34_POLITIK ZBW_4/2022 www.zahnaerzteblatt.de Zum Thema Genossenschaftsverband möchte ich anmerken, dass dies natürlich einem freien Markt widerspricht. Wenn es beispielsweise ein MVZ mit einer vollumfänglichen zahnärztlichen Versorgung in der Region gibt, in dem von Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie über Kieferorthopäde alles abgedeckt ist, wird sich ein freiberuflich Selbstständiger natürlich dreimal überlegen, ob er sich an diesem Ort noch niederlässt [...]. Dr. Ute Maier: Zu dem Genossenschaftsmodell: Wir sehen, dass es hierzu inzwischen einige Aktivitäten, auch im Bereich der Zahnmedizin gibt [...]. Hier ist es sicherlich aus Sicht der Kommunen ein Problem, dass die Kommunen bislang wenig Einfluss auf die Bedarfsplanung hatten. Wobei sie inzwischen, im zahnärztlichen Bereich bei der Bedarfsplanung beratend mit dabei sind. Das Thema Genossenschaft muss definitiv keine Blaupause sein, die man landesweit in einem bestimmten Modell umsetzt. Wenn es eine Struktur vor Ort gibt, in der die Versorgung nicht durch die Mediziner selbst gestemmt werden kann, die Kommune einen Handlungsbedarf sieht und eine Unterversorgung existiert, dann könnte das Modell einer Genossenschaft eines sein, um die Attraktivität für Ärztinnen und Ärzte zu steigern [...]. Cornelia Schwarz: Die Pandemie hat das Vertrauen vieler Menschen in alle Parteien erschüttert. Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen sagte hierzu: Der Kampf gegen das Virus sei „das größte Parallelexperiment im vergleichenden Regieren, das es jemals gab“. Wie finden Sie, hat Baden-Württemberg bei diesem „Experiment“ abgeschnitten? Das kann man vielleicht als die negativen Auswüchse des Föderalismus interpretieren und für manchen bot sich die Chance der schnellen Schlagzeile. Schlussendlich und bei allen Schwierigkeiten, die das föderale System mit sich bringt, beneidet man uns weltweit um die geringe coronabedingte Mortalität, insbesondere wenn man sich auf die Bevölkerungsdichte etc. bezieht. In dieser Rechnung spielt natürlich auch die Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems eine wesentliche Rolle [...]. Cornelia Schwarz: In einer Plenarsitzung im Landtag kurz vor Weihnachten sagten Sie, die Impfpflicht sei einer der letzten Pfeile im Köcher der Pandemiebekämpfung. Was sagen Sie heute zum Thema allgemeine Impfpflicht? » Wir können die Impfpflicht nicht absetzen, aber die Ausgestaltung vor Ort ändern. Das wäre mein Wunsch und da muss es eine Einheitlichkeit in Baden-Württemberg geben. « Dr. Michael Preusch MdL Unter Berücksichtigung von Omikron ist meines Erachtens eine allgemeine Impfpflicht nicht mehr gerechtfertigt. [...] Ich weiß, das will nicht jeder hören, weder Teile der eigenen Partei noch der Regierung. [...] Wir haben eine Pandemie, das ist ein dynamischer Prozess und es ist durchaus eine Stärke, dass wir politisch immer wieder neu bewerten, wenn neuere Erkenntnisse vorliegen. [...] Es muss klar sein, ob wir eine allgemeine Impfpflicht rechtlich umsetzen können wenn diese medizinisch geboten ist. Eine einrichtungsbezogene Impfpflicht, wie sie derzeit umgesetzt wird, hatte ich im Einklang mit vielen medizinischen Fachgesellschaften nie unterstützt [...]. Dr. Torsten Tomppert: Man merkt, dass Sie Mediziner sind. Das macht das Ganze natürlich viel erfrischender für mich. Eine Impfpflicht sehe ich als sehr schwierig an, nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch in der Umsetzung. Aktuell kocht das Thema durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht hoch, denn diese stellt doch viele Praxen vor gewisse Probleme [...]