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Junge Zahnärztinnen und Zahnärzte im Blickpunkt

Ausgabe 3/2019

42 Berufspolitik für

42 Berufspolitik für Menschen mit Behinderungen kennengelernt – sowohl als Beauftragter für Menschen mit Behinderung der CDU/CSU-Fraktion als auch als Beauftragter der Bundesregierung. Nachdem ich dann gefragt wurde, ob ich auch im Präsidium von SOD mitmachen möchte, habe ich gerne zugesagt. Zu dem Engagement Teilhabe für Menschen mit Behinderungen bin ich über das Thema Bioethik gekommen. In dem Zusammenhang habe ich Franz Christoph kennengelernt. Er war ein führender Aktivist für die Rechte von Menschen mit Behinderung in Deutschland und gehörte der sich selber so nennenden „Krüppelbewegung“ an. Er führte mir Anfang der neunziger Jahre vor Augen, dass Menschen mit Behinderungen weder das Recht noch die Möglichkeit auf Teilhabe in unserer Gesellschaft hatten. Durch die UN- Behindertenrechtskonvention (BRK) gibt es zwar seit zehn Jahren das Recht auf Teilhabe, aber oft immer noch nicht die Möglichkeiten. Ein paar Jahre später wurde ich Vater eines mehrfachbehinderten Sohnes. Ich musste lernen, was es heißt, zwar jedermanns Mitleid, aber niemandes Unterstützung zu bekommen, wenn wir als Eltern wollten, dass unser Sohn in denselben Kindergarten und in dieselbe Schule wie die Nachbarkinder gehen sollte. Damals wie heute ist eines der größten Probleme von Menschen mit Behinderung, dass Menschen ohne Behinderung nie gelernt haben, mit ihnen umzugehen (die sog. „Schwerstmehrfachnormalen“). Der Kampf um Teilhabe ist ein Kampf um Menschenrechte. Für mich ist es ernüchternd, dass zehn Jahre nach der Behindertenrechtskonvention in Deutschland mehr Menschen mit Behinderungen in Sonderwelten leben als vorher. In Berlin ist jetzt Jürgen Dusel neuer Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Daneben hat jede Bundestagsfraktion einen Beauftragten für diesen Bereich. Der zahnärztliche Berufsstand mahnt schon lange ein systematisches Präventionsmanagement für Menschen mit Behinderung an und hat 2010 ein Konzept vorgelegt. Mittlerweile hat die Politik den Bedarf erkannt und mit der neuen G-BA-Richtlinie neue präventionsorientierte Leistungen eingeführt. Was führte Ihrer Auffassung nach zu diesem politischen Erfolg? Natürlich habe ich auch als Politiker diesen Prozess begleitet, auch weil ich lange Zeit Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages war. Dadurch habe ich auch die Leiterin des SOD-Bereichs Gesundheit und Medizin, Dr. Imke Kaschke, kennengelernt. Sie hat aktiv in den entsprechenden gesundheitspolitischen Gremien mitgearbeitet. Zusammen mit allen Netzwerkpartnern und auch durch die Präsentation von Untersuchungsergebnissen des „Special-Smiles“-Programms, die den Handlungsbedarf zur Verbesserung der Mundgesundheit von Menschen mit geistiger Behinderung belegen, konnten nach langjährigen Bemühungen diese nachteilsausgleichenden Regelungen für Menschen mit Behinderung erreicht werden. Auf die G-BA-Richtlinie konnte ich als Politiker keinen Einfluss nehmen, bin aber froh, dass die betroffenen Menschen jetzt davon profitieren. Bereits im Jahr 2009 hat Deutschland mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention und dem darin enthaltenen § 25 den Rechtsanspruch von Menschen mit Behinderung auf Gesundheitsleistungen anerkannt, die sie speziell wegen ihrer Behinderung benötigen. Deshalb müssen nun nach dem ersten Schritt – unabhängig von Diskussionen um Evidenzgrade – weitere Maßnahmen folgen, um ihnen auch eine gleichwertige Zahn- und Mundgesundheit zu ermöglichen. In welchen gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Bereichen sehen Sie im Hinblick auf Menschen mit Behinderung noch Defizite? Das größte Problem ist immer noch die Trennung der Lebenswelten von Menschen mit Behinderungen und Menschen ohne Behinderungen. Es ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar, warum schon Kinder mit Behinderungen in Sonderkindergärten (auch wenn sie heilpädagogischer Kindergarten genannt werden) gehen müssen. Danach geht es in Sonderschulen (die jetzt Förderschulen heißen) und dann sehr oft gleich in Behindertenwerkstätten und nicht selten in Wohnheime. Wenn jemand tatsächlich Inklusion durchsetzen will, stößt er fast immer auf Bedenken und Widerstand. Leider stimmt auch heute noch der Satz: Einmal Sondereinrichtung, immer Sondereinrichtung. Dabei bedeutet Inklusion nicht, dass auf Förderung verzichtet werden soll. Das Prinzip der Inklusion bedeutet für mich, dass die Förderung dem Menschen folgt und nicht andersherum. Im gesundheitlichen Bereich steht natürlich eine qualitativ hochwertige Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln im Vordergrund. Das allein garantiert noch nicht Inklusion, aber ohne eine gute Versorgung funktioniert auch keine Inklusion. Ein Beispiel: Wenn jemand im ersten Arbeitsmarkt arbeitet und inkontinent ist, braucht er hochwertige Windeln, sonst kann er dort nicht arbeiten. Darüber hinaus brauchen wir dringend mehr barrierefreie (Zahn-)arztpraxen. Damit meine ich nicht nur bauliche Barrieren. Entsprechend sollte es auch mehr Anreize im Finanzierungssystem geben. Zum Schluss fordere ich mehr Mut zur Inklusion. Es gilt weiterhin mein Motto: „Wer Inklusion will, sucht Wege, wer sie nicht will, Begründungen.“ Die Fragen stellte Andrea Mader ZBW 3/2019 www.zahnaerzteblatt.de

