26 Fortbildung Hall-Technik Kariesbehandlung an Milchmolaren ohne Kariesexkavation Zur Kariestherapie bei Kindern rückt heutzutage die sogenannte Hall-Technik aufgrund neuer Erkenntnisse im Verständnis von Karies immer mehr in den Fokus. Bei dieser Technik wird eine Stahlkrone ohne vorherige Kariesexkavation auf einen Milchmolaren zementiert. Eine sorgfältige Indikationsstellung ist essenziell für den hohen Erfolg dieser Technik, welche die Erfolgsraten der konventionellen Füllungstherapie deutlich übertrifft. Historie. Die Hall-Technik ist eine alternative Methode zur Behandlung kariöser Milchmolaren. Dabei erfolgt im Rahmen der Hall-Technik im Gegensatz zur konventionellen Stahlkronenversorgung keine Lokalanästhesie, keine Präparation und keine Kariesentfernung, sondern lediglich eine Zementierung einer vorgefertigten Stahlkrone über den Milchmolaren. Diese Technik wurde nach der Begründerin Dr. Norna Hall benannt. Sie war eine Allgemeinzahnärztin aus Aberdeen/Schottland, die eine außergewöhnlich hohe Anzahl von Zähnen (n= 978) im Zeitraum von 1988 bis 2011 auf diese Art mit Stahlkronen versorgte. Im Rahmen einer retrospektiven Analyse wurden dabei hohe Erfolgsraten der Hall-Technik von 86 Prozent nach drei Jahren und nach fünf Jahren von 80,5 Prozent ermittelt (Innes et al., 2006). Daraufhin wurden hochwertige klinisch randomisierte Longitudinalstudien initiiert, bei denen ebenfalls signifikant höhere Erfolgsraten bei Anwendung der Hall-Technik im Vergleich zur konventionellen Füllungstherapie registriert wurden (Innes et al., 2007, 2011; Santamaria et al., 2014). Die Restauration kariöser Milchzähne mittels Stahlkronen an sich ist keine innovative Therapiemethode; bereits seit dem letzten Jahrhundert gelangte ein derartiges Verfahren global zur Anwendung (Randall et al., 2000; Kinderlan et al., 2008), jedoch nach vorheriger kompletter Kariesexkavation und i. d. R. mit vorheriger Lokalanästhesie. Momentan existieren drei Arten von Stahlkronen: nicht-präkonfektionierte, präkonfektionierte und verblendete Stahlkronen. Global werden präkonfektionierte Stahlkronen am häufigsten appliziert, wobei sich diese durch eine optimale Passform und die vorgeformte Kronenwölbung auszeichnen und am besten in einem Set (Abb. 1) zur Verfügung stehen sollten. Nahezu automatisch wird bei präkonfektionierten Stahlkronen eine Kronenanpassung ermöglicht, ansonsten gelingt dies meist mit Hilfe spezieller Instrumente (Abb. 2). Präkonfektionierte Stahlkronen sind somit für die Hall-Technik bestens geeignet. Ungeachtet der Kronenart bestehen die wichtigsten Vorteile von Stahlkronen in einem längeren Erhalt erkrankter Zähne und einem nahezu inexistenten Sekundärkariesrisiko. Kariöse Zahnhartsubstanz an einem Zahn belassen? Traditionell galt die vollständige Entfernung kariöser Zahnhartsubstanz mit anschließender restaurativer Versorgung als Standardbehandlung kariöser Zähne. In den vergangenen Jahren kam es im Verständnis von Karies zu einem Paradigmenwechsel. Karies wird nicht mehr als Infektionserkrankung verstanden, sondern als Resultat eines ökologischen Ungleichgewichtes (Schwendicke et al., 2015), das beispielsweise durch den häufigen Konsum fermentierbarer Kohlenhydrate ausgelöst wird. Im Biofilm werden unter anderem Kohlenhydrate zu Säuren metabolisiert, wodurch eine Demineralisation der Zahnhartsubstanz hervorgerufen wird. Abb. 1 Abb. 2 Präkonfektionierte Stahlkronen. Ein Set mit präkonfektionierten Stahlkronen sollte für die Versorgung kariöser Milchmolaren mittels Hall-Technik in der Praxis vorliegen (Abb. 1). Spezielle Instrumente (Zangen und Schere) zur Anpassung der Edelstahlkronen (Abb. 2). ZBW 5/2017 www.zahnaerzteblatt.de