. Dr. Ute Maier: Auch hier sind die relativ kurzfristigen Ankündigungen das Problem, egal ob es um die Coronaverordnung, oder um das Impfen geht. [...] Deshalb eine Bitte von unserer Seite an Sie als Vertreter der mitregierenden Partei: Geben Sie den Menschen die Gelegenheit Dinge zu verstehen und die Zeit diese auch umzusetzen. Ein weiteres Beispiel ist die derzeitige Diskussion um die PCR-Tests nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen, weil es aktuell davon zu wenig gibt. Das ist zwar eine Angelegenheit der Bundesebene, aber lassen Sie es mich dennoch ansprechen. Und dann schaut man in andere europäische Länder und fragt sich, warum es dort funktioniert und bei uns schiefläuft. Manchmal fehlt es meines Erachtens schlichtweg auch an kompetenten Ideen. Die Diskussion um die Verfügbarkeit von PCR-Testungen kenne ich. Teil des Problems war sicherlich auch die Folgetestung und Sequenzierung zur Beurteilung der Variante. Diese Testung macht bis auf wenige Fälle im Sinne eines Monitorings bei 100 Prozent Omikron seit einigen Wochen keinen Sinn mehr. Ich bin froh, dass diesem Gedanken Rechnung getragen wurde und derzeit wieder mehr Kapazitäten zur Verfügung stehen. Ferner macht es Sinn und dazu gibt es bereits konkrete Überlegungen, den PCR-Test nicht mehr bei allen im Schnelltest positiv Getesteten einzufordern [...]. Cornelia Schwarz: Die Frage zur allgemeinen Impfpflicht ist für viele Zahnärzte*innen im Land relevant, denn aufgrund der Impfpflicht für Gesundheitsberufe befürchten sie eine Abwanderung ungeimpfter Angestellter in andere Berufe. Wie kann die Politik gegensteuern – auch mit Blick auf die flächendeckende medizinische Versorgung die hierdurch gefährdet werden könnte? Hier handelt es sich ja leider um eine Bundesregelung. Ich hatte bereits erwähnt, dass ich von einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht nichts halte. Hier besteht tatsächlich das von Ihnen erwähnte Risiko der Abwanderung von Angestellten, vielleicht auch zunächst einmal nur in benachbarte Bundesländer, die diese Pflicht anders umsetzen wollen. Die finale Entscheidung obliegt der Einschätzung des jeweiligen Gesundheitsamtes. Wir werden hier erneut einen Flickenteppich in den einzelnen Stadtund Landkreisen und wohl auch den Bundesländern erleben. Cornelia Schwarz: Stichwort Corona Sonderprämie, die nicht erfolgt ist für die MFA und ZFA. Wie stehen Sie zu dieser Entwicklung? Grundsätzlich haben viele medizinische und pflegerische Berufe in unterschiedlichem Maße unter Corona gelitten. Für die Intensivpflegekräfte sind Prämien von Bund und Land bezahlt worden. Die Frage wer diese bekommt und wer nicht hat in den Kliniken für erhebliche Diskussionen gesorgt. Ich habe das als Personalrat hautnah mitbekommen. [...] Leider sehe ich hier im Moment aus
ZBW_4/2022 www.zahnaerzteblatt.de 35_POLITIK finanziellen Aspekten keine Möglichkeit, aus öffentlicher Hand eine Prämie [...] locker zu machen. [...] Auch wenn mir die Wertschätzung weiterer Berufsgruppen wichtig ist. Dr. Torsten Tomppert: Ich sage das auch und deswegen würde ich an dieser Stelle gerne die Karte GOZ-Erhöhung spielen. Gerne würde ich meine Mitarbeiterinnen adäquat bezahlen und da tun wir uns heute schon schwer, vor allem, wenn ich die Azubi-Gehälter aus der Industrie sehe, mit denen wir konkurrieren. Also, ich würde da lieber die GOZ-Variante wählen und meine Leute direkt besser bezahlen. Foto: M. Schwarz Digital. Trotz der Vielfalt an Kanälen und Formaten steht der persönliche Kontakt und die Begegnung mit den Politiker*innen noch immer deutlich im Fokus. Cornelia Schwarz: Wir hatten es ja bereits beim CDU-Landesparteitag in Mannheim kurz von der Prävention bei Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg. Unterstützen Sie den Gedanken das tägliche Zähneputzen mit fluoridierter Zahnpasta in Kindergärten, Kitas und Grundschulen verbindlich im Kinderschutzgesetz des Landes Baden-Württemberg zu verankern? Als Kardiologe weiß ich um den Zusammenhang von Zahnstatus und kardiovaskulären