16_TITELTHEMA ZBW_2-3/2024 www.zahnaerzteblatt.de Wie gedenken Sie als EU-Politiker, auf die Bedenken der Zahnärzteschaft hinsichtlich des geplanten Verbots der Verwendung von Amalgam ab 2025 sowie des Verbots der Herstellung in der EU und des Exports in Drittstaaten aus Umweltschutzgründen einzugehen und möglicherweise Anpassungen oder Lösungen zu finden, die sowohl die Umwelt schützen als auch die Interessen der Zahnärzteschaft berücksichtigen? Michael Bloss: Amalgam sollte, wie von der Kommission vorgeschlagen, nach 2025 nicht mehr eingesetzt werden. Es ist eines der letzten noch legalen Nutzungen von Quecksilber, das besonders umweltschädlich ist. Es gibt ausreichend Alternativen. Foto: andreas-glueck.com Andreas Glück Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ZBW: Wie bewerten Sie den EHDS und welche politischen Forderungen vertreten Sie in diesem Zusammenhang? Andreas Glück: Der europäische Gesundheitsdatenraum EHDS kann ein echter Mehrwert für medizinisches Fachpersonal und insbesondere auch für Patient*innen werden. Als Facharzt für Chirurgie, als der ich immer noch einige Stunden wöchentlich arbeite, kenne ich die Situation, wenn Menschen im Ausland behandelt wurden, jedoch bei der Anschlussbehandlung in Deutschland weder ein Arztbrief, Labordaten oder Bildgebung zur Verfügung stehen. Häufig sind dann Doppeluntersuchungen notwendig. Deshalb soll der EHDS einen EU-weiten Datenaustausch ermöglichen. Auch für wissenschaftliche Zwecke oder politische Entscheidungen können dann anonymisierte Daten herangezogen werden. So sehr ich das Ziel des Kommissionsvorschlags teile, so sehr sehe ich es jedoch als meine Aufgabe an, auf die Praxistauglichkeit der Regulierung zu achten. Nur wenn der Datenschutz und eine Opt-Out-Möglichkeit gewährleistet sind, werden die Patient*innen mitmachen. Nur wenn sicher ist, dass keine wesentliche Mehrbelastung auf Praxen und Kliniken zukommt, wird es hier die nötige Bereitschaft geben. Auf beide Punkte ist bei der Umsetzung des EHDS gleichermaßen zu achten. Wie wird gewährleistet, dass der EHDS nicht zu einer Überlastung der Zahnärzteschaft führt, insbesondere in Bezug auf den erhöhten Zeitaufwand für die Dokumentation und die Nutzung elektronischer Systeme? Sind finanzielle Anreize vorgesehen, um sicherzustellen, dass Zahnärzt*innen angemessen für die Verwendung des EHDS kompensiert werden? Bereits jetzt werden Anamnese, Diagnostik und Therapie ohnehin schon umfangreich dokumentiert. Die elektronische Patientenakte hat hier – auch unabhängig vom EHDS – große Vorteile. Über die Kompatibilität bestehender Software kann sichergestellt werden, dass ohnehin erhobene Daten ausgetauscht werden können. Durch Ankreuzbögen oder Standardtextblöcke können elektronische Akten auch einfach im Umgang sein. Die Tatsache, dass Zahnärzt*innen zukünftig auf Gesundheitsdaten aus der ganzen EU zurückgreifen können, erspart den Praxen den Aufwand, Befunden hinterherzurennen oder doppelte Diagnostik durchzuführen. Die EU fördert die Digitalisierung im Gesundheitsbereich mit diversen Programmen. Es muss aber klar sein: Der EHDS kann nur funktionieren, wenn eine praxisnahe Anwendung gewährleistet ist. Dann kann er aber zum echten Mehrgewinn für alle werden. Gibt es geplante Evaluierungen, um die Effektivität und Effizienz des Systems zu überprüfen? Der Kommissionsvorschlag legt in erster Linie die Standards fest, die auf europäischer Ebene garantiert werden sollen, und lässt den