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Kinderzahnheilkunde

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ZBW 11/12 2024

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12_TITELTHEMA ZBW_11-12/2024 www.zahnaerzteblatt.de Betreuung von Kindergarten- und Schulkindern SPEZIELLE BEHANDLUNG IM MILCHGEBISS Was können der Zahnarzt und die zahnärztlichen Mitarbeiter in der Praxis für ihre Patienten im Kindergarten- und Schulalter tun? Was muss beachtet werden? Was ist empfehlenswert und worauf sollte besser verzichtet werden? Der nachfolgende Artikel gibt eine kurze Übersicht über Aktuelles aus der Kinderzahnheilkunde und hilft, Unsicherheiten bei der zahnärztlichen Betreuung dieser besonderen Patientengruppe zu reduzieren. Foto: pixabay/elijahssong HINTERGRUND Die Mundgesundheit von Kindern muss gefördert werden. Die Prävalenz der unbehandelten Milchzahnkaries in der Gruppe der ein- bis neunjährigen Kinder beträgt weltweit zwischen 20,3 bis 52,7 Prozent. In Deutschland sind 29,1 Prozent in dieser Altersgruppe betroffen 1 . Die Folgen für das Kind können eine Zerstörung des Milchgebisses, langfristig Zahnentwicklungsstörungen, Zahndurchbruchsprobleme und ein erhöhtes Kariesrisiko im bleibenden Gebiss sein. Essen, Sprechen, Lachen und Schmerzfreiheit – Grundbedürfnisse für ein gesundes Aufwachsen und Wohlbefinden. Zähne spielen dafür eine zentrale Rolle. VORSCHULALTER Frühzeitige zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen können die Eltern bereits ab dem ersten Lebensjahr für die Mundgesundheit ihrer Kinder sensibilisieren. Der zahnärztliche Kinderpass gibt Hilfestellung für das Praxisteam und die Eltern, worauf bei der Anamnese zu achten ist und zu welchen Aspekten in welchem Lebensalter beraten werden sollte 2 . Als wichtigste Risikofaktoren gelten die frequente Verabreichung zucker- und säurehaltiger Getränke mit der Saugerflasche sowie der verspätete Beginn der Zahnpflege. Eltern sind Vorbilder und verantwortlich für die regelmäßige tägliche Entfernung des Biofilms durch das Zähneputzen mit einer fluoridhaltigen Zahnpaste (1.000 ppm). Eine frühzeitige Einbindung der Familien in ein entsprechendes Kinder- und Individualprophylaxeprogramm ist zum Erlernen des Gesundheits-, Hygiene- und Ernährungsverhaltens optimal. Ergänzend dazu werden die Kinder in den Kindergärten und Schulen gruppenprophylaktisch betreut. KARIES IM MILCHGEBISS Karies an den Milchzähnen kann bereits unmittelbar nach Zahndurchbruch auftreten und innerhalb von sechs bis neun Monaten zu einer progredienten Zerstörung des gesamten Milchgebisses führen. Dabei sind entsprechend der Eruptionsreihenfolge die Oberkieferschneidezähne zuerst betroffen, bevor aufgrund der flächigen, häuslich erschwert zu reinigenden Approximalkontakte die Molaren folgen. Milchzahnschmelz hat eine geringere Schichtstärke und einen geringeren Mineralgehalt als die Zahnhartsubstanz der bleibenden Zähne. Zudem sind die Pulpenkammern weit ausgedehnt und das Dentin permeabler. Jede Dentinkaries am Milchzahn ist in der Regel auch eine Caries profunda. Die Entzündungsausbreitung über eine infizierte Pulpanekrose zu einer apikalen Parodontitis verläuft häufig asymptomatisch. Aufgrund der topografischen Lagebeziehung zwischen Milchzahnwurzel und bleibendem Zahnkeim können entzündliche Prozesse zu Entwicklungsstörungen mit mindermineralisiertem, hypoplastischem Schmelz am nachfolgenden bleibenden Zahn führen. BEHANDLUNG IM MILCHGEBISS Grundsätzlich bedarf jede Therapieentscheidung einer adäquaten Anamnese, Untersuchung und Befundung. Diese sollte neben allgemeinmedizinischen Aspekten auch die kindliche Kooperationsfähigkeit, die Behandlungsdringlichkeit und den Behandlungsumfang sowie die Wertigkeit bzw. Erhaltungswürdigkeit des zu behandelnden Zahnes einschätzen. Milcheckzähne und Milchmolaren bilden die Stützzone und sind Platzhalter für die bleibenden Zähne. Ein vorzeitiger Verlust von Milchschneidezähnen hat keine negativen Auswirkungen auf die Gebissentwicklung, allerdings für Sprache, Ästhetik und Psyche des Kindes. Nacht-, Spontan-, Berührungs-, Aufbiss- und Dauerschmerzen sind Zeichen einer irreversiblen Pulpitis bzw. apikalen Parodontitis. Die Kausaltherapie symptomatischer apikaler Paro dontitiden oder Abszedierungen stellt die Entfernung des ursächlichen Milchzahns dar. Kinder mit Fieber, progre-