Erkrankungen. Bezüglich des Zähneputzens in Kindergärten, Kitas und Schulen haben Sie meine volle Unterstützung. Vielleicht ließe sich an der Umsetzung noch das ein oder andere optimieren. Hier könnte der öffentliche Gesundheitsdienst noch aktiver mit eingebunden werden. Dr. Torsten Tomppert: Es wäre sehr schön, wenn man es im Kinderschutzgesetz Baden-Württemberg unterbringen könnte. [...] Das verpflichtende Zähneputzen wäre sicher sinnvoll. Und da werbe ich auch um Unterstützung. Cornelia Schwarz: Widmen wir uns noch dem Thema der Integration des Landesgesundheitsamtes ins Sozialministerium. Da würde uns Ihre Sicht interessieren. Ich muss zugeben, dass ich überrascht war, als das Thema im Rahmen einer Kabinettsvorlage präsentiert wurde. Ich hätte mir die bisherige Struktur des Landesgesundheitsamt auch durchaus weiterhin vorstellen können und erkenne aktuell noch keinen „Mehrwert“ der neuen Regelung. Dr. Torsten Tomppert: Die Frage ist, was all diese ÖGDler machen, denn die müssen ja irgendwie beschäftigt werden. Da haben wir teilweise ein bisschen Bauchweh. Werden die bei Kindern in der Prävention eingesetzt, dann ist das wunderbar. Wenn sie sich aber noch intensiver um eine Praxis, Stichwort Prüfbürokratie, kümmern, sind wir, glaube ich, nicht ganz so begeistert. Cornelia Schwarz: Zum Schluss geht es noch um die Bürokratie, die immer und überall zu bewältigen ist. Welche Möglichkeiten sehen Sie, bei Themen, bei denen man nicht so viel Zeit hat, wo man einfach sagt, jetzt kommen wir zügig zu einer Entscheidung. Gibt es da Anhaltspunkte, die Sie konkret in Worte fassen können? Da ist die große und oft beschworene Hoffnung, dass mit der Digitalisierung alles besser wird. Mittlerweile bin ich mir nicht so sicher, ob all meine Hoffnungen diesbezüglich erfüllt werden. Die beginnende Digitalisierung im Krankenhaus hat nach meiner persönlichen Einschätzung noch zu keiner großen Entlastung geführt. Personell ging diese eher mit einem Stellenaufwuchs einher. Ich hoffe und denke, dass sich die technischen Entwicklungen im Laufe der Jahre auszahlen werden und wir medizinisch und pflegerisch Tätigen eine echte Entlastung spüren. Sie sprechen einen weiteren wichtigen Punkt an: Kein Politiker kann in jedem Fachbereich ein Experte sein. Wir sind auf unsere Kolleginnen und Kollegen, Berater und weiteres Fachpersonal als Basis unserer Entscheidungen angewiesen. Es entbindet mich aber nicht von meiner Pflicht, mich in die wesentlichen Themen einzuarbeiten. Dr. Ute Maier: Die Telematik sollte dazu beitragen, dass die Wege kürzer werden und man [...] auch Erleichterungen hat. Aber [...] letztendlich kämpfen die Kolleginnen und Kollegen mit der geforderten überbordenden Dokumentation und mit den Konnektoren. [...] Junge Kollegen*innen sagen an diesen Stellen [...], eigentlich wollen sie nur ihren Beruf ausüben, das heißt behandeln. Ältere Kollegen*innen [...] hören früher auf, [...] weil ihnen die [...] ausufernde Bürokratie auf den Geist geht. Ich denke, hier müssen wir einfach [...] wieder die Balance finden. Wenn etwas Neues einführt wird, darf es nicht mit Bürokratie, Regelungen, Verwaltungskram überlastet sein. [...] Manchmal wünschte ich uns mehr Mut, wieder etwas mehr zu wagen, ohne alles regeln zu müssen, das fände ich auch in der Politik klasse. Dr. Torsten Tomppert: Genau. Die Politik müsste sich über die Abschaffung von Gesetzen definieren und nicht über neue Gesetze und Forderungen. Das ist doch das chinesische Modell: Der Arzt sollte sich nicht über Kranke, sondern über Gesunde definieren. Das wäre eine ganz schöne Geschichte [...]. INFO Das Dialoggespräch ist im Textumfang gekürzt. Die gekürzten Stellen haben wir gekennzeichnet: [...]. Sie finden die Dialoggespräche in vollem Wortlaut unter www.izzbw.de/ im-dialog.
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