Aufrufe
vor 2 Jahren

Digitalisierung in der Zahnmedizin

Ausgabe 5-6/2022

24_TITELTHEMA

24_TITELTHEMA ZBW_5-6/2022 www.zahnaerzteblatt.de Digitalisierung in Europa DER WEG ZUM EUROPÄISCHEN GESUNDHEITSDATENRAUM In welche Richtung geht die Entwicklung der Gesundheitspolitik in Europa? Klar ist: Sie wird immer digitaler. Der Ausbruch der Coronapandemie hat der Digitalisierung der gemeinsamen europäischen Gesundheitspolitik einen „Booster“ verpasst: Die schnelle Einführung eines grenzüberschreitenden Gesundheitszertifikates, dem Green Pass, ist Ausweis für eine gesamteuropäische Lösung. Sie zeigt bereits an, wohin die Reise geht. Foto: unsplash.com/GuillaumePerigois CORONA ALS KATALYSATOR Spätestens mit dem Beginn der Coronapandemie ist eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitswesen in den Fokus der Politik der EU-Kommission gerückt. Von der gegenseitigen Unterstützung mit Schutzausrüstung über die gemeinsame Beschaffung und Verteilung von COVID-19-Impfstoffen bis hin zum EU-weit anerkannten digitalen Impfzertifikat – das Virus hat die EU-Staaten enger zusammenrücken lassen. Laut Tiemo Wölken, Sozialdemokrat und Mitglied im Europaparlament (MdEP), wolle man „das Moment der Pandemie nutzen (…), um eine resiliente Gesundheitsunion zu schaffen.“ EUROPEAN HEALTH DATA SPACE Mit dem Ende Februar vorgestellten Datengesetz (Data Act) hat die EU- Kommission die gesetzliche Grundlage für die zwölf europäischen Datenräume in der EU geschaffen. Datenräume, etwa für die Bereiche Wirtschaft und Energie, sind Teil der Prioritäten der EU- Kommission für die Legislaturperiode 2019-2025. Einer dieser Datenräume ist für den Bereich „Gesundheit“ vorgesehen. Als erster Datenraum startet der europäische Gesundheitsdatenraum (engl. European Health Data Space, kurz EHDS). Laut EU-Kommission soll dieser „direkten Zugriff auf unterschiedliche Gesundheitsdaten“ zum einen „in der Gesundheitsversorgung selbst (Primärnutzung)“ und zum anderen „in der Gesundheitsforschung und der Gesundheitspolitik (Sekundärnutzung)“ ermöglichen. Unter Primärnutzung ist der Zugriff auf Daten durch Individuen gemeint: Alle EU-Bürger*innen sollen niederschwellig auf ihre personenbezogenen Gesundheitsdaten in einem elektronischen Format zugreifen können. Die EU-Mitgliedsländer sollen dafür entsprechende Infrastrukturen bereitstellen. In Form einer elektronischen Patientenakte etwa sollen künftig beispielsweise Impfnachweise, Arztbriefe, Röntgenbilder und weitere Dokumente EUweit abrufbar und nutzbar sein. Neben dem einfachen Zugang sollen die Menschen in den Mitgliedsländern auch die Kontrolle und die Entscheidung über das (Nicht-)Teilen ihrer Gesundheitsdaten haben. Damit die von den EU- Mitgliedsstaaten bereitgestellten elektronischen Formate EU-weit miteinan- der kommunizieren können, ist eine „semantische Interoperabilität“ erforderlich. EU-Bürger*innen, die in anderen EU-Ländern arbeiten oder dort verreisen, sollen davon profitieren. Mit sekundärer Nutzung sind der Gebrauch und die Verwendung von anonymisierten Gesundheitsdaten durch Forschungseinrichtungen und staatliche Akteure zu verstehen. Erstere könnten die Daten für Studien zur Fortentwicklung der Public Health oder statistischen Zwecken auswerten. Letztere sollen entsprechende Daten für die Organisation ihrer Gesundheitsversorgung nutzen und dadurch beispielsweise Bedarfe ableiten können. Ein finaler Entwurf der EU-Kommission steht noch aus. EUROPAWEIT VERNETZT Bislang werden Gesundheits- und Sozialdaten noch nicht vollumfänglich genutzt, Fachleute schätzen deren Potential für die öffentliche Gesundheit als sehr hoch ein. Die Gesundheitswesen in Europa werden – wenn sie es noch nicht sind – digital, und da, wo sie es schon sind: digitaler und standardisierter. Alexander Messmer

ZBW_5-6/2022 www.zahnaerzteblatt.de 25_TITELTHEMA Digitalisierung am Gesundheitsstandort Baden-Württemberg REGIERUNG BRINGT KÜNSTLICHE INTELLIGENZ VORAN Nicht nur auf supranationaler Ebene (siehe Beitrag Entwicklung zum Europäischen Gