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Junge Zahnärztinnen und Zahnärzte im Blickpunkt

Ausgabe 3/2019

28 Berufspolitik

28 Berufspolitik Nachdruck: Dr. Ute Maier im Interview mit der Schwäbischen Zeitung „Das Geld für Zahnspangen ist gut angelegt“ Kieferorthopädische Behandlungen sind nach Bekanntwerden des IGES- Gutachtens erneut in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Im Gespräch mit der Schwäbischen Zeitung warnt die Vorstandsvorsitzende der KZV Baden-Württemberg Dr. Ute Maier davor, Zahnspangen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen zu streichen. Das Interview führte Helena Golz. Es erschien am 8.1.2019 und wird nun im Zahnärzteblatt Baden-Württemberg nachgedruckt. Schwäbische Zeitung: Wie nehmen Sie das Gutachten und die Reaktionen darauf wahr? Dr. Maier: Die Kommentierung und Berichterstattung über das Gutachten in den letzten Tagen halte ich für sehr gefährlich, weil es die Menschen in die Irre führt: Es wird so getan, als stünde der über Jahrzehnte etablierte Berufsstand der Kieferorthopädie unter Generalverdacht, nur Abzocke mit den Zahnspangen zu betreiben. Dabei sagt das Gutachten etwas ganz anderes und zwar, dass eine positive medizinische Auswirkung der Zahnspange weder belegt noch widerlegt werden kann. Das Gutachten hat schlicht festgestellt, dass es zu wenige Studien zum Nutzen der Zahnspange gibt, um eine Aussage treffen zu können. Das ist etwas komplett anderes als das, was man die letzten Tage lesen und hören konnte. Diesen Sachverhalt hat auch das Gesundheitsministerium in einer Stellungnahme bestätigt. Wie sind Ihre Erfahrungen, was Karies und Parodontitis angeht: Hilft da die Zahnspange? qualität der Patienten auf Dauer verbessert. Also ist die eine Milliarde Euro, die die Krankenkassen für kieferorthopädische Behandlungen jährlich zahlen, gerechtfertigt? Das Geld wird auf Grundlage von Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ausgegeben. Das ist ein Gremium, das nach festgelegten Kriterien feststellt, welche Behandlung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden kann und welche nicht. Des Weiteren müssen die kieferorthopädischen Leistungen vor der Behandlung von den gesetzlichen Krankenkassen genehmigt werden. Die Leistungen, für die die Milliarde Euro ausgegeben wird, sind demnach gut geprüft. Das Geld ist also gut angelegt. Sollten Studien andere Erkenntnisse liefern, dann müssten die Richtlinien angepasst werden. Aber auch dann würde die eine Milliarde Euro nicht auf null sinken. Das heißt, wer impliziert, man könnte eine Milliarde Krankenkassengelder sparen, wenn Zahnspangen nicht mehr übernommen würden, ist unredlich. Aber was passiert, wenn die Zahnspange aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen fliegt? Das hätte insbesondere Auswirkungen auf die Patienten. Familien, die etwas besser gestellt sind, könnten sich dann die kieferorthopädische Behandlung ihrer Kinder leisten – und die, die weniger gut Wenn die Zähne gerade stehen, dann sind sie leichter zu reinigen. Das trägt dazu bei, Karies zu verhindern. Das gleiche gilt für Parodontitis. Bei der Verhinderung beider Zahnerkrankungen spielt die Mundhygiene also eine große Rolle. Außerdem hat die Studie bestätigt, dass eine kieferorthopädische Behandlung die Lebensgestellt sind, könnten sie sich nicht mehr leisten. Zähne würden dann zu einem Zeichen einer Klassenzugehörigkeit? In der politischen Diskussion wird immer wieder von einer Zweiklassenmedizin gesprochen, die es unserer Meinung momentan in Deutschland nicht gibt. Wenn man die Zahnspange aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen streichen würde, ginge das allerdings in diese Richtung. Wie sollte die Debatte um Zahnspangen aus Ihrer Sicht weitergehen? Was wünschen Sie sich? Dass man mit dem Thema nicht so reißerisch umgeht. Ich finde es schade, dass man aufgrund eines Gutachtens, das im Original sagt, dass die Studienlage zu gering ist, letztlich Abzocke mithilfe von Zahnspangen unterstellt. Das wurde weder von der Regierung noch vom Gutachten selbst bestätigt. Es geht nicht, dass man so mit den Ängsten der Eltern spielt. Ich wünsche mir eine sachliche Diskussion zu dem Thema und das heißt auch, dass man gegebenenfalls weitere Studien in Auftrag geben muss. Sie meinen, die bisherigen Studien reichen nicht aus. Warum? Ob eine kieferorthopädische Behandlung Karies oder Parodontitis verhindert, muss über einen langen Zeitraum untersucht werden. Solche Studien sind sehr aufwendig. Dazu müssten Menschen untersucht werden, die eine Behandlung bekommen – und solche, die sie nicht bekommen. Kinder nicht zu behandeln, um wissenschaftliche Erfahrungen zu sammeln, obwohl man es aus zahnärztlicher Sicht für notwendig hält, ist ethisch eigentlich nicht vertretbar. ZBW 3/2019 www.zahnaerzteblatt.de

