48_SOZIALES ENGAGEMENT ZBW_4/2022 www.zahnaerzteblatt.de Zahnarzt Dimitri Schulz auf Hilfseinsatz in der Ukraine MIT MEDIKAMENTEN HIN – MIT GEFLÜCHTETEN ZURÜCK Seit mehr als sieben Jahren gibt es einen bewaffneten Konflikt zwischen der Ukraine und Russland. Viele Jahre schwelte dieser Krieg, nun lassen die russischen Angriffe auf die Ukraine alte Ängste wieder aufflammen. Was nun auf dem Spiel steht, reicht weit über die Grenzen der Ukraine hinaus. Das ZBW sprach mit Dimitri Schulz, in der Ukraine geboren und als Zahnarzt in Stuttgart tätig, der bereits bei mehreren Hilfseinsätzen tätig war. ZBW: Herr Schulz, Sie wurden in Dnipro geboren, ein Ort, der heute in der Ukraine liegt, früher aber zur Sowjetunion gehörte. Können Sie uns ein wenig über Ihren familiären Hintergrund berichten, damit wir ein Gefühl für Ihre persönliche Situation bekommen? Natürlich gerne. Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater Ukrainer. Der deutsche Stammbaum lässt sich bis auf das 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Damals zogen unsere Vorfahren aus Großbottwar bei Ludwigsburg in die Ukraine, wo sie Land von den Kosaken pachteten und als Bauern lebten. Belegt sind auch deren Wohnort „Neu Stuttgart“ bei Berdjansk am Asowschen Meer. Nach Deportationen in den beiden Weltkriegen nach Kasachstan kehrte man immer wieder in die Ukraine zurück. Väterlicherseits stammt die Familie aus Zaporizhzhia, wo ich auch einige Jahre meiner Kindheit verbrachte. Meine Eltern lernten sich in der medizinischen Akademie in Dnipro kennen. Beide studierten Zahnmedizin. Wann beschloss Ihre Familie, in Deutschland zu leben? Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zog der deutsche Teil der Familie zurück nach Ludwigsburg. Von 2005 bis 2010 studierte ich, entsprechend unserer Familientradition, Zahnmedizin an Einsatz. Mit dem Privatauto, vollbepackt mit Medikamenten, Lebensmitteln und Hilfsgütern machte sich ZA Dimitri Schulz bereits mehrfach auf den Weg zur ukrainisch-polnischen Grenze. der Akademie in Dnipro. Anschließend legte ich nach einer Vorbereitungs- und Assistenzzeit meine Gleichwertigkeitsprüfung in Berlin an der Charité ab. Ich arbeitete noch einige Jahre mit meiner Mutter zusammen in Neckarsulm und entschloss mich im Jahr 2015 in Stuttgart Fuß zu fassen, was wunderbar gelang, da ich das beste Team gefunden habe, das ich mir vorstellen kann. Haben Sie noch Verbindungen in die alte Heimat? Ja, ich habe nach wie vor viele Verbindungen in die Ukraine: Familie, Freunde, Bekannte, Geschäftspartner. Wir sind bislang nahezu jährlich dort gewesen. Haben unseren Urlaub am Meer verbracht und Freunde besucht. Es fällt uns schwer zusehen zu müssen, wie unsere Freunde jetzt auf der Flucht sind, bewaffnet auf Einsätze warten oder sogar bereits in Gefechte verwickelt sind. Mit dieser Entwicklung hat niemand von uns gerechnet. Selbst Politikwissenschaftler sind überrascht. Was ist die Ukraine für ein Land? Man kämpft mit der eigenen sowjetischen Vergangenheit und versucht den sowjetischen Ballast wie Korruption und Misswirtschaft abzuschütteln. Hier ist meines Erachtens in den letzten Jahren viel passiert und man konnte gut Fotos: Schulz
ZBW_4/2022 www.zahnaerzteblatt.de 49_SOZIALES ENGAGEMENT Unterstützung. Die nicht abreißende Flüchtlingsströme mit entkräfteten, erkrankten und psychisch stark belasteten Menschen finden in Warenlagern wie diesem Lebensmittel und auch Medikamente. beobachten, dass die jungen Ukrainer Europäer geworden sind. Die Konflikte der letzten Jahre haben den Nationalstolz und Zusammenhalt, aber auch die Identität des ukrainischen Volks gestärkt. Der Großteil sehnt sich nach einem ruhigen und guten Leben nach europäischem Vorbild. Russland ist für die Mehrheit hingegen ein Symbol der alten Ordnung. Die Ukrainer sind für mich warmherzige Menschen. Man kann offen sprechen, sich umarmen, fröhlich sein. So war es