32 Im Blick 100 Jahre Zahnmedizinische Aus- und Fortbildung in Karlsruhe Früchte der Wissenschaft Auf eine 100-jährige Geschichte blickt die Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe in diesem Jahr zurück. Aus diesem Anlass erscheinen in regelmäßiger Folge Beiträge zur Geschichte dieser Lehrinstitution. In den vorangegangenen Beiträgen (ZBW 3/2020, 7/2020, 8-9/2020) haben wir von der Eröffnung des Dentistischen Instituts, über die Umwandlung des Dentistischen Lehrinstituts zum ersten Fortbildungsinstitut, den großen Umbau 1978-1981 und den Amtsantritt von Prof. Dr. Michael Heners berichtet. Der neue Beitrag rückt die Wissenschaft in den Mittelpunkt. Im Statut verankert. Wie ist das Verhältnis zwischen einer Fortbildungseinrichtung und der Wissenschaft beschaffen? Soll die Einrichtung selbst Forschung betreiben? Diese Frage stellte sich 1960, als das erste Statut des frisch gegründeten Fortbildungsinstituts in Karlsruhe zur Diskussion stand. Die Wissenschaft wurde als wichtig erkannt – heute würde man wohl sagen als „systemrelevant“. Im Paragrafen 2 des ersten Statuts vom 30. Juli 1960 wird festgehalten, dass das Institut gemeinnützige Zwecke verfolgt „und zwar insbesondere durch die Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege, Förderung der Wissenschaft und Förderung der Berufsbildung.“ Diese Listung wichtiger Aufgaben weist in eine Richtung, die bis heute die zahnmedizinische Forschung der Akademie bestimmt. Sie scheut vor gesundheitspolitischen Themen nicht zurück, analysiert das klinische Geschehen und spiegelt ihre Ergebnisse zurück in Poliklinik und Fortbildung. Das Statut der Akademie wurde Ende der siebziger Jahre durch das „Statut für die Fortbildungseinrichtungen der LZK Baden-Württemberg“ ersetzt. Darin wurde die Rolle der Wissenschaft in den Fortbildungseinrichtungen weiter konkretisiert. Hier steht im Paragrafen 1: „wissenschaftliche Maßnahmen und Weiterbildung werden im Rahmen der Fortbildungsaufgaben gefördert.“ Das bedeutet für die Akademie, die von ihr ins Programm eingebrachten Fortbildungsthemen werden durch sie auch selbstständig mittels wissenschaftlicher Studien untermauert. Wissenschaftler als Direktor. Schon zur Zeit des dentistischen Ausbildungsinstituts gab es vereinzelte klinische Berichte aus der Feder von Institutsmitarbeitern, die in zahnmedizinischen Zeitschriften veröffentlicht wurden. Der Beginn der systematischen Integration von Wissenschaft in das Konzept der Akademie fällt jedoch ohne Zweifel zusammen mit der Berufung von Professor Dr. Michael Heners als Direktor im Jahr 1981. Heners hatte sich in Homburg habilitiert und verfügte aus seiner Zeit in Kiel und Homburg über ein prägnantes wissenschaftliches Profil. Aber wie konnte er in einer öffentlich-rechtlichen Institution seine wissenschaftliche Arbeit fortsetzen? Es gab im Haus in der Sophienstraße kaum wissenschaftliche Infrastruktur. Es gab jedoch eine Poliklinik mit innovativen Behandlungskonzepten. Mit Phantasie und Tatkraft gelang es Heners, die Poliklinik zur Basis seiner weiteren wissenschaftlichen Arbeit zu machen, wodurch die Wissenschaft zu einem Lebensnerv der Akademie wurde. Schon 1984 entstand auch eine institutionelle Basis für die wissenschaftliche Arbeit in Karlsruhe. Die Akademie schloss unter der Leitung von Prof. Heners einen Kooperationsvertrag mit der Universität des Saarlandes. Seither sind Dissertationen und Habilitationen von Karlsruher Kandidaten an der Universitätsklinik Homburg möglich. Klinische Wissenschaft. Implantologie und innovative prothetische Behandlungskonzepte waren der Schwerpunkt der klinischen Wissenschaft in Karlsruhe. 1983 verfasste Prof. Heners, zusammen Foto: PD Dr. Michael Korsch, M.A. Abb. 1 Abb. 3 Abgenommene Implantatbrücke. Überstehende Reste des Methacrylatzementes sind an beiden Pfeilern sichtbar. Foto: Markus Lehr Frischgebackener Privatdozent. Dr. Michael Korsch erhält 2016 seine Habilitationsurkunde von Prof. Matthias Hannig. ZBW 10/2020 www.zahnaerzteblatt.de