Berufspolitik 29 IGES-Gutachten zum Nutzen von Zahnspangen „Nur Zahnspangen machen schiefe Zähne gerade“ Eine kleine Anfrage von Abgeordneten der Fraktion von DIE LINKE im Bundestag an die Bundesregierung und die Antwort des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) als zuständiges Ministerium war der Anlass für die neuerliche Debatte über den Nutzen kieferorthopädischer Behandlungen. Eine der Fragen sollte die wissenschaftliche Einschätzung des aktuellen medizinischen Wissensstands über die langfristigen Auswirkungen der wichtigsten kieferorthopädischen Behandlungsarten auf die Mundgesundheit klären. Das BMG beauftragte das IGES-Institut für die wissenschaftliche Expertise. Am 15. Januar legten die IGES-Forscher ihren Abschlussbericht vor. „Auch wenn wir keine Belege für einen Nutzen der Kieferorthopädie bei Zahnfehlstellungen gefunden haben, mag es ihn doch geben. Das Erfahrungswissen der Kieferorthopäden aus jahrelangen Anwendungen steht in auffallendem Gegensatz zu einem Mangel an Belegen aus wissenschaftlichen Untersuchungen. Um klarer zu sehen, brauchen wir daher dringend weitere, zielführend angelegte Studien“, erläutert der Leiter des Bereichs Versorgungsforschung am IGES und Studienautor, Dr. Holger Gothe. Danach titelte die BILD: „Regierung bestätigt Verdacht auf Abzocke mit Zahnspangen“. Das BMG sah sich veranlasst eine „Richtigstellung zum Bericht der BILD über das Gutachten zum Nutzen von Zahnspangen von heute“ zu veröffentlichen und stellte klar: „Das Gesundheitsministerium zweifelt nicht an der Notwendigkeit kieferorthopädischer Leistungen. In seinem Auftrag wurde eine Meta-Studie vom IGES-Institut zu dem Thema erstellt. Darin kommen die Studien-Autoren zu dem Ergebnis, dass die Datengrundlage derzeit nicht ausreicht, um die Frage abschließend zu bewerten“. Mannheimer Morgen. Im weiteren Verlauf der öffentlichen Debatte über den Langzeitnutzen von Zahnspangen kam die Volontärin des Mannheimer Morgen, Miray Caliskan, mit einer Interviewanfrage auf Experte. Dr. Wolfgang Grüner, Referent für KFO der LZK Baden-Württemberg. die Landeszahnärztekammer Baden- Württemberg zu. Der Artikel sollte auf der Kinderseite im Wochenendmagazin des Mannheimer Morgen erscheinen. Für die Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg beantwortete der Referent für Kieferorthopädie, Dr. Wolfgang Grüner, die Fragen der Journalistin, im gewünscht kindgerechten Ton. Kindgerechter Ton. Auf die Frage „Braucht man Zahnspangen wirklich?“ bestätigte Dr. Grüner: „Klar braucht man Zahnspangen, denn nur Zahnspangen können schiefe Zähne gerade machen. Wenn Zähne richtig schief gewachsen sind, Foto: Frank Kleinbach werden sie oft im Laufe des Lebens sogar noch schiefer. Also, wer gerade Zähne will, braucht eine Zahnspange. Muss jedes Kind mit schiefen Zähnen eine Zahnspange tragen? Dazu meint Dr. Grüner: „Nein, natürlich nicht. Schiefe Zähne sehen zwar nicht schön aus, aber nicht jeder schiefe Zahn macht im Laufe des Lebens einmal Probleme, also bekommt z. B. ein Loch, oder fällt aus. Schiefe Zähne machen auch selten Schmerzen. Deshalb muss man schiefe Zähne nicht in jedem Fall geradestellen. Ab wann es besser ist, die Zähne zu begradigen, und wann es nicht so schlimm ist, das ist oft gar nicht einfach zu beantworten. Man muss dazu nachsehen, ob z. B. viele oder nur wenige Zähne schief sind, und ob nicht auch die Kieferknochen falsch wachsen, in denen die Zähne stehen. Besonders dann, wenn die Kiefer ungünstig wachsen, ist es oft wichtig, frühzeitig eine Zahnspange zu tragen, denn nach dem Wachstumsende wird eine Zahnspangenbehandlung viel schwieriger. In jedem Fall sollte der Zahnarzt deshalb die Zahnstellung prüfen. Und auf die Frage, was Zahnärzte raten sollten, wenn Eltern sie auf eine Zahnspange ansprechen, sagte Dr. Grüner: „Nicht jedes Kind braucht schon früh eine Zahnspange. Wenn sich der Unterkiefer z. B. stärker entwickelt als der Oberkiefer und die unteren Zähne beim Zubeißen vor den oberen liegen, ist jedoch oft schon eine Zahnspange ratsam, solange noch die Milchzähne im Mund sind. Bei anderen Zahnfehlstellungen kann man häufig ruhig warten, bis der Zahnwechsel beendet ist. Die Zahnärzte können dies bei den regelmäßigen Kontrollen der Zähne ganz gut beurteilen. Bestehen Zweifel, ob und wann ggf. eine Zahnspange notwendig ist, sollte ein Kieferorthopäde die Stellung der Zähne überprüfen.“ » mader@lzk-bw.de www.zahnaerzteblatt.de ZBW 3/2019

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