22_BERUFSPOLITIK ZBW_4/2022 www.zahnaerzteblatt.de Serie: Nachhaltigkeit in der Zahnarztpraxis AUS PERSÖNLICHER ÜBERZEUGUNG Nachhaltiges Praxisteam. Dr. Andreas Treichel, ZFA Sanela Kucevic, ZFA Sabrina Joos, Auszubildende Laura Schneider und ZFA Laura Giannetta (v. l.). Foto: J. Oltersdorf ZFA Laura Giannetta geht die zwei Kilometer in die Praxis zu Fuß, ZFA Sanela Kucevic kommt mit dem Fahrrad oder sie bildet eine Fahrgemeinschaft mit ihrer Kollegin Sabrina Joos. Auszubildende Laura Schneider kommt mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Praxisinhaber Dr. Andreas Treichel hat gleich zwei private Elektroautos zur Auswahl. Heute steht das größere unten in der Tiefgarage und lädt gerade. Ich werde nach klimafreundlicher Anreise am Bahnhof in Friedrichshafen mit einem e-Carsharing-Auto abgeholt. Dabei wäre ich viel lieber mit dem kleinen Elektro-Zweisitzer mit Flügeltüren von Dr. Andreas Treichel abgeholt worden, in dem man hintereinander Platz nimmt. Unsere Mobilität heizt das Klima ordentlich auf. Ein Fünftel aller Treibhausgasemissionen in Deutschland stammt aus dem Verkehrssektor – der größte Teil aus den Auspuffen von Pkw, Lkw und Bussen. Erste wissenschaftliche Daten aus der Zahnmedizin zeigen, dass sogar knapp 50 Prozent der Kohlenstoffemissionen der Mobilität geschuldet sind. Gemeint sind hier ganz konkret die Wege, die das Praxisteam, die Patientinnen und Patienten und das gewerbliche Dentallabor für Kurierfahrten zum Erreichen der Praxis zurücklegen. Bisher hat Dr. Treichel noch kein Dentallabor gefunden, welches die Arbeiten elektrisch ausliefert. MOBILITÄT ENTSCHEIDEND Um wie viel der CO 2 -Fußabdruck in seiner Praxis durch die klimaneutrale Mobilität seines Praxisteams reduziert wird, weiß Dr. Andreas Treichel gar nicht so genau. Auch auf Praxisschilder, die seine Praxis als klimaneutral oder klimapositiv ausweisen, legt er keinen Wert. Er beschäftigt sich lieber damit, welchen Beitrag er als nächstes leisten kann, um Klima und Umwelt zu schützen. „Mobilität ist ein entscheidender Faktor“, weiß auch Dr. Treichel. Er plant deshalb jetzt eine Wallbox zum Laden von Elektroautos auf dem Patientenparkplatz. Während die Kreditanstalt für Wiederaufbau KfW die Zuschüsse für private Ladestationen eingestellt hat, fördert sie Ladestationen für Betriebe einmalig mit 900 EUR. Bei der KfW gibt es eine Liste, welche Ladestationen gefördert werden. Das ist herstellerabhängig. Dr. Treichel plant die Ladestation direkt an die Hauswand anzubringen. Der Strom für die geplante neue Ladestation auf dem Patientenparkplatz sowie die Ladestation für das private Elektroauto in der Garage kommt vom Dach. Hier produzieren die Module der 10-Kilowatt-Photovoltaik-Anlage nicht nur den Strom zum Laden der Elektrofahrzeuge, sondern decken nahezu den gesamten Strombedarf der Praxis. „Meine Praxisräumlichkeiten sind gemietet“, er-
ZBW_4/2022 www.zahnaerzteblatt.de 23_BERUFSPOLITIK hält die elektrische Verdunkelung der Dachflächenfenster ebenfalls sehr viel Wärme ab“. Außerdem wird in der Praxis digital geröntgt und die Umwelt dadurch weniger mit schädlichen Chemikalien belastet. Klimaretter. Die Zahnarztpraxis Dr. Treichel hat den 2. Platz beim Klimaretter-Award 2021 in der Kategorie Kleinstunternehmer und Praxen belegt. zählt Dr. Treichel, „ich habe vertraglich vereinbart, dass ich die Dachfläche für die Photovoltaik-Anlage nutzen darf. Sie ist schon seit Ende 2016 in Betrieb“. Er zückt sein Handy und zeigt mir die App, mit der er seine Stromproduktion überwachen kann. Aktuell werden 1,43 kW produziert, aber 1,45 kW benötigt – den fehlenden Strom deckt Dr. Treichel über einen Vertrag mit einem Ökostromanbieter, ein Windenergiebetreiber aus Norddeutschland. Dr. Treichel überlegt aktuell, seine Photovoltaik-Anlage zu erweitern. Er hatte sich 2016 für eine 10 kW-Anlage entschieden, um keine EEG- Umlage zu bezahlen, die zu diesem Zeitpunkt für Anlagen über 10 kW noch zu entrichten waren. Nachhaltige Lektüre. Statt „auto motor sport“ lesen die Patienten von Dr. Andreas Treichel „elektro auto mobil“ während sie auf ihre Behandlung warten. Foto: A. Mader SCHON IMMER NACHHALTIG „Angefangen hat alles, als ich vor 13 Jahren ein Niedrig-Energiehaus gebaut habe“, erzählt mir Dr. Treichel als ich ihn auf die Beweggründe seines Engagements zum Schutz von Umwelt und Klima