt unterliegt der Schweigepflicht nach § 203 im Strafgesetzbuch (StGB), sowie § 7 der Zahnärztlichen Berufsordnung zur Verschwiegenheit. Deshalb befindet er sich nicht selten in einem Interessenskonflikt zwischen dem Dienst-/Behandlungsvertrag mit dem Patienten/Eltern, doch zugleich hat er eine Garantenstellung gegenüber dem Kind. Nach § 34 (StGB) kann ein rechtfertigender Notstand von der Schweigepflicht entbinden, das heißt, nach sorgfältiger Interessen- und Rechtsgüterabwägung kann die Schweigepflicht gebrochen werden. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz zur Kooperation und Information

ZBW_11-12/2024 www.zahnaerzteblatt.de 21_TITELTHEMA 2a Fotos: Julian Schmoeckel 2b Tiefe kariöse Defekte bei ECC. Schwere Formen der frühkindlichen Karies mit insbesondere stark zerstörten Oberkieferfrontzähnen bei zwei verschiedenen vierjährigen Kindern mit typischem Befallmuster stellen einen deutlichen Marker für Kindesvernachlässigung (zumindest der oralen Pflege) dar. Diese liegt noch aktuell vor (Abb. 2a) bzw. gehört bereits der Vergangenheit an (Abb. 2b). im Kinderschutz (Bundeskinderschutzgesetz) sind Berufsgruppen, die beruflich mit Kindern Kontakt haben, also auch Zahnärzte, aufgerufen, auf Anzeichen zu achten, die auf Kindeswohlgefährdung hindeuten können. Bei Mangel einer adäquaten Gesundheitsfürsorge sollten im Gespräch mit den Kindeseltern Hilfsangebote unterbreitet werden. Wenn von einer Kindeswohlgefährdung ausgegangen werden muss, darf sich der Zahnarzt an den sozialen Dienst des örtlich zuständigen Jugendamtes wenden und den Fall mit Klartextdaten melden. FAZIT Der Zahnarzt hat oft ein langjähriges Verhältnis zu Kind und Eltern. Karies bei Kleinkindern (ECC) ist wichtiges Anzeichen eines Mangels an adäquater Gesundheitsfürsorge. Zudem können bei Vorliegen von Verletzungen im Kopfbereich sowie an Mund und Zähnen (u. a. Frontzahntrauma) bestehende Diskrepanzen zwischen Befund und Anamnese erkannt und gezielt dokumentiert werden. Gleiches gilt auch für eventuell (zusätzlich) bestehende (für den Zahnarzt sichtbare) Verletzungen an Hals bzw. Nacken, Händen und Unterarmen. Dies bietet eine einzigartige Chance, auch in der Zahnarztpraxis für den Kinderschutz tätig zu sein und im Bedarfsfall als Weichensteller für weiterführende Maßnahmen im Sinne des Kindeswohls agieren zu können. Priv.-Doz. Dr. med. dent. habil. Julian Schmoeckel, Universitätsmedizin Greifswald, Dr. med. Natalie Stanislawski, Brandenburgisches Landesinstitut für Rechtsmedizin, Potsdam www.zahnaerzteblatt.de 0711 222966-14 info@zahnaerzteblatt.de Bei der bundesweiten medizinischen Kinderschutzhotline können sich Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen, der Kinder- und Jugendhilfe und Familiengerichte rund um die Uhr telefonisch (anonym) fachkundigen Rat im Falle von Verdacht auf Kindeswohlgefährdung holen. Die Hotline wird von Ärztinnen und Ärzten betreut, die spezielles Hintergrundwissen und Weiterbildungen in Kinderschutzfragen haben. Die Beratung umfasst u. a. Informationen zu gesetzlichen Vorgaben bzgl. der ärztlichen Schweigepflicht und welche Schritte unternommen werden können oder müssen. Priv.-Doz. Dr. med. dent. habil. Julian Schmoeckel, Oberarzt/Zahnarzt, Poliklinik für Kinderzahnheilkunde, ZZMK, Universitätsmedizin Greifswald Dr. med. Natalie Stanislawski, Fachärztin für Rechtsmedizin, Brandenburgisches Landesinstitut für Rechtsmedizin, Potsdam

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