Mitgliedstaaten viel Freiheit bei der Umsetzung. Der Gesetzentwurf sieht eine teilweise und vollständige Evaluierung in fünf beziehungsweise sieben Jahren vor. Je nach Ergebnis kann die Kommission dann entsprechende Anpassungen vornehmen. Gibt es Pläne für eine kontinuierliche Überprüfung und Aktualisierung der MDR, um sicherzustellen, dass sie den Bedürfnissen von Zahnärzt*innen und auch Patient*innen gerecht wird? Wie werden Feedback und Erkenntnisse aus der Praxis in die Überarbeitung der Verordnung einbezogen? Die bereits in der letzten Legislaturperiode durchgeführte Verschärfung der Medizinprodukteverordnung MDR und deren Folgen beschäftigen mich als MdEP und als Chirurgen praktisch täglich. Gemeinsam mit einigen anderen Abgeordneten konnten wir in dieser Legislaturperiode mehrere Verbesserungen erreichen, indem wir beispielsweise das Inkraft-
ZBW_2-3/2024 www.zahnaerzteblatt.de 17_TITELTHEMA treten verschieben konnten und somit die angespannte Situation bei den Prüfstellen teilweise entschärft wurde. Trotzdem ist die Kuh noch immer nicht ganz vom Eis. Medizinprodukte, die teilweise seit Jahrzehnten sicher in der Anwendung sind, sollten meiner Meinung nach nicht noch mal neu zugelassen werden müssen. Auch bei selten benötigten Medizinprodukten stehen die Kosten und der Nutzen der erneuten Zulassung in keinem Verhältnis. Eine Evaluierung ist für 2027 vorgesehen. Doch auch schon vorher wird die MDR in unserem Fokus stehen müssen, sodass wir nicht noch mehr Medizinprodukte für die Patientenversorgung verlieren werden. Wie wird die neue MDR die Verfügbarkeit und den Zugang zu zahnärztlichen Medizinprodukten beeinflussen? Gibt es Bedenken hinsichtlich einer möglichen Verknappung bestimmter Produkte und wie werden diese angegangen? Im Idealfall wäre der Einfluss der MDR auf die Verfügbarkeit von Medizinprodukten nicht spürbar gewesen. Die Kommission ist jedoch, ungezwungener Weise, viel zu radikal vorgegangen und ohne die auch von mir durchgesetzten Aufschübe wäre es deshalb vermutlich mehrmals zu Versorgungsengpässen gekommen. Neben den enorm gestiegenen regulatorischen Anforderungen für die Unternehmen stellt vor allem eine zu geringe Anzahl an Prüfstellen einen Hauptgrund für die Entstehung von Engpässen dar. Daher übe ich weiterhin Druck auf die Kommission aus, um den Unternehmen den Zertifizierungsprozess zu erleichtern und unnötige Re-Zertifizierungsprozesse von etablierten Produkten zu streichen. Wie wird die Europäische Union die Freiberuflichkeit von Zahnärzt*innen schützen und fördern? Das Konzept der Freien Berufe ist insbesondere ein deutsches Erfolgsmodell und in vielen Ländern der Union eher unbekannt. Deshalb tut sich die EU auch gelegentlich etwas schwer, einheitliche Regelungen zur Stärkung der Freiberuflichkeit zu treffen. Aus diesem Grund sehe ich es als eine meiner Hauptaufgaben, im Gespräch mit anderen Abgeordneten, für dieses Erfolgsmodell zu werben. Darüber hinaus ist es wichtig, sich generell für Regelungen einzusetzen, die sowohl für kleine und mittlere Unternehmen als auch für Freiberufler geeignet sind. Als Freie Demokraten erkennen wir die wichtige Stellung der freien Berufe an und wollen diese weiter stärken. Deshalb sind wir im engmaschigen Austausch mit den Kammern und anderen Vertretungen der Freiberuflichen. Wie wird mit den Herausforderungen der zunehmenden Bürokratie und Regulierung umgegangen, die die Freiberuflichkeit der Zahnärzteschaft beeinträchtigen? Gibt