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Ausgabe 01 2024

38_FORTBILDUNG

38_FORTBILDUNG ZBW_1/2024 www.zahnaerzteblatt.de Herbsttagung der BZK Stuttgart und 26. KH-Symposium KNACKPUNKT KIEFERGELENK Wenn der goldene Oktober beginnt, lädt die Bezirkszahnärztekammer Stuttgart zu ihrer Herbsttagung und dem „KH-Symposium“ ein. Diesmal nahmen 230 Kolleginnen und Kollegen die Gelegenheit zur Fortbildung am 7. Oktober 2023 im Lindenmuseum Stuttgart wahr. (DGFDT). „Knirscherschienen“ können die Zähne schützen. Darüber hinaus sei das sog. Biofeedback eine hilfreiche Therapiemethode, ebenso wie die progressive Muskelentspannung nach Jacobsen. Wissen im Fokus. Das Auditorium des 26. KH-Symposiums, der Herbsttagung der BZK Stuttgart im Lindenmuseum Stuttgart. Der Vorsitzende der BZK Stuttgart Dr. Eberhard Montigel und Dr. Rolf Bublitz, der Vorsitzende der Wissenschaftlichen Vereinigung für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Stuttgart e. V., eröffneten die Veranstaltung. Beide bedankten sich bei Prof. Dr. Dr. Benedicta Beck-Broichsitter, der Direktorin der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Katharinenhospitals am Klinikum Stuttgart, für die Leitung des Symposiums. FORMEN DES BRUXISMUS Prof. Dr. Ingrid Peroz von der Abteilung für Zahnärztliche Prothetik an der Charité berichtete, dass zwischen Nacht- und Wach-Bruxismus zu unterscheiden sei. Es gebe keine Belege dafür, dass die Okklusion und der Bruxismus in einem ätiologischen Zusammenhang stünden. Im Vordergrund stünden zentrale Ursachen wie z. B. emotionaler Stress. Die Prävalenz des Bruxismus werde mit ca. 13 Prozent für den Wach- und mit ca. 25 Prozent für den Schlafbruxismus angegeben. Sie besprach die Folgen, vor allem die Abrasion der Zahnhartsubstanz und den Verlust von Restaurationsmaterialien sowie das Risiko, eine kraniomandibuläre Dysfunktion zu entwickeln. Untersuchungen in einem Schlaflabor können den Bruxismus zwar sicher nachweisen, sind aber aufwendig. Aufzeichnende EMG-Geräte seien ebenfalls geeignet, jedoch noch nicht praxisreif. Für die Diagnostik in der Praxis fände am besten eine Graduierung aufgrund eines Screening-Index statt. Die Behandlung beginne mit Aufklärung und Beratung, dafür gibt es die Merkblätter der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie Fotos: Dr. Rolf Bublitz CMD Prof. Peroz führte aus, dass die craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) charakterisiert sei durch Schmerzen der Kaumuskulatur oder des Kiefergelenks bzw. der Zähne – mit oder ohne Dysfunktionen des Gelenks. Die Patienten sollten einem Screening unterzogen werden, auch dazu eignen sich Bögen der DGFFG. Bei der Untersuchung sollten die Kaumuskulatur und die Kiefergelenke palpiert, die Mundöffnung gemessen und die Okklusion überprüft werden. Einem alleinigen Kiefergelenksknacken kommt kein Krankheitswert zu. Eine klinische Funktionsanalyse gemäß Formular der DGFFG stellt den nächsten Schritt der Diagnostik dar. Vor allem vor prothetischen Rekonstruktionen sei es wichtig, den prätherapeutischen Befund zu dokumentieren. Dem könnten dann instrumentelle Okklusions- und Funktionsanalysen folgen. Bildgebende Verfahren seien u. U. indiziert, ebenso wie weitere konsiliarische Untersuchungen. Vor jeder prothetischen Rehabilitation solle eine bestehende CMD behandelt werden und reversible prothetische Maßnahmen bevorzugt werden. OKKLUSALE DYSÄSTHESIE Relativ neu ist der Begriff „Okklusale Dysästhesie“ (OD). Alle erfahrenen Zahnärzte und Zahnärztinnen kennen einzelne „schwierige“ Patienten, bei denen störende Zahnkontakte das Hauptproblem sind, diese Kontakte – und die Ursache für die Beschwerden – zahnärztlicherseits aber nicht festgestellt werden können. Univ. Prof. Dr. Anne Wolowski von der Universität Münster definierte die Okklusale Dys-