Fortbildung 27 Abb. 3a Abb. 3b Klinischer Befund. 64 okklusale Füllung und an 65 mesial eine kavitierte kariöse Läsion (Abb. 3a). Im röntgenologischen Befund (Abb. 3b) ist zudem distal an 64 eine kariöse Dentinläsion zu diagnostizieren. Bei 64 und 65 ist jeweils eine Dentinbrücke zwischen der kariösen Läsion und der Pulpa sichtbar. Die Hall-Technik kann bei unauffälliger Schmerzanamnese hier in Betracht gezogen werden. Fotos: Dr. R. Santamaria S. Die zentrale Zielsetzung der Kariestherapie besteht darin, das chronische Ungleichgewicht durch eine Reduktion der Demineralisationsfaktoren und eine Maximierung der Remineralisation zu korrigieren (Ekstrand et al., 2007). In diesem Sinne handelt es sich bei der Hall-Technik um eine prognostisch vorhersehbare Versorgungsoption. Denn dabei wird durch die Stahlkronenzementierung ein dichter Verschluss gewährleistet, sodass kein weiteres Substrat zu einem an der Zahnhartsubstanz lokalisierten Biofilm gelangen kann und folglich der kariöse Prozess unterhalb der Krone arretiert wird. Im aktuellen Verständnis von Karies als Prozess werden weitere weniger invasive Exkavationskonzepte ebenfalls praktiziert. Zum Beispiel werden heutzutage anstelle einer kompletten Kariesexkavation Maßnahmen empfohlen, in deren Rahmen eine selektive Kariesexkavation (wie die schrittweise oder die partielle Kariesexkavationstechnik) sowie die erwähnte Hall-Technik (als Therapieoption ohne Kariesexkavation) präferiert werden (Ricketts et al., 2013; Bjørndal, 2011; Innes und Evans, 2013; Schwendicke et al., 2017). Indikationsstellung. Bei allgemeinmedizinisch gesunden Kindern wird die Indikationsstellung durch die klinische und röntgenologische Untersuchung bestimmt. Da für diese Technik keine Kariesexkavation erforderlich ist, sollten vor der Therapie klinische und röntgenologische Verdachtsmomente auf Pulpabeteiligung ausgeschlossen werden. Dazu zählen klinisch der Ausschluss pulpitischer Beschwerden, insbesondere eine irreversible Pulpitis, sowie ein Anhalt auf Fisteln und/oder Abszesse. Im Röntgenbild sollte eine Dentinbrücke zwischen der kariösen Läsion und der Pulpa sichtbar sein (Abb. 3a und 3b). Besonders geeignet erweist sich die Hall-Technik bei Kindern mit hoher Kariesaktivität und auch bei ängstlichen Kindern, die unter spezifischen Ängsten vor Spritzen oder Bohrern leiden. Zudem ist diese Therapieoption bei Vorliegen einer mäßigen Kooperation oder im Rahmen einer angestrebten Kooperationsverbesserung zu empfehlen. In Tabelle 1 sind die generellen Indikationen und Kontraindikationen der Hall-Technik dargestellt. Hall-Technik Indikationen • kariöse Milchmolaren mit zwei- oder mehrflächigem Kariesbefall (Abb. 3a) • Caries media (mit röntgenologischer Dentinbrücke zur Pulpa, vgl. Abb. 3b) • große, inaktive kariöse Defekte (Abb. 6a) • hohe Kariesaktivität • fehlende Höcker, frakturierte Milchmolaren • Aufbau infraokklusaler Milchmolaren • Zähne mit Anomalien der Zahnform und –struktur (Abb. 4) Kontraindikationen • Caries profunda mit dem Risiko pulpaler Komplikationen • Spontanschmerz, andauernder Schmerz irreversible Pulpitis • Pulpanekrose • apikale/interradikuläre Aufhellungen • immunsupprimierte Kinder / Endokarditisrisiko • Nickelallergie Hall-Technik. Indikationen und Kontraindikationen der Hall-Technik (Tab. 1). www.zahnaerzteblatt.de ZBW 5/2017
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