es Initiativen zur Vereinfachung von Verwaltungsprozessen und zur Verringerung administrativer Belastungen für zahnärztliche Praxen? Die Vermeidung von mehr Belastung durch Bürokratie ist eine der Hauptaufgaben bei meiner Arbeit im Europäischen Parlament. Sowohl im Parlament als auch gegenüber der Kommission bestehe ich darauf, dass zukünftige Gesetzgebung generell praxistauglicher ist, und dass für jedes neue Gesetz mindestens zwei alte wegfallen müssen. Auch wenn die Entbürokratisierung gelegentlich an den Kampf gegen Windmühlen erinnert, werden wir Freidemokraten nicht müde, uns weiterhin täglich für weniger Bürokratie einzusetzen. Wie wird sichergestellt, dass die Freiberuflichkeit von Zahnärzt*innen auch in Zeiten des technologischen Wandels und der Digitalisierung erhalten bleibt? Werden Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass sie ihre klinische Entscheidungsfreiheit behalten und nicht von automatisierten oder standardisierten Verfahren abhängig werden? Die Unterstützung von KI-Systemen bei der Erstellung von Diagnosen und möglichen Therapien kann zukünftig eine wichtige Hilfestellung bedeuten. Als Arzt und Politiker bin ich aber überzeugt, dass eine gute Therapieentscheidung zwischen Ärzt*innen und Patient*innen getroffen werden muss. Die Aufgabe der Politik ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die dies ermöglichen. Die Kompetenz behandelnder Ärzt*innen einzuschränken, hilft hierbei nicht. Gibt es Maßnahmen der EU, um die Mundgesundheit der Bevölkerung zu verbessern? Gibt es Initiativen der EU zur Förderung von Präventionsprogrammen, Aufklärungskampagnen und Maßnahmen zur Reduzierung von Mundkrankheiten wie Karies und Parodontitis? Gesundheitspolitik ist vor allem eine nationale Kompetenz und mit der Sicherstellung von Standards ist die EU hier nur unterstützend tätig. Nichtsdestotrotz gibt es einige nichtgesetzgebende Initiativen, mit denen wir als Europäisches Parlament an die Mitgliedstaaten und die Kommission appellieren, gesundheitsfördernde Maßnahmen zu ergreifen. Beispielsweise arbeiten wir im gerade neu geschaffenen Unterausschuss für Gesundheit (SANT) an einem Bericht mit Empfehlungen zur Bekämpfung von nichtübertragbaren Krankheiten. Die Förderung von Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen gehört dabei zu unseren Schwerpunkten. Auch der EHDS kann in diesem Bereich zeigen, was er kann. Denn wenn wir über ihn vergleichbare Daten aus den Mitgliedstaaten haben, können wir genauer überblicken, welche nationalen Maßnahmen besonders erfolgreich sind, auch im Bezug auf die Mundgesundheit. Wie gedenken Sie als EU-Politiker, auf die Bedenken der Zahnärzteschaft hinsichtlich des geplanten Verbots der Verwendung von Amalgam ab 2025 sowie des Verbots der Herstellung in der EU und des Exports in Drittstaaten aus Umweltschutzgründen einzugehen und möglicherweise Anpassungen oder Lösungen zu finden, die sowohl die Umwelt schützen als auch die Interessen der Zahnärzteschaft berücksichtigen? Dem grundsätzlichen Verbot von Zahn-Amalgam in der EU stehe ich kritisch gegenüber. Verbote muss es da geben, wo sie wirklich benötigt werden. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass die Verwendung von Zahn-Amalgam innerhalb der EU kein erhebliches Umwelt-Risiko darstellt. Daher halte ich den Vorschlag für ein generelles Einsatzverbot ab 2025 für überzogen. Die Gespräche führte Cornelia Schwarz
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