18 Interview Der G-BA habe nur eine schwache verfassungsrechtliche Verankerung und geringe normative Bindung, entscheide aber über zu viel Geld, heißt es aus Kreisen des Bundesverfassungsgerichtes. Ein erstes Gutachten urteilte: alles gut. Also Entwarnung? Denkbar ist, dass der Gesetzgeber an einigen Stellen die gesetzlichen Ermächtigungsnormen für den G-BA nachschärft. Der Bundesminister für Gesundheit hat zu Beginn des Jahres drei Rechtsgutachten zur demokratischen Legitimation des G-BA in Auftrag gegeben. Ich finde es sehr verantwortungsbewusst, wenn der Minister durch unterschiedliche Gutachter die kontrovers diskutierte und komplexe Fragestellung der demokratischen Legitimation des G-BA tiefgreifend untersuchen lässt. Für den Fall, dass die Gutachter Legitimationsdefizite erkennen sollten, lässt er Abhilfemöglichkeiten prüfen, die ja durchaus differenziert sein können. Ich sehe darin einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion. Blieb bei der Vielzahl von Routineaufgaben bei Arzneimitteln, Bedarfsplanung, Qualitätssicherung und Methodenbewertung noch genug Zeit für die Gestaltung des Innovationsfonds? Rechtsgutachten. „Ich finde es sehr verantwortungsbewusst, wenn der Minister durch unterschiedliche Gutachter die kontrovers diskutierte und komplexe Fragestellung der demokratischen Legitimation des G-BA tiefgreifend untersuchen lässt.“ Die Zeit haben wir uns genommen. Es ist uns im Jahr 2016 mit vereinten Kräften und erheblichem Arbeitsaufwand für alle Beteiligten gelungen, zusätzlich zu den Routine aufgaben die aus dem Innovationsfonds zur Verfügung stehenden Mittel für neue Versorgungsformen und Versorgungsforschung adäquat zu vergeben. Die Vielzahl der bis zum Jahresende 2016 eingereichten Anträge spiegelte das große Interesse am Innovationsfonds wider. Damit einher ging großer Beratungs- und Zeitaufwand, den die intensiven Auswahlprozesse und das Einholen von Expertise mit sich gebracht haben. Hier haben die Vertreterinnen und Vertreter der Bänke, der beteiligten Ministerien, der Patienten sowie der Expertenbeirat und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle des Innovationsausschusses hervorragend zusammengearbeitet. Ganz aktuell haben wir die ersten drei Förderbekanntmachungen für das Jahr 2017 veröffentlicht. Zu neuen Versorgungsformen und der Versorgungsforschung können themenoffen ab sofort Projektanträge gestellt werden, ebenso Anträge zur Evaluation von Selektivverträgen. Seit Veröffentlichung der Förderbekanntmachungen zu den neuen Versorgungsformen und zur Versorgungsforschung gingen insgesamt knapp 700 Förderanträge mit einem Gesamtantragsvolumen von 1,7 Milliarden Euro in der Geschäftsstelle des Innovationsausschusses ein. Haben Sie mit einer solchen Resonanz gerechnet? Nein, mit einer solchen Antragsflut hatten wir nicht gerechnet. Und es war ein enormer Kraftakt erforderlich, um diese alle zu bewerten. Die Qualität und das Potenzial der geförderten Projekte zeigen aber, dass sich die Mühe lohnt. Ich erwarte hier sehr konstruktive Impulse für die Versorgung. Die für das Förderjahr 2016 zur Verfügung stehenden 300 Millionen Euro können vollständig in die Förderung und Entwicklung neuer Versorgungsmodelle und der Versorgungsforschung in die gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland fließen. Sind 300 Millionen Euro im Nachhinein zu wenig? Nein. 300 Millionen Euro über vier Jahre, also 1,2 Milliarden Euro sind eine gigantische Summe, um über die Regelversorgung hinaus Neues zu erproben und Versorgungsforschung zu fördern. Damit kann man viel erreichen, deshalb sollte man nicht unmäßig werden. Das gilt vor allem auch deshalb, weil wir Geld der Versicherten ausgeben. Was ich mir aber wünschen würde, wäre, dass der Fonds nach den vier Jahren nicht ganz „eingestampft“, sondern mit kleinerem Volumen dauerhaft implementiert wird. Meine Vorstellung dazu ist, dauerhaft pro Jahr einen Betrag von etwa 100 Millionen Euro verfügbar zu machen, davon circa 90 Millionen für die Verbesserung der Versorgung und etwa 10 Millionen Euro für die Versorgungsforschung. Denn hier gibt es zahlreiche Aufgaben. Angefangen bei der Richtlinie des G-BA zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, deren Wirkungen wir evaluieren werden, und weiteren Richtlinien des G-BA, die einer Auswertung unterzogen werden sollten, bis hin zur Bedarfsplanung. Fotos: Lopata/Axentis ZBW 5/2017 www.zahnaerzteblatt.de