beispielsweise nie ein Problem, am selben oder nächsten Tag nach Ankunft noch mit Freunden etwas auszumachen, feiern zu gehen oder sich zu Hause zu treffen. Ich empfand es immer als unkompliziert. In Deutschland hingegen brauchen wir oft wochenlange Planung, bis wir einen Termin finden, um uns zu treffen. Es macht mich oft traurig, wie verplant wir hier alle sind. Sie sprechen russisch, haben aber ukrainische Wurzeln. Birgt dieser Umstand für Sie Konfliktpotential? Obwohl ich persönlich nur russisch spreche, fühle ich mich als Ukrainer. Meine Frau wuchs ebenfalls in Dnipro auf, allerdings zweisprachig. Dies war jedoch nie ein Diskriminierungsgrund, wie so oft in russischen Medien verbreitet wird. Ich bin in Deutschland schon in den Kindergarten gegangen. Meine Eltern brachten mir zu Hause Russisch lesen und schreiben bei. Gesprochen wurde schon immer Russisch zu Hause. In Dnipro sprechen nach wie vor viele Russisch. Willkommen heißt man Russland dort aber dennoch nicht. Die ukrainischen Armee und Bürgerwehren sind bewaffnet und sind entschlossen, sich zu verteidigen. Die Russen haben, geblendet durch die Staatspropaganda, diese Gegenwehr nicht erwartet. Ich denke viele wollen auch nicht gegen die Ukrainer kämpfen. Aber was bleibt ihnen übrig? Desertieren und lebenslang in Schande und im Gulag leben? Es ist eine Zwickmühle. Erinnern Sie sich, wo Sie waren, als Sie vom russischen Überfall auf die Ukraine erfuhren? Als der Krieg begann, war ich gerade in einer Besprechung mit Architekten, Vermietern und meinen Ansprechpartnern meiner neuen Praxis. Der Umzug ist für den 1. September dieses Jahres geplant. Ich weiß noch gut, wie ich unter Tränen machtlos am Tisch saß, da ich begriff, was da auf die Ukraine zurollte. Welches Leid da kommt. Es war pures Unverständnis – wir sind doch im Jahr 2022. Wir sind doch in Europa! Wie empfinden Sie die Solidarität Europas mit der Ukraine? Es ist wirklich erstaunlich, was hier bereits gestemmt wurde und wie solidarisch unsere Mitmenschen in Deutschland Hilfe anbieten. Ich kriege von Kollegen aus ganz Deutschland Pakete mit Medikamenten zugeschickt. Es rührt uns sehr. Beschreiben Sie uns Ihren Einsatz. Wir organisieren Hilfstransporte mit Medikamenten, Erste-Hilfe-Sets, OP- Bedarf, beschaffen Hilfsgüter, verteilen diese, fahren an die Grenzen und bringen auf der Rückfahrt Geflüchtete mit nach Deutschland. Erhalten Sie Nachrichten aus der Ukraine? Wir haben täglich Kontakt zu Freunden und zu Familienangehörigen. Eine Bekannte aus Kiew berichtete uns an Tag 4 des Krieges, am 27. Februar 2022: „Wir hatten einen schweren Tag. Wie überall in der Ukraine wird hier hart gekämpft. Es ist schrecklich. Ich finde nicht die Worte, um es zu beschreiben. Ich bin mit meiner Schwester und den Kindern gerade im Keller unseres Hochhauses. Wir sind gesund. Wir leben. Wir helfen wo wir können. Den Soldaten und Bedürftigen. Wir haben all unsere Medikamente, warme Kleidung etc. weggegeben. Nahrungsmittel werden knapp. Die Supermärkte sind geschlossen. Wir haben noch für zirka vier Tage zu Essen. Wasser ist noch genug da. Möge der Himmel über uns friedlich bleiben.“ Nur fünf Tage später, am 4. März schrieb sie in Großbuchstaben: „SIE BRINGEN UNS ALLE UM!“ Zu dieser Zeit wurde Irpin, ihr Heimatort nahezu vollständig zerstört. Mittlerweile ist sie mit Ihren Kindern bei München angekommen. Ihr Mann ist geblieben um bei der Verteidigung Kyivs zu helfen. Können Sie uns ein Abbild von der Situation geben, wie Sie sie von hier aus erleben? Unsere Freunde organisieren sich in Bürgerwehren oder treten in die Armee ein, um das Land zu verteidigen. Eine unbeschreibliche Kampfmoral hat das Land erfasst. Geflüchtete werden untergebracht, Bedürftige versorgt. Restaurants kochen kostenfrei für die Bürger. Lieferdienste beliefern kostenlos Bedürftige. Blut wird gespendet. Ob-
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