Im Blick 33 mit Dr. Michael Wörle, die erste klinische Studie über den Erfolg verschiedener Implantationsverfahren. Der Erfolg von 306 Implantaten verschiedener Typen wurde statistisch ausgewertet. Solche Studien waren zu diesem Zeitpunkt eine Rarität. Stapel von Karteikarten mussten durchgeschaut werden. Eine EDV-Dokumentation gab es noch nicht. Die Ergebnisse der Studie erlangten große Aufmerksamkeit, insbesondere weil hier erstmalig der Erfolg des Tübinger Sofortimplantates realistisch eingeschätzt wurde (Abb. 2). Da eine Misserfolgsquote von 26,7 Prozent festgestellt wurde, kam es zu leidenschaftlichen und kontroversen Diskussionen in der Fachwelt. Die Ergebnisse der Studie wurden – wie auch viele spätere Studien – Gegenstand in den Fortbildungskursen der Akademie. Zur Optimierung der klinischen Dokumentation wurde ab 1985 die subsequente Dokumentation entwickelt. Klinische Daten wurden in einem eigenen EDV-System erfasst, in dem bedeutsame prognostische Kovariablen der zu untersuchenden Fälle für die Auswertung zur Verfügung standen. Die wichtigste Zielpopulation für diese Dokumentation waren Patienten, die mit Konuskronenkonstruktionen versorgt worden waren. 1988 erschien die erste Studie auf Basis dieses neuen Dokumentationsverfahrens: „Klinische Bewährung der Konuskrone als perioprothetisches Konstruktionselement – Eine Langzeitstudie“. Der Fallverlauf von 871 Konstruktionen mit insgesamt 2793 Pfeilerzähnen wurde ausgewertet und dargestellt. Autoren dieser Studie waren Michael Heners und Winfried Walther, der mit Ergebnissen des neuen Dokumentationsverfahrens 1992 in Homburg habilitierte. Die klinische Forschung ist seit dieser Zeit ein fester Bestandteil im Leben der Akademie geworden. Über 100 Publikationen zum Erfolg klinischer Verfahren sind bis heute entstanden. Versorgungsforschung. Versorgungsforschung beschäftigt sich mit der Frage, wie die Effektivität der medizinischen Grundversorgung verbessert werden kann. Ferner werden Probleme analysiert, die das Tabelle aus dem Jahre 1983. Erste Ergebnisse zum Thema Implantaterfolg. Gesundheitssystem im Allgemeinen betreffen. Von besonderer Bedeutung sind hier die Schnittstellen zwischen verschiedenen Versorgungsbereichen und auch die Schnittstelle Klinik – Fortbildung. Das Land Baden-Württemberg richtete im Jahr 2011 die „Nachwuchsakademie Versorgungsforschung“ ein. Erster Teilnehmer aus dem Bereich der Zahnmedizin war Dr. Andreas Bartols, dessen Studie die Effektivität einer neuen endodontischen Technologie untersuchte. Einen starken Impuls erhielt die Versorgungsforschung in der Akademie durch die Einrichtung des Masterstudienganges „Integrated Dentistry“ in Kooperation mit der Universität Magdeburg. Die Master- Studenten hatten die Möglichkeit auch qualitative Studien durchzuführen, was das Spektrum der möglichen Themen erheblich erweiterte. Qualitative Forschung zielt nicht auf quantitative Ergebnisse. Die Fragestellung wird meist dadurch bearbeitet, dass man die Betroffenen zu Wort kommen lässt. Auf diese Weise konnte u. a. auch die Wirksamkeit von zahnärztlicher Fortbildung analysiert werden. Ein Beispiel für entsprechende Studien ist die von Simone Ulbricht verfasste Arbeit mit dem Titel „Die Wirksamkeit des Masterstudienganges „Integrated Practice in Dentistry“ – empirische Rekonstruktion von Lernerfahrungen entlang der Ziele der CPD“. Die Autorin erhob, welche Dimensionen der Berufspraxis, der Abb. 2 Persönlichkeitsentwicklung und der professionellen Gemeinschaft im Rahmen dieses Fortbildungformates gefördert und weiterentwickelt wurden. Besser behandeln. In drei Beispielen soll hier veranschaulicht werden, wie Fortbildung und Wissenschaft in der Akademie zusammenwirken und das Ziel verfolgen, der Praxis den Weg zu einer besseren Versorgung zu weisen. Behandlungsrisiko? Vor diese Frage war Michael Korsch im Jahr 2010 gestellt, als er Implantate nachuntersuchte. Es fiel ihm auf, dass Blutungen im Bereich des periimplantären Gewebes häufiger festgestellt wurden als dies in der Vergangenheit der Fall war. Es stellte sich heraus, dass in den betroffenen Fällen ein neuer temporärer Befestigungszement für die Suprakonstruktion eingesetzt worden war. Dieser Zement war auf einer Methacrylatbasis aufgebaut. Bei Abnahme der Suprakonstruktion zeigte sich, dass am Kronenrand und im periimplantären Sulcus kleine Fahnen des Zementes persistierten und offensichtlich mit den pathologischen Veränderungen in Zusammenhang zu bringen waren (Abb. 1). Diese Beobachtung war Anlass für die größte Rückrufaktion, die es bislang in der Akademie gab. Alle entsprechend versorgten Patienten – und auch solche, die mit einem anderen Befestigungszement versorgt wor- Abb.: DZZ 1983 www.zahnaerzteblatt.de ZBW 10/2020
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