10_TITELTHEMA ZBW_2-3/2024 www.zahnaerzteblatt.de Perspektiven zur Europawahl 2024 STANDPUNKTE DER SPITZENPOLITIKER IM FOKUS Die Europawahl rückt näher. Um die Perspektiven der verschiedenen politischen Strömungen zu beleuchten, haben wir Gespräche mit vier Kandidaten aus Baden-Württemberg geführt, die Mitglieder in den Gesundheitsausschüssen oder aber im Ausschuss für Verbraucherschutz sind. Diese Interviews sollen einen Überblick geben, wie jede dieser Parteien die Zukunft Europas gestalten möchte. Wir freuen uns, Ihnen die Standpunkte der Abgeordneten Norbert Lins (CDU), René Repasi (SPD), Michael Bloss (Bündnis 90/Die Grünen) und Andreas Glück (FDP) vorstellen zu können. Foto: Tom Bilger Norbert Lins Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ZBW: Wie bewerten Sie den Europäischen Raum für Gesundheitsdaten (EHDS) und welche politischen Forderungen vertreten Sie in diesem Zusammenhang? Norbert Lins: Wir begrüßen die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Rahmens für die Nutzung elektronischer Gesundheitsdaten durch den EHDS. Die Pandemie hat auch eine enorme Beschleunigung bei der Einführung digitaler Instrumente ausgelöst. Leider gibt es immer noch komplexe Hindernisse, die es erschweren, das volle Potenzial der digitalen Gesundheit und der Gesundheitsdaten auszuschöpfen. Der EHDS soll diese Hindernisse überwinden. Er soll einen Rahmen mit klaren Regeln für die Nutzung von elektronischen Gesundheitsdaten für Patienten und Forschung festlegen. Dabei ist es wichtig, dass sensible Daten von Patienten geschützt werden. Der Mehraufwand durch Verwaltung und Dokumentation für das medizinische Personal muss in einem angemessenen Verhältnis stehen. Durch den EHDS soll die Arbeit des medizinischen Personals erleichtert werden, da für die Diagnose, Behandlung und Therapie von Patienten relevante Daten grenzübergreifend zur Verfügung stehen. Wie wird gewährleistet, dass der EHDS nicht zu einer Überlastung der Zahnärzteschaft führt, insbesondere in Bezug auf den erhöhten Zeitaufwand für die Dokumentation und die Nutzung elektronischer Systeme? Sind finanzielle Anreize vorgesehen, um sicherzustellen, dass Zahnärzt*innen angemessen für die Verwendung des EHDS kompensiert werden? Mit einer Übergangszeit von zwei Jahren für kleine medizinische Praxen, die möglicherweise mit der Umstellung am meisten zu kämpfen haben, wird sichergestellt, dass der EHDS nicht zu einer Überlastung kleinerer Betriebe führt. Darüber hinaus schlägt die Kommission vor, dass Kleinstunternehmen von der Bereitstellung ihrer Daten für die sekundäre Nutzung ausgenommen werden, um eine unverhältnismäßige administrative Belastung zu vermeiden. Darunter fallen Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz und /oder einer Bilanzsumme von nicht mehr als zwei Millionen Euro. Zusätzlich fordern wir eine Erhöhung der EU-Finanzierung strukturierter Schulungssysteme für medizinisches Fachpersonal. Gibt es geplante Evaluierungen, um die Effektivität und Effizienz des Systems zu überprüfen? Laut Vorschlag der Kommission sind Überprüfungen der Effektivität und Effizienz des Systems vorgesehen. Fünf Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung findet eine gezielte Bewertung durch die EU-Kommission statt. Es wird analysiert, ob eine Selbstzertifizierung von EHR-Systemen angemessen ist und ob ein Konformitätsbewertungsverfahren durch Benannte Stellen erforderlich ist. Sieben Jahre
ZBW_2-3/2024 www.zahnaerzteblatt.de 11_TITELTHEMA nach Inkrafttreten der Verordnung soll eine Gesamtbewertung erfolgen. Es wird eine umfassende Überprüfung der Verordnung durchgeführt, um Wirksamkeit und Effizienz zu bewerten. Die Kommission erstattet dem Europäischen Parlament, dem Rat, dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie dem Ausschuss der Regionen nach jeder Bewertung einen Bericht über die wichtigsten Ergebnisse. Diese Evaluierung soll sicherstellen, dass die Ziele der Verordnung erreicht werden und Mehrwert für die EU besteht. Der Vorschlag sieht auch die Einrichtung und den Ausbau grenzüberschreitender digitaler Infrastrukturen für die Nutzung von Gesundheitsdaten vor, um die Überwachung mehrerer Indikatoren zu erleichtern. Gibt es Pläne für eine kontinuierliche Überprüfung und Aktualisierung der Medizinprodukteverordnung (MDR), um sicherzustellen, dass sie den Bedürfnissen von Zahnärzt*innen und auch Patient*innen gerecht wird? Wie werden Feedback und Erkenntnisse aus der Praxis in die Überarbeitung der Verordnung einbezogen? Im Mai 2022 wurde die Executive Steering Group on Shortages of Medical Devices (MDSSG) innerhalb der Europäischen Medizin Agentur (EMA) eingerichtet, um die Versorgung mit kritischen Medizinprodukten zu gewährleisten. Außerdem ist für das Jahr 2027 eine Evaluierung der MDR durch die Europäische Kommission vorgesehen. Die Kommission erstattet dem Europäischen Parlament und dem Rat nach der Überprüfung einen Bericht über die wichtigsten Ergebnisse und berät über mögliche Revisionen. Wir setzen uns für eine rasche Evaluierung der