ZBW_11-12/2024 www.zahnaerzteblatt.de 13_TITELTHEMA Foto: Adobe Stock/Andrey Kuzmin Sanfter Start in die Zahnpflege. Schon ab dem ersten Zahn können Eltern die Mundgesundheit bei Babys unterstützten. dientem Entzündungsverlauf, Phlegmonen und Logenabszessen sollten stationär und mit einer systemischen Antibiose behandelt werden. Eine Trepanation und ein Offenlassen des Milchzahns dürfen nur als kurzzeitige Notfallbehandlung angesehen werden, dem eine zeitnahe Extraktion folgen muss. Milchzähne mit Fistel, Austritt von Pus oder Exsudat, Pulpapolyp, Gangrän oder apikaler Parodontitis sind nicht erhaltungswürdig. Dies gilt auch für einen durch Zahntrauma tief frakturierten, erheblich dislozierten oder stark gelockerten Milchzahn. Zum Schutz des nachfolgenden Zahnkeims sind diese Zähne zu extrahieren. Zur Absicherung der klinischen Diagnostik ist die Anfertigung eines Orthopantomogramms und/oder von Bissflügelaufnahmen empfehlenswert. Die Kariestherapie erfolgt grundsätzlich nach den gleichen Prinzipien wie im bleibenden Gebiss. Durch „Erklären – Zeigen – (Fühlen) – Tun“ werden die kindlichen Patienten schrittweise an die zahnärztliche Behandlung herangeführt. Bei kleinen und ängstlichen Kindern hat sich für die Kariesexkavation die Handinstrumentation bewährt. Das Kariesmanagement kann non-invasive, minimal-invasive und invasive Maßnahmen umfassen. Neben der lokalen Fluoridlackapplikation, Verwendung von Silberdiaminfluorid, dem Sealing und der atraumatischen restaurativen Therapie (Handexkavation, Hall-Technik etc.) stehen für die Versorgung verschiedene Optionen und Materialien zur Verfügung. Bei großflächiger Pulpaexposition am klinisch symptomlosen Zahn ist eine Pulpotomie indiziert. Eine Pulpektomie kann bei irreversibler Pulpitis, nekrotischer Pulpa bzw. infiziertem Kanalsystem durchgeführt werden. Aufgrund der komplizierten Wurzelkanalanatomie sollte diese vorrangig bei einwurzeligen Milchzähnen oder bei Nichtanlage von Prämolaren Anwendung finden. Grundsätzlich sind bei endodontischen Maßnahmen im Milchgebiss auch die entsprechenden Kontraindikationen zu beachten. BLEIBENDES GEBISS Im bleibenden Gebiss liegt der Fokus neben der Prävention und Behandlung von Karies- und Parodontalerkrankungen sowie einer rechtzeitigen Vorstellung beim Kieferorthopäden auf dem Management von Patienten mit einer Molaren-Inzisiven- Hypomineralisation und der Inklusion von Menschen mit entwicklungsbedingten oder erworbenen Beeinträchtigungen. FAZIT Milchzähne haben eine wichtige Bedeutung für die physiologische Gebissentwicklung und sollten deshalb möglichst bis zu ihrer physiologischen Exfoliation erhalten werden. Für die Ausbildung eines adäquaten Gesundheitsverhaltens sollten Familien frühzeitig in regelmäßige zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen eingebunden werden, da die Verantwortung und Umsetzung primär zu Hause stattfinden. Für die zahnärztliche Versorgung stehen verschiedene Behandlungsoptionen zur Verfügung, dabei hat der Schutz des Zahnkeims Priorität. Gemeinsames Ziel sollte eine gute Mund- und Allgemeingesundheit sein. PD Dr. Yvonne Wagner Das Literaturverzeichnis kann beim IZZ bestellt werden unter Tel: 0711/222966-14 oder E-Mail: info@zahnaerzteblatt.de. www.zahnaerzteblatt.de 0711 222966-14 info@zahnaerzteblatt.de PD Dr. Ivonne Wagner, Direktorin, Zahnmedizinisches Fortbildungszentrum Stuttgart

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