Interview 19 Die besten Modellprojekte sollen in die Regelversorgung überführt werden. Mit welcher Anzahl rechnen Sie? Es gibt viele Projekte mit enormem Potenzial, die weit über das hinausgehen, was wir schon jetzt in der sektorenübergreifenden Versorgung erreicht haben. Das Entscheidende für mich ist, dass nach den vier Jahren zumindest ein gewisser Prozentsatz der vom Innovationsausschuss geförderten Projekte entweder in größere Selektivverträge oder gar in die Regelversorgung und damit in den Kollektivvertrag übergehen. Ich bin im Augenblick sehr optimistisch, dass das gelingen wird. Wie stehen wir, Ihrer Meinung nach, in Sachen Projektförderung im internationalen Vergleich dar? Das innovative Förderprogramm des Innovationsfonds für sektorenübergreifende Versorgungslösungen ist in dieser Art ein absolutes Novum. Die Zweiteilung der Förderung des Innovationsfonds in Versorgungsforschung im Sinne einer Basisforschung und dem Förderbereich neue Versorgungsformen liefert die Möglichkeit, praxisnah und gleichzeitig wissenschaftlich fundiert neue Erkenntnisse für die Versorgung zu gewinnen. Sowohl die Weltgesundheitsorganisation als auch Fachgesellschaften für integrierte beziehungsweise sektorenübergreifende Versorgung wie beispielsweise die International Foundation for Integrated Care fordern seit Jahren mehr Forschungsförderung in diesem Bereich und beobachten sehr genau die aktuellen Förderungen. Zudem gibt es auf nationaler und internationaler Ebene den Ruf nach verstärkter Aktivität im Aufbau von tragfähigen Evaluationskonzepten. Hier besteht noch eklatanter Forschungsbedarf. Genau dies greift die Förderung des Innovationsfonds auf. Ein Ausblick auf das Jahr 2017: Was erhoffen Sie sich von der Arbeit in den Gremien, welche Schwerpunkte sollten gesetzt werden? Wir haben das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz, das Veränderungen für den G-BA mit sich bringen wird, das Thema Notfallstrukturen und auch die Beratungen zur Überarbeitung der Bedarfsplanung. Daneben sind die planungsrelevanten QS- Indikatoren fortzuentwickeln und Beschlüsse zum Zweitmeinungsverfahren und zu Leistungsbereichen, die sich für qualitätsorientierte Vergütung eignen, zu fassen. ″Wir sollten echte Innovationen von Scheininnovationen trennen.″ Worin sehen Sie, in Ihrer Tätigkeit als Vorsitzender, die größten Herausforderungen bis zur Bundestagswahl? Wir sollten in der Selbstverwaltung zeitnah echte Innovationen von Scheininnovationen trennen und so die Versorgungsqualität permanent im Interesse der Patienten verbessern. In einer Zeit stetiger Veränderungen und immer schneller auf den Gesundheitsmarkt gebrachter neuer Leistungen ist die entscheidende Bewährungsprobe, wie schnell es uns gelingt, hier die richtigen und notwendigen Wege einzuschlagen. Prof. Josef Hecken Professor Josef Hecken ist seit Juli 2012 unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses. Zuvor war er ab 2009 Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, von 2008 bis 2009 amtierte er als Präsident des Bundesversicherungsamtes. Der ehemalige Saarländische Minister für Justiz, Gesundheit und Soziales (2004 bis 2008) ist 57 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder. Die Regierung des Saarlandes verlieh ihm am 13. Januar 2015 den Titel Professor zur Würdigung seiner Verdienste in Wissenschaft und Forschung. Wir müssen täglich beweisen, dass wir imstande sind, Entscheidungen innerhalb vertretbarer Zeiträume fachlich fundierter und patientenorientierter zu treffen, als es der Gesetzgeber oder zentralistische staatsmedizinische Behörden können. In meiner Funktion als unparteiischer Vorsitzender sehe ich hier eine besondere Verantwortung, denn nur wenn es uns gelingt, täglich zu beweisen, dass wir fähig, willens und auch imstande sind, praxistaugliche Entscheidungen herbeizuführen, können wir die gemeinsame Selbstverwaltung dauerhaft erhalten und ausbauen. Es gibt genug Lobbyisten, die uns „abschaffen“ wollen, weil sie meinen, bei der Politik mehr Gehör für ihre lautstark vorgetragenen Partikularinteressen zu finden, als bei uns. Diese Angriffe sind geradezu ein Beweis für die Qualität unserer Arbeit und unserer wissenschaftlichen Objektivität, denn gute Versorgung kann ich nicht nach politischer Opportunität oder orientiert an der Lautstärke, mit der Forderungen vorgetragen werden, gestalten. Wir müssen immer auch kleine Patientengruppen genauso im Blick behalten, wie die großen Volkskrankheiten. Das ist die Stärke der Selbstverwaltung. Und das ist etwas, was sich auch alle internen Kritiker in der Selbstverwaltung öfter ins Bewusstsein rufen sollten. Selbst wenn man sich über manche Dinge ärgert und bei Abstimmungen gelegentlich keine Mehrheit mehr findet, so ist diese Möglichkeit zur Mitgestaltung in eigener Verantwortung doch allemal besser, als Weisungsempfänger staatsmedizinischer Vorgaben zu sein, die irgendein Amt kreiert. Für die Erhaltung dieser zur eigenständigen Wahrnehmung übertragenen Aufgaben und die damit verbundene Verantwortung lohnt sich mancher Ärger und Frust in Gremiensitzungen, die natürlich nicht immer vergnüglich sind! Die Fragen stellte Nicolas Ebert www.zahnaerzteblatt.de ZBW 5/2017
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