EU-Kommission ein. Wie wird die neue MDR die Verfügbarkeit und den Zugang zu zahnärztlichen Medizinprodukten beeinflussen? Gibt es Bedenken hinsichtlich einer möglichen Verknappung bestimmter Produkte und wie werden diese angegangen? Die MDSSG stellt die flächendeckende Verfügbarkeit von Medizinprodukten sicher. Ihre Rolle besteht darin, eine robuste Reaktion auf öffentliche Gesundheitsnotfälle sicherzustellen und dringende Maßnahmen im Zusammenhang mit der Versorgung mit Medizinprodukten zu koordinieren. Im Zuge der Revision möchten wir uns zudem dafür einsetzen, die Zertifizierung zu verschlanken, um Innovation voranzutreiben sowie die Zertifizierung von Nischenprodukten zu vereinfachen. Außerdem haben wir eine Fristverlängerung für die Re-Zertifizierung von Medizinprodukten erwirken können. Durch längere Übergangszeiträume auf 2027 bzw. 2028 können sich Benannte Stellen infrastrukturell insgesamt besser aufstellen und entlastet werden. - te der Freiberuflichkeit und Verkammerung dazu beitragen, ein besseres Verständnis für die Vorteile dieses Systems zu - schen Wirtschaftsraums zu fördern? Trotz eingeschränkter Kompetenzen im Gesundheitswesen übt die EU zunehmend Einfluss in diesem Bereich aus. Die Datenschutzgrundverordnung, die Verordnung über Medizinprodukte oder Regelungen zum Einsatz von Quecksilber sind nur einige Beispiele dafür. Auf EU-Ebene lassen sich weitere Initiativen beobachten, die möglicherweise auch die Zahnärzteschaft betreffen werden. Stichworte sind hier digitale Transformation und die Schaffung von Informationsportalen. Die EU hat verschiedene Maßnahmen ergriffen, die die Freiberuflichkeit der Zahnärzte schützt: Hierzu gehören unter anderem die Dienstleistungsfreiheit, die Anerkennung von Qualifikationen (Europass), die berufliche Mobilität (EURES) oder auch die Berufsregulierung, mit der bspw. Mindeststandards in der Qualität der Zahnmedizin festgelegt werden. Nicht nur erleichtern diese Maßnahmen die Berufsausübung innerhalb der EU. Sie zielen gleichzeitig auf erhöhte Patientensicherheit und Qualitätsstandards ab. Zahnärzte bringen sich zudem auf europäischer Ebene aktiv in die Ausgestaltung der Gesetzgebung ein und tragen so zum Schutz und der Förderung der Freien Berufe in der EU bei. Das Council of European Dentists (CED), in dessen Tätigkeit die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) als größter Mitgliedsverband eng eingebunden ist, hat auf Initiative eben jenes Verbands eine Charta der Freien Berufe verabschiedet. Nach dem Subsidiaritätsprinzip sind für die Gesundheitspolitik die Mitgliedstaaten zuständig. Deshalb gilt es, die Bedeutung der Unabhängigkeit der Freien Berufe, die in der Selbstverwaltung durch ihre Kammern zum Ausdruck kommt, zu verteidigen und zu erhalten. Die Bedeutung der Selbstverwaltung kann am besten dadurch unter Beweis gestellt werden, dass die freiberuflichen Zahnärzte alle bei ihnen liegenden Fragen sachorientiert lösen. Die Zulassung zum Zahnarztberuf auch von Kollegen aus anderen EU-Staaten, die Überwachung der guten ärztlichen Praxis sind Beispiele, die zeigen, dass die Kammern ihre Arbeit erledigen. Dadurch kann auch auf EU-Ebene, wo das Konzept der Freien Berufe und ihrer Staatsferne weniger bekannt ist, ein besseres Verständnis erreicht werden. Das wird – ungeachtet europäischer Einflüsse wie der Verordnung über Medizinprodukte (der Monserrat Bericht) oder Regelungen zum Einsatz von Quecksilber – so bleiben. Natürlich bieten die Zahnärzte Dienstleistungen, die im europäischen Binnenmarkt auch wirtschaftlich relevant sind. Deshalb sind uns die Dienstleistungsfreiheit, die Anerkennung von Qualifikationen (Europass), die berufliche Mobilität (EURES) oder andere Regeln, die die Berufsausübung innerhalb der EU erleichtern sollen, wichtig. Sie haben Patientensicherheit und Qualitätsstandards zum Ziel. Bei allen Entscheidungen, die das Europäische Parlament zu treffen hat, stehen wir im engen Austausch mit dem Council of European Dentists (CED), dessen größter Mitgliedsverband die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) ist. Wie wird mit den Herausforderungen der zunehmenden Bürokratie und Regulierung umgegangen, die die Freiberuflichkeit der Zahnärzteschaft beeinträchtigen? Gibt es Initiativen zur Vereinfachung von Verwaltungsprozessen und zur Verringerung administrativer Belastungen für zahnärztliche Praxen? Die Verwaltungslast, nicht nur für die Zahnärzteschaft, rührt aus der vielschichtigen Transformation, die mit immer komplexer werdenden Bürokratieanforderungen aus Brüssel und Berlin daherkommt. Auf EU-Ebene setzen wir uns daher stark für die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und ein Bürokratiemoratorium für zusätzliche Verwaltungsbelastungen und die Verringerung administrativer Anforderungen ein. In der Umsetzung in nationales Recht heißt es, Gold Plating zu vermeiden. In seiner Entschließung zu atypischen Verträgen hat das Europäische Parlament die Mitgliedstaaten aufgefor-
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