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Freiberuflichkeit – ein schützenswertes Gut

Ausgabe 6/2017

10 Titelthema

10 Titelthema Binnenmarktstrategie der EU-Kommission an die fünf EU-Parlamentarier der CDU aus Baden-Württemberg Daniel Caspary, Dr. Inge Gräßle, Norbert Lins, Dr. Andreas Schwab und Rainer Wieland und thematisierten die zu erwartenden Auswirkungen auf die Freien Berufe. Abstimmung mit Nachbarn. Am 29. März fand die erste Sitzung des Arbeitskreises Europa der Bundeszahnärztekammer statt, in dem LZK-Präsident Dr. Torsten Tomppert die Interessen Baden-Württembergs vertritt. Im Mittelpunkt der Debatte im Arbeitskreis standen die Themen Dienstleistungspaket, Richtlinie zur Verhältnismäßigkeitsprüfung und Subsidiaritätsrüge. Dr. Tomppert berichtete im Arbeitskreis über seine Gespräche und Initiativen in Brüssel und Straßburg gemeinsam mit den baden-württembergischen Heilberufekammern. „Das gemeinsame Ziel, die deutsche Politik vom Wert der Freien Berufe für die Gesellschaft und zum Wohle der Patienten zu überzeugen, ist auf einen guten Weg gebracht“, so Dr. Tomppert. Das zeige die Subsidiaritätsrüge gegen die geplanten Änderungen des Notifizierungsverfahrens und den Verhältnismäßigkeitstest. „Wir werden allerdings nur erfolgreich sein“, beschwor der LZK-Präsident seine Kollegen, „wenn wir uns enger mit den Heilberufen der europäischen Nachbarn abstimmen und nicht ausschließlich eine nationale Verteidigungsstrategie fahren“. Es wird darauf ankommen, dass die Berufsverbände sich umfangreich und möglichst geschlossen in den Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene einbringen. Erfolgreich waren die Lobbybemühungen der Berufsverbände der Freien Berufe in Frankreich: In beiden Parlamentskammern wurden Subsidiaritätsrügen auf den Weg gebracht. Auch in Spanien gibt es Bestrebungen, eine Subsidiaritätsrüge zu erheben. Liegen kritische Stellungnahmen von mindestens einem Drittel aller nationalen Parlamente vor, muss die Europäische Kommission die Vereinbarkeit ihres Gesetzentwurfes mit dem Subsidiaritätsprinzip überprüfen. Verpflichtet, ihren Vorschlag zurückzuziehen oder zu ändern, ist sie allerdings nicht. Derzeit laufen die Beratungen über das Dienstleistungspaket im federführenden Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments und innerhalb der im Rat versammelten EU-Mitgliedstaaten. Mit einem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens ist frühestens Anfang des kommenden Jahres zu rechnen. » mader@lzk-bw.de Info Empfehlung an die EU-Politik: Eine EU-Charta der Freien Berufe Die hohe Professionalität und Qualität auf der Basis einer gründlichen Ausbildung und die persönliche Integrität und fachliche Unabhängigkeit sind wesentliche Merkmale des Freien Berufs. Dieses Vertrauensverhältnis wird nicht zuletzt durch die besondere Verschwiegenheitsverpflichtung der Freien Berufe untermauert. Die Freien Berufe sind im Grundsatz ihres Handelns auf die gesamte Gesellschaft ausgerichtet. Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments prüfen stetig, ob die Initiativen der Europäischen Kommission in Bezug auf alle Richtlinienvorschläge zur Binnenmarktstrategie, die insbesondere Auswirkungen auf die Freien (Heil-)berufe sowie auf die Strukturen und die Organisation des deutschen Gesundheitswesens haben können, nicht den Inhalten des Lissabonner Vertrags widersprechen. Es wird daher empfohlen, dass die europäischen Institutionen eine EU-Charta der Freien Berufe verabschieden, die auf die speziellen Bedürfnisse von Freiberuflern eingeht, da es bis heute kein einheitliches Verständnis von Freiberuflichkeit in Europa gibt. Im Council of European Dentists (CED) wurde eine solche Charta erarbeitet und europaweit mit den Zahnärzteverbänden der CED- Mitgliedsländer konsentiert. Weitere europäische freiberufliche Dachverbände, nämlich die der Ärzte, der Apotheker, der Veterinäre und der Ingenieure, haben die Charta bereits angenommen. In dem Papier geht es darum, konkrete Forderungen aufzustellen, wie die EU-Gesetzgebung den Erfordernissen der Freien Berufe besser gerecht werden kann. Im aktuellen Entwurf der EU-Charta der Freien Berufe werden folgende Empfehlungen ausgesprochen: • Die EU-Kommission erkennt den Mehrwert der Freien Berufe für die europäische Gesellschaft an und stellt sicher, dass die Freien Berufe nicht ausschließlich auf Grundlage marktwirtschaftlicher Kriterien beurteilt werden. • Die EU-Kommission nimmt zur Kenntnis, dass eine Entscheidung zur Deregulierung der Freien Berufe, ohne Berücksichtigung aller möglichen Konsequenzen, zu einem Qualitätsrückgang führen kann, wie zum Beispiel im Bereich Gesundheitsdienstleistungen. • Die EU-Kommission respektiert die Selbstverwaltungsstrukturen der Freien Berufe, so wie sie in vielen Mitgliedstaaten existieren. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität haben die Mitgliedstaaten die Freiheit, selbst die Art und Weise der Organisation der professionellen freiberuflichen Strukturen zu wählen. • Die Europäischen Institutionen führen eine Folgenabschätzung über die spezifischen Auswirkungen der Legislativvorschläge für die Freien Berufe vor und nach Annahme der europäischen Gesetzgebung durch. In dieser Hinsicht soll der europäische Gesetzgeber insbesondere die negativen Auswirkungen der bürokratischen Belastung auf die Freien Berufe berücksichtigen. • Die Europäische Union garantiert, dass die von Freien Berufen erbrachten Dienstleistungen individuelle Lösungen auf einer sehr kreativen Grundlage sind, die nicht Gegenstand einer Normung/Standardisierung auf europäischer Ebene sind. • Die Europäische Union garantiert, dass das besondere Vertrauensverhältnis zwischen den Angehörigen der Freien Berufe und ihren Patienten/Klienten/Kunden vollständig geschützt ist. ZBW 6/2017 www.zahnaerzteblatt.de

