30_FORTBILDUNG ZBW_10/2023 www.zahnaerzteblatt.de Langzeiterfolg von Implantaten EINFLUSS DES GINGIVALEN PHÄNOTYPS Obwohl der Langzeiterfolg von dentalen Implantaten wissenschaftlich belegt ist, findet insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit parodontalen Vorerkrankungen häufig periimplantärer Knochenabbau statt. In diesem Zusammenhang ist es von besonderem Interesse, den Einfluss des gingivalen Phänotyps auf den periimplantären Knochenabbau genauer zu untersuchen. Foto: Adobe Stock/ART-PHOTOS Der Langzeiterfolg von dentalen Implantaten wurde bereits in vielen Studien belegt, allerdings entwickeln mehr als 40 Prozent aller Implantate periimplantäre Erkrankungen und nahezu jedes vierte Implantat zeigt während der Belastungsphase mindestens einmal erhöhten Knochenabbau (Derks und Tomasi 2015). Besonders Patientinnen und Patienten mit parodontalen Vorerkrankungen zeigen verstärkt periimplantäre Entzündungen und Knochenabbau (Abb. 1) (Swierkot et al. 2012). Neben dem Zusammenhang von entzündlichen Weichgewebsläsionen und Knochenabbau scheinen weitere Faktoren den periimplantären Knochenabbau zu beeinflussen (Fu und Wang 2020). Da der periimplantäre Knochenabbau multifaktoriell bedingt ist, stellt sich somit die Frage, wie wir Risikofaktoren für den Knochenabbau identifizieren können, um bessere klinische Erfolge zu erzielen. Dabei kommt dem periimplantären Weichgewebe als potenzieller Risikofaktor für den Knochenabbau eine bedeutende Rolle zu (Berglundh et al. 1991; Berglundh und Lindhe 1996). Um den Einfluss des periimplantären Weichgewebes auf den Knochenabbau verstehen und damit abschätzen zu können, ist der histologische Aufbau des Weichgewebes grundlegend. Im Gegensatz zu Zähnen, die sich embryonal gemeinsam mit dem parodontalen Weichgewebe entwickeln, entsteht das periimplantäre Weichgewebe durch reparative Prozesse 1a 1b Verlauf des Knochenabbaus zur Baseline (l.) und zehn Jahre später (r.).
ZBW_10/2023 www.zahnaerzteblatt.de 31_FORTBILDUNG 2 3 Dick-flacher Biotyp: Quadratische Zahnkronenform, dicke Gingiva mit flachem Verlauf und breite befestigte Gingiva. Dünn-skallopierender Biotyp: Schmale, dreieckige Zahnkronenform, dünne Gingiva mit skallopierendem Verlauf und schmale befestigte Gingiva. (Listgarten et al. 1991). Durch die Umstrukturierungsprozesse bildet sich um das Implantat eine periimplantäre Weichgewebsmanschette unter Knochenresorption. In tierexperimentellen Studien wiesen Implantate mit einer geringeren Weichgewebshöhe mehr Knochenabbau auf und somit scheint die periimplantäre Weichgewebsmanschette eine wichtige Schutzbarriere vor Knochenabbau zu sein (Berglundh und Lindhe 1996). GINGIVALER UND PARODONTALER BIOTYP In früheren Jahren zeigten klinische Untersuchungen bereits eine Korrelation zwischen Weichgewebe und Zahnkronenform (Weisgold 1977; Ochsenbein und Ross 1973; Hirschfeld 1923). Schmale, konische Zahnkronen mit kleinen Approximalkontakten wurden mit einem dünnen Weichgewebe und stark bogenförmig verlaufendem Gingivarand assoziiert. Breite, kurze Zahnkronen mit großen Approximalkontakten dagegen mit dickem Weichgewebe (Weisgold 1977; Seibert und Lindhe 1989). Die Weichgewebsdicke beeinflusst die jeweils spezifischen Reaktionen des Parodonts auf äußere Reize (Weisgold 1977; Ochsenbein und Ross 