ZBW_1/2024 www.zahnaerzteblatt.de 39_FORTBILDUNG Vortragende und Gastgeber. Dr. Eberhard Montigel, Vorsitzender der BZK Stuttgart, Prof. Dr. Dr. Benedicta Beck-Broichsitter, Klinikum Stuttgart, Prof. Dr. Ingrid Peroz, Charité Berlin, Prof. Dr. Marc Schmitter, Univ. Würzburg, Prof. Dr. Anne Wolowski, Univ. Münster und Dr. Rolf Bublitz, Vorsitzender der Wissenschaftlichen Vereinigung für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Stuttgart e. V. (v. l.) ästhesie (OD) daher als Beschwerden, bei denen Zahnkontakte, die klinisch weder als Fehlkontakte objektivierbar sind noch im Zusammenhang mit anderen Erkrankungen stehen, länger als sechs Monate als störend empfunden werden. Die okklusale Dysästhesie sei eine sog. „somatische Belastungsstörung“ in der Medizin; d. h. die Betroffenen beklagen auch Belastungen im Alltag und seien sowohl kognitiv als auch emotional und im Verhalten auffällig. Eine OD könne im Anschluss an eine zahnärztliche Behandlung entstehen, aber nicht nur nach okklusalen Veränderungen. Diese als verursachend anzunehmen, greife zu kurz, so Prof. Wolowski. Die OD sei vielmehr die Folge einer „maladaptiven Signalverarbeitung“ und damit kein primär zahnmedizinisches, sondern ein psychosomatisches Krankheitsbild. Gleichwohl seien der Zahnarzt oder die Zahnärztin primäre Ansprechpartner. Betroffen seien Frauen deutlich häufiger als Männer, im Alter über 45 Jahren. Diagnostisch sollte man parallel zur zahnärztlichen Untersuchung behutsam das Vorhandensein weiterer körperlicher Beschwerden abfragen sowie die persönlichen und sozialen Aspekte der Betroffenen berücksichtigen. Es existierten dazu diverse geeignete Befundbögen. Wichtig in der Praxis sei die Abgrenzung zu einer tatsächlichen Okklusopathie. Therapeutisch sei es das Ziel aller Maßnahmen, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Dies geschieht durch Aufklärung und Beratung mit Erklärung der pathophysiologischen Zusammenhänge, ggf. der Dokumentation der okklusalen Kontaktpunkte und einer Defokussierung der Betroffenen. Eine Grundvoraussetzung sei es dabei, den Patienten ernst zu nehmen und konfrontative Gesprächssituationen zu vermeiden. In der Regel akzeptiere ein Betroffener die Diagnose OD jedoch kaum, die Patienten hängen ihrem somatischen Erklärungsmodell an. Eine kurzfristige Behandlung mit Aufbissbehelfen könne dem Ziel der Reizreduktion dienen. Ansonsten ist eine kognitive Verhaltenstherapie und evtl. auch eine ärztliche medikamentöse Therapie zielführend. Eine Änderung der Okklusion ist in der Regel nicht zielführend. Eine OD persistiere vielfach, wenn ein ausschließlich zahnärztlicher Therapieansatz gewählt wird, sagte Prof. Wolowski. THERAPIE Prof. Dr. Marc Schmitter von der Universität Würzburg fasste zusammen, dass Beratungsgespräche und Eigenübungen erwiesenermaßen geeignet seien, Schmerzintensität und Frequenz von Wachbruxismus bei chronischen CMD-Schmerzen zu reduzieren. Daneben hätten die Physiotherapie, Schienentherapie, medikamentöse Therapie, psychosoziale Interventionen und wenige invasive Verfahren ihren Stellenwert. Den Eigenübungen komme auch unter Verwendung von mechanischen Geräten eine schmerzreduzierende Bedeutung zu. Massagen hingegen können nur unspezifisch nützen, manuelle Therapien haben gute kurzzeitige Effekte gezeigt. Der Nutzen der Osteopathie bei einer CMD sei wissenschaftlich nicht nachgewiesen. Das Biofeedback kann bei Schlafbruxismus gute Ergebnisse zeigen und mithilfe von digitalen Applikationen auf dem Smartphone unterstützt werden. Die Symptome der CMD würden erwiesenermaßen durch Aufbissbehelfe mit Hilfe der Änderung der Kontraktionsmuster der Kaumuskeln und der Lasttragung der Gelenkstrukturen beeinflusst. Einfache Tiefziehschienen sind nach Prof. Schmitter als „Soforthilfen“ sehr gut geeignet; der Standard sei aber eben eine individuell angefertigte Aufbissschiene wie die Michigan-Schiene. Eine medikamentöse Therapie über den Hausarzt könne notwendig werden, dabei können sowohl Analgetika, Anästhetika, nonsteroidale Antirheumatika, Muskelrelaxantien, trizyklische Antidepressiva als auch Antikonvulsiva oder schlaffördernde Medikamente zur Anwendung kommen. Weniger empfehlenswert seien hingegen sog. „Chondroprotektiva“, Arthroskopien, Arthrozentesen und das Medikament Palmytoylethanolamid (PEA). EXPERTENRUNDE Die Vortragenden präsentierten anschließend eigene klinische Fälle und stellten sie unter der Moderation von Prof. Beck-Broichsitter zur Diskussion. Die Rückmeldungen aus dem Publikum ließen darauf schließen, dass es dem KH-Symposium erneut gelungen war ein praxisrelevantes Thema synoptisch aufzuarbeiten, es wissenschaftlich komprimiert darzustellen und in einem innovativen Format zu diskutieren. Dr. Rolf Bublitz

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