8 Titelthema Foto: Fotolia Dienstleistungspaket der Europäischen Kommission in der Kritik Europäische Berufsverbände in Geschlossenheit Am 10. Januar 2017 hat die Europäische Kommission in Brüssel das sogenannte Dienstleistungspaket verabschiedet. Es setzt sich aus mehreren Gesetzgebungsinitiativen zusammen und ist Teil der Binnenmarktstrategie, mit der die Kommission das Ziel verfolgt, das Wirtschaftswachstum in Europa anzukurbeln. Die Vertreter der Freien (Heil-) berufe kritisieren das Paket, weil die Europäische Kommission nationale berufsrechtliche Regelungen unter den Generalverdacht stellt, die ökonomische Entwicklung zu bremsen. Es kommt darauf an, dass die Berufsverbände sich geschlossen in den Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene einbringen, um das Gesetzesvorhaben zu verhindern. „Die vorgeschlagenen Maßnahmen sollen es Dienstleistern erleichtern, administrative Hürden zu überwinden. Außerdem helfen sie den Mitgliedstaaten dabei, übermäßig belastende oder nicht mehr zeitgemäße Anforderungen für Freiberufler, die im Inland oder grenzüberschreitend tätig sind, zu ermitteln“, schreibt die Kommission in einer Pressemitteilung. Die Freien Berufe sehen die neuerliche Kommissions-Initiative freilich in einem anderen Licht: Erneut wird der Rechtfertigungs- bzw. Deregulierungsdruck auf die Freien Berufe erhöht. Berufsrechtliche Regulierung wird als Markteingriff gesehen, der das Wirtschaftswachstum hemmt. „Trotz anderslautender Äußerungen der Kommissionsvertreter ist dies eine bedrohliche Entwicklung“, heißt es entsprechend bei der Bundeszahnärztekammer. Hinzu kommt, dass das Dienstleistungspaket lediglich die aktuell letzte in einer Reihe von bereits erfolgten Regulierungsmaßnahmen und Initiativen darstellt. Neben der Transparenzinitiative zählen hierzu auch das im Juni 2016 eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gegen die Gebührenordnungen von Architekten, Ingenieuren und Steuerberatern in Deutschland. Verhältnismäßigkeitsprüfung. Das Dienstleistungspaket besteht aus vier Initiativen: (1) Verordnung und Richtlinie für eine Europäische Dienstleistungskarte (2) Leitlinien für nationale Reformen bei der Reglementierung (3) Richtlinie für ein Notifizierungsverfahren dienstleistungsbezogener Anforderungen (4) Richtlinie zur Verhältnismäßigkeitsprüfung berufsrechtlicher Regulierungen Subsidiaritätsrüge erhoben. Von diesen vier Initiativen ist nach Auffassung der BZÄK aus zahnärztlicher Sicht vor allem die Richtlinie zur Einführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung mit größter Aufmerksamkeit zu verfolgen, da vom Anwendungsbereich der Richtlinie alle Berufe erfasst werden sollen, auch die Gesundheitsberufe. Der Richtlinienvorschlag sieht einen Prüfauftrag für den nationalen Gesetzgeber vor: Bei Änderungen des bestehenden Berufsrechts oder beim Erlass neuer berufsrechtlicher Regelungen soll der Gesetzgeber anhand von elf Kriterien prüfen, ob diese verhältnismäßig sind oder nicht. Die Bundeszahnärztekammer führt diesen Prüfauftrag auf den aus Sicht der Kommission missglückten Transparenzprozess zurück. Im Rahmen der Transparenzinitiative sind die ZBW 6/2017 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 9 geforderten Bestandsaufnahmen in den Mitgliedstaaten inzwischen abgeschlossen und entsprechende Aktionspläne vorgelegt. Auch in Deutschland. Der Deutsche Bundestag hat in seiner Plenarsitzung im Juli 2016 eine umfassende Entschließung verabschiedet. In diesem Beschluss bekräftigt der Bundestag die Notwendigkeit gemeinwohlorientierter Regulierungen und die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in diesem Bereich. Er verteidigt insbesondere die grundsätzliche Zulässigkeit von Gebühren- und Honorarordnungen sowie Fremdkapitalbeteiligungsverbote. Pläne für unionsrechtliche Maßnahmen, die auf eine Beschränkung der nationalen Regelungskompetenz hinauslaufen, lehnt