Titelthema 11 Die Freiberuflichkeit: Garant für Versorgungssicherheit und Qualität Freie Berufe sind „Vertrauensberufe“. Das Vertrauensverhältnis, wie etwa zwischen Patient und Arzt oder Mandant und Rechtsanwalt, bildet das Fundament der freiberuflichen Tätigkeit. Darüber hinaus und damit verbunden sind die freien Berufe in besonderer Weise vom Vertrauen der Gesellschaft abhängig. Das Selbstverständnis des Freien Berufs geht darauf zurück, dass den Dienstleistungen höherer Art ein bestimmtes freiheitliches Leitbild zu Grunde liegt. Gemeint sind damit die Dienstleistungen des Arztes, Zahnarztes, Rechtsanwalts, Apothekers und Architekten. Wer eine solche erbringt, dem vertraut die Gesellschaft, dass er bei seiner Tätigkeit über seine freie persönliche Entfaltung und gelebte Eigenverantwortlichkeit hinaus zugleich das Gemeinwohl fördert und dieses dabei mit bedacht wird. Die Freiheit der Freien Berufe wird gegen Vertrauen der Gesellschaft gegeben. Das schafft gleichzeitig eine Verantwortung, der die Zahnärzteschaft in Baden-Württemberg u. a. durch die Selbstverwaltung gerecht wird. In Deutschland haben wir eine gesetzlich festgelegte Einrichtung der Selbstverwaltung auf zwei Ebenen: 1. Das Institut der Selbstverwaltung in der Steuerung der Kostenträger zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und 2. Das Institut der Selbstverwaltung unter den sog. Gesamtvertragspartnern, den KVen bzw. KZVen einerseits und den Gesetzlichen Krankenkassen andererseits. Das ist als ein besonderes Institut des Krankenversicherungssystems hervorzuheben. Die Selbstverwaltung ist die Brandmauer vor mehr Staat. Ohne Selbstverwaltung würde der Staat alle von den Selbstverwaltungen mit ihren Selbstverwaltungsorganen getragenen Aufgaben übernehmen, mit mehr Regulierung, mehr Kontrolle und mehr Bürokratie und ohne demokratische Mitbestimmung der Zahnärzteschaft! Das Subsidiaritätsprinzip ist deshalb ein tragendes Prinzip für eine funktionierende, qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung in Deutschland. Wir erleben in vielen EU-Staaten, was das Fehlen des Subsidiaritätsprinzips und der Selbstverwaltung für Versicherte, aber auch für die freiberuflich tätigen Ärzte und Zahnärzte bedeutet. Würde deshalb auch nur eine Ebene, z. B. die der KZVen beseitigt, wäre das System zum Nachteil der Vertragszahnärzte aus dem Gleichgewicht, mit all den negativen Folgen, die sich zeigen, wenn ein Einzelner einem Monopol gegenübersteht. Was wird seitens der Politik von der Selbstverwaltung erwartet? Im Zentrum der Gesundheitspolitik stehen laut Koalitionsvertrag 2013 der Großen Koalition (GroKo) die Patienten und die Qualität ihrer medizinischen Versorgung. Die Freiberuflichkeit der niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte gelte dabei als unverzichtbares Element für die flächendeckende, ambulante und wohnortnahe Versorgung. Die GroKo erwartet in der ambulanten Versorgung mit anderen Worten Versorgungssicherung und setzt dabei auf die Freiberuflichkeit. Die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung kann aber nicht ohne zusätzliche finanzielle Mittel im System verbessert werden. An dieser Stelle muss die notwendige Einsicht seitens der politisch Verantwortlichen einer gewissen Wunschvorstellung dringend weichen. Alleine durch restriktive Bedarfsplanungsrichtlinien des G-BA, die wir schon aus ordnungspolitischen Gründen strikt ablehnen, wäre die flächendeckende ambulante und wohnortnahe Versorgung jedenfalls nicht zu retten. Auch nicht durch einen Übergang zu weiteren delegativen oder substitutiven Leistungen. Die Qualität als Wert der zahnärztlichen Tätigkeit für das Gemeinwohl würde darunter erheblich leiden. Die Freiberuflichkeit der niedergelassenen Zahnärzte spielt hierbei somit eine entscheidende Rolle. Sie ist ein unverzichtbares Element für die flächendeckende ambulante und wohnortnahe qualitative Versorgung. Als solches stellt sie schließlich auch ein Garant für die Diagnose- und Therapiefreiheit und für die freie Arztwahl dar. Letztlich erlauben aber auch Maßnahmen der Selbstverwaltung durch vertragsgestützte Lösungen für die Versorgungssicherheit ein proaktives Handeln. Und der Erfolg eines solchen Systems wird in Baden-Württemberg immer wieder direkt sichtbar. Mit dem neuen Kommunalportal will die KZV BW eine Plattform bieten, um im Sinne einer flächendeckenden Versorgung kommunale Angebote bzw. Anreize an junge Freiberufler bringen zu können. Dass das der richtige Weg ist, wird unter anderem dadurch bestätigt, dass der baden-württembergische Sozialminister Manne Lucha die Schirmherrschaft für das Kommunalportal mit folgenden Worten übernommen hat: „Ich begrüße es (…) sehr, dass sich die Kassenzahnärztliche Vereinigung bereits heute auf den Weg gemacht hat und in vorausschauender Weise ein Angebot schafft, das Kommunen und Zahnärztinnen und Zahnärzte zusammenbringt. Das Portal ist als präventive Maßnahme ein passgenauer Baustein dafür, die zahnärztliche Versorgung im Land auch in Zukunft zu erhalten und sicherzustellen.“ Weitere Projekte der KZV BW sind in Planung, die dazu beitragen sollen, dass man mit Begeisterung seinen Beruf ausüben und zugleich erfolgreich sein kann, was zugleich den Patienten zugute kommt. Es geht uns professionspolitisch aber auch darum, dass in der Gesellschaft verstanden wird, dass derjenige, der seinen Beruf ernst nimmt, auch wirtschaftlich erfolgreich ist und sein darf und dass Freiberuflichkeit und Gemeinwohl sich gegenseitig bedingen. Das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Freiberufler und Staat und zwischen Zahnarzt und Patient bringt andere Gesundheitsleistungen hervor, als eine staatlich sanktionierte Bewirkung, die vornehmlich (finanz-)politisch durch den Staat determiniert wird. Lassen Sie uns gemeinsam durch Innovation und Zukunftsbereitschaft für eine Bewahrung der Freiberuflichkeit arbeiten. Ich bin der festen Überzeugung, das wird sich lohnen. Dr. Ute Maier Vorstandsvorsitzende der KZV BW www.zahnaerzteblatt.de ZBW 6/2017

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