anspreche. Auf dem Dach – selbstverständlich eine Photovoltaik-Anlage. Von der Solarenergie ist Dr. Treichel nachhaltig überzeugt. Er engagiert sich deshalb auch seit längerem in einer Interessengemeinschaft vor Ort für Photovoltaik-Anlagen. „Wir unternehmen gemeinsame Sonnenspaziergänge, um Interessierte von der Anschaffung einer Photovoltaik-Anlage zu überzeugen“. Seit wann er elektrisch fährt, weiß er schon gar nicht mehr. Dafür aber, dass er erst zweimal in seinem Leben geflogen ist, das eine Mal, um sein Elektroauto in Hamburg abzuholen. „Das verursachte CO 2 habe ich aber kompensiert“, ergänzt er sogleich. „Ich bin schon immer nachhaltig unterwegs, es fällt mir nicht schwer, weil ich persönlich überzeugt bin“, betont Dr. Treichel. Überzeugt sind auch die Mitarbeiterinnen. Alle im Team stehen hinter den Maßnahmen. „Nachhaltigkeit wird in der Praxis gelebt und neuen Mitarbeitern vorgelebt“, betont Laura Giannetta, die schon seit ihrer Ausbildung vor 17 Jahren in der Praxis von Dr. Treichel arbeitet. Und dann sprudelt es aus den Mitarbeiterinnen nur so heraus und sie berichten, was sie alles in der Praxis machen: Die Waschmaschine und der Thermodesinfektor laufen immer möglichst voll, Müll wird getrennt und nur eine volle Mülltüte kommt vor die Tür, alle Geräte, außer der Server, sind mit Zeitschaltuhren versehen, beim Verlassen der Räume wird das Licht ausgeschaltet, die Mundspülbecher sind Mehrwegbecher und können im RDG gereinigt werden, es gibt in der Praxis ausschließlich LED-Lampen und trotz großer Hitze in den Sommermonaten, da die Praxis sich im Dachgeschoss befindet, gibt es keine Klimaanlage. „Der Vermieter hat teilweise Energiesparfenster eingebaut, das bringt sehr viel“, ergänzt Dr. Treichel, „im Labor Foto: G. Schulte-Hoppe, Schwäbische Zeitung KLIMARETTER-AWARD 2021 Im Mai 2020 hat die ZBW- Redaktion erstmals eine Titelstrecke zum Thema Nachhaltigkeit in der Zahnarztpraxis gemacht. In dieser Ausgabe hat Dr. Treichel zum ersten Mal von der Aktion „Klimaretter – Lebensretter“ der Viamedica Stiftung gehört, deren Arbeit der Vorsitzende des Vorstands, Prof. Daschner, ausführlich vorgestellt hat. „Wir haben uns daraufhin auf der Webseite für das Projekt angemeldet“, erzählt Dr. Treichel. Innerhalb kürzester Zeit hatte das Praxisteam so viele Punkte für ihre ergriffenen Maßnahmen zur CO 2 -Einsparung gesammelt, dass eines Tages eine Urkunde in der Praxis eintraf, die zum 2. Platz beim Klimaretter-Award in der Kategorie Kleinstunternehmer und Praxen gratulierte. „Wir waren total überrascht, haben uns aber riesig gefreut“, sagt Sanela Kucevic. „Es gab zum Beispiel Punkte, wenn man auf eine bestimmte Menge an Fleisch verzichtete, die Treppe statt des Aufzugs benutzte oder doppelseitig ausdruckte“, erzählt Sabrina Joos. Motiviert durch die Auszeichnung der Viamedica Stiftung hat sich die Praxis aktuell für den Zukunftspreis des Stadtwerks am See beworben. Bewerben konnten sich alle Initiativen, die zu einer lebenswerten Zukunft in der Region beitragen. Inzwischen steht die Entscheidung fest: Die Praxis Dr. Treichel hat den vierten Platz belegt. KLIMAZERTIFIKATE Zum Schluss frage ich Dr. Treichel noch, ob er seine Emissionen mit Umweltzertifikaten kompensiert. „Ich bin am überlegen“. Aufgrund des Filmes, den die Landeszahnärztekammer über die erste klimaneutrale Praxis von Dr. Hans-Georg Rollny gedreht hat, ist er auf Fokus Zukunft, eine Nachhaltigkeitsberatungsgesellschaft für mittelständische Unternehmen, aufmerksam geworden und hat bereits Kontakt aufgenommen. „Jetzt warte ich noch die Karlsruher Konferenz ab, bevor ich mich entscheide“. Die diesjährige Karlsruher Konferenz fand am 18. März zum Thema „Nachhaltige Zahnmedizin – von Prävention bis Klimaschutz“ statt. Das Praxisteam von Dr. Treichel hatte sich vor langer Zeit schon geschlossen für die Konferenz angemeldet und das Online-Event im Livestream gemeinsam verfolgt. Andrea Mader
Laden...
Laden...
Informationszentrum Zahn- und Mundgesundheit Baden-Württemberg (IZZ)
Haus: Heßbrühlstraße 7, 70565 Stuttgart
Post: Postfach 10 24 33, 70200 Stuttgart
Telefon: 0711 222 966 0
Fax: 0711 222 966 20
presse@izzbw.de
Eine Einrichtung der Kassenzahnärztlichen
Vereinigung Baden-Württemberg
& der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg
© by IZZ Baden-Württemberg - Impressum - Datenschutz