Fortbildung 43 Ergebnisse einer In-vitro-Untersuchung zur oralen Gewebetoxizität Erhöhtes Risiko einer Medikamentenassoziierten Kiefernekrose (MRONJ) Auf der 68. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Kieferchirurgie im Mai 2018 wurden von cand. med. dent. Linda Liebaug, Doktorandin der Arbeitsgruppe Medikamenten-assoziierte Kiefernekrose (MRONJ) der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in Tübingen, experimentelle Ergebnisse zur Ätiologie der MRONJ unter Kombinationstherapie onkologischer Therapeutika vorgestellt. Der Beitrag wurde mit dem Preis für den besten Erstlingsvortrag der Jahrestagung ausgezeichnet. Antiresorptiva wie Bisphosphonate und der monoklonale Antikörper Denosumab werden in der Behandlung von Tumoren, Knochenmetastasen, Osteoporose und anderen Knochenstoffwechselkrankheiten seit Jahren erfolgreich eingesetzt. Seit 2003 wurden allerdings schwerwiegende Nebenwirkungen am Kieferknochen beobachtet, die heute als Medikamenten-assoziierte Kiefernekrosen (MRONJ) bezeichnet werden. Erstmals beschrieb Robert Marx diese als Erscheinung bei der Gabe von Bisphosphonaten (Marx, 2003). Besonders onkologische Patienten leiden unter dieser zusätzlichen Belastung, die zumeist auch eine weitere psychische sowie körperliche Beeinträchtigung zu ihrer Grunderkrankung darstellt. Ätiologie und Therapie der Medikamentenassoziierte Kiefernekrose stellen für Behandler noch immer eine große Herausforderung dar. Bislang wird vermutet, dass es sich um eine multifaktorielle Pathogenese handelt, in der beispielsweise die Antiangiogenese, eine lokal hohe Konzentration der Bisphosphonate im Kieferknochen und die Schädigung von lokalen Zelltypen mitwirken. Untersuchungen zur Ätiologie der Denosumab-bedingten Kiefernekrosen stehen noch am Anfang. Fortschritte. In den letzten Jahren konnten in der Krebstherapie zunehmend Fortschritte erzielt wer- E-Plate. Beispiel-Kurvenverlauf eines E-Plate mit aufgeführten Medikamentenkombinationen. Stabile Zellphase mit Monolayer (a); Medienwechsel mit Zugabe der Medikamentenkombinationen (b); histomorphologisches Bild von HGF-Zellen der Kontrolle nach 120 Stunden (Hämalaun) (c). den. Hierzu zählt unter anderem der Einsatz von neuen Antikörpertherapien zur gezielten Bekämpfung von Tumoren, z. B. bei Nierenzellkarzinomen. Einzelne Fallberichte in der Literatur lieferten in der vergangenen Zeit jedoch auch Hinweise dafür, dass diese Therapieansätze zusätzliche Risikofaktoren für die Entwicklung einer Kiefernekrose darstellen (Guarneri et al., 2010). In einer Studie von Lescaille et al. (2014) wurden onkologische Patienten, die als Therapie den VEGF-Inhibitor Bevacizumab in Monotherapie oder in Kombination mit dem Bisphosphonat Zoledronat erhalten haben, untersucht. Die Ergebnisse dieser Studie weisen darauf hin, dass die Inzidenz der Kiefernekrosen bei einer Kombination der Medikamente deutlich erhöht war. Dabei fiel auf, dass die Medikamentenassoziierte Kiefernekrose zu einem früheren Zeitpunkt der Therapie auftrat und sich gehäuft multiple Nekrosen bildeten. Insbesondere war ein Anteil von 70 Prozent Spontannekrosen, d. h. Nekrosen ohne Co-Risikofaktoren, wie Zahnextraktionen oder Druckstellen durch Prothesensättel, auffällig (Lescaille et al., 2014). Als weitere risikobehaftete Medikamente, die eine Medikamenten-assoziierte Kiefernekrose bedingen können, werden daher auch neue Krebstherapeutika wie u. a. die „Immune Modifying Subs- Abbildungen: Prof. Dr. Reinert www.zahnaerzteblatt.de ZBW 3/2019

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