1969). Dünnes Weichgewebe reagiert mit der Ausbildung von fazialen Rezessionen, dickes Weichgewebe dagegen mit erhöhten Sondierungstiefen. Weitere Untersuchungen zeigten, dass die Kontur der Gingiva durch den darunterliegenden Knochen und die Zahnkronenform bestimmt wird (Ochsenbein und Ross 1969). Basierend auf den Untersuchungen der Zahnkronenform und gingivalem Weichgewebe wurden zwei Weichgewebstypen unterschieden und als Biotypen bezeichnet (Seibert und Lindhe 1989): • Dick-flacher Biotyp: quadratische Zahnkronenform, dicke Gingiva mit flachem Verlauf und breite befestigte Gingiva (Abb. 2). • Dünn-skallopierender Biotyp: schmale, dreieckige Zahnkronenform, dünne Gingiva mit skallopierendem Verlauf und schmale befestigte Gingiva (Abb. 3). Viele Studien an natürlichen Zähnen konnten Merkmale und Auswirkungen des gingivalen Biotyps auf das Parodont nachweisen. Patientinnen und Patienten des dick-flachen gingivalen Biotyps wiesen signifikant höhere Sondierungstiefen, flache Papillen und schmale befestigte Gingiva auf (Anand et al. 2012; Müller et al. 2000; Rouck et al. 2009). Patientinnen und Patienten des dünnen gingivalen Biotyps haben aufgrund schmaler befestigter Gingiva und häufig dünn assoziiertem Alveolarknochen ein erhöhtes Risiko für die Ausbildung von gingivalen Rezessionen (Müller et al. 2000). GINGIVALER UND PARDONTALER PHÄNOTYP Vor wenigen Jahren wurden im Rahmen des World Workshops der bisherige Begriff Biotyp vom Phänotyp abgegrenzt (Cortellini und Bissada 2018; Jepsen et al. 2018). Der Phänotyp beschreibt das Erscheinungsbild, die Ausprägung bestimmter Merkmale, die durch Zusammenwirken von Genetik (Genotyp) und Umwelt entstehen. Der Biotyp (Genotyp) beschreibt das Genom, welches die Ausprägung der Merkmale bestimmt. Demnach empfiehlt der World Workshop, die Definition der Phänotypen zu übernehmen, um den Begriff Biotyp zu ersetzen. Die drei gingivalen Phänotypen wurden zur Beschreibung der dreidimensionalen Weichgewebsmorphologie, die sich aus Gingivaverlauf, Weichgewebsdicke und Breite der befestigten Gingiva zusammensetzt, wie folgt definiert: • Dünn-skallopierender gingivaler Phänotyp: dünne Gingiva mit skallopierendem Verlauf und schmale befestigte Gingiva (Abb. 4). • Dick-flacher gingivaler Phänotyp: dicke Gingiva mit flachem Verlauf und breite befestigte Gingiva (Abb. 5). • Dick-skallopierender gingivaler Phänotyp: dicke Gingiva mit skallopierendem Verlauf und schmale befestigte Gingiva (Abb. 6). KLINISCHE RELEVANZ Während der Einfluss des Phänotyps auf die parodontale Gesundheit weitreichend untersucht wurde, gibt es bislang nur wenige Studien, die den Einfluss auf Implantate untersuchen. Die Ergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass der gingivale Phänotyp einen Einfluss auf den periimplantären Knochenabbau im ersten Jahr der Implantatbelastung hat (Puisys und Linkevicius 2015; Linkevicius et al. 2009; Linkevicius et al. 2015; Vervaeke et al. 2014). Patientinnen und Patienten mit dünnem gingivalen Phänotyp und entsprechend schmalem periimplantären Weichgewebe zeigten einen erhöhten initialen Knochenverlust am Implantat (Avila-Ortiz et al. 2020). Die Verdickung und Verbreiterung des Weichgewebes vor Implantation führten zu einem geringe-
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