er ausdrücklich ab. Ganz aktuell haben Bundestag und Bundesrat ihre Kritik am Dienstleistungspaket der Kommission bzw. insbesondere dem Verhältnismäßigkeitstest nochmals erneuert und eine Subsidiaritätsrüge erhoben. Der Bundestag hat am 9. März mit den Stimmen der Regierungskoalition sowie der Linken festgestellt, dass die vier Gesetzgebungsvorschläge, aus denen sich das Dienstleistungspaket zusammensetzt, die im Vertrag von Lissabon festgelegten Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit verletzen. Aus Sicht der deutschen Abgeordneten ist der Richtlinienvorschlag für einen Verhältnismäßigkeitstest von Berufsrecht nicht mit dem allgemeinen Rechtsprinzip der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Einen Tag darauf folgte der Bundesrat mit seiner Rüge und kritisierte den vorgeschlagenen Test scharf. Das Instrument der Subsidiaritätsrüge wurde mit dem Vertrag von Lissabon eingeführt. Mit ihr soll die Rolle der nationalen Parlamente im EU-Gesetzgebungsverfahren gestärkt werden. Nationale Parlamente haben nach Übermittlung eines Kommissionsentwurfs die Möglichkeit, binnen acht Wochen Verstöße gegen das Subsidiaritätsprinzip zu rügen. Erfolgreiche Lobbyarbeit. Die erhobene Subsidiaritätsrüge von Bundestag und Bundesrat kann guten Gewissens auf die erfolgreichen Lobbybemühungen der Berufsverbände der Freien Berufe in Deutschland zurückgeführt werden. So haben sowohl der Bundesverband der Freien Berufe als auch die Bundesarchitektenkammer Stellungnahmen zum Dienstleistungspaket abgegeben. Im Verbund mit den Heilberufekammern Baden-Württembergs und dem Landesverband der Freien Berufe (LfB) hat die Landeszahnärztekammer in mehreren Dialoggesprächen ebenfalls erhebliche Anstrengungen unternommen, die Landespolitik und die baden-württembergischen Abgeordneten aller Parteien für die Thematik zu sensibilisieren. Der Vorstand des LfB hatte am 15. Februar im Staatsministerium Baden- Württemberg einen Gesprächstermin mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann. LZK-Präsident Dr. Torsten Tomppert nahm als Vertreter der Zahnärzteschaft an einer Sitzung im Vorstand des LfB teil und thematisierte die Angriffe auf die Grundsätze der Freien Berufe auf EU-Ebene. Auch beim Gesprächstermin im Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg mit Ministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut am 7. Februar warb er um bessere Rahmenbedingungen für die Freien Berufe. Auf Einladung der hessischen Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, Lucia Puttrich, und des Präsidenten des BfB, Dr. Horst Vinken, nahm LZK-Präsident Dr. Torsten Tomppert am 7. März in der Vertretung des Landes Hessen bei der EU in Brüssel an einer Veranstaltung teil. Auch bei dieser Veranstaltung standen die Auswirkungen der EU-Binnenmarktstrategie auf die Freien Berufe im Mittelpunkt. Am 16. März führten Vertreter der Heilberufekammern Baden-Württembergs persönliche Gespräche mit Maria Heubuch MdEP (Bündnis 90/ Die Grünen) und Peter Simon MdEP (SPD) im EU-Parlament in Straßburg. An die persönlichen Gespräche mit den beiden Europaparlamentariern schloss sich ein weiteres Gespräch mit der CDU-Landesgruppe Baden- Württemberg im EU-Parlament an. Gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der Landesapothekerkammer, der Landesärztekammer, der Landespsychotherapeutenkammer und der Landestierärztekammer übergaben LZK-Präsident Dr. Torsten Tomppert und sein Stellvertreter, Dr. Norbert Struß, ihre Empfehlungen zur Empfehlung. Das Europäische Parlament wird aufgefordert, sich für die Verabschiedung einer europäischen Charta der Freien Berufe einzusetzen, die eine Standortbestimmung der Freiberuflichkeit auf europäischer Ebene vorsieht. Foto: Fotolia, Bildcollage K. Hauf/ LZK BW www.zahnaerzteblatt.de ZBW 6/2017
Zu guter Letzt 63 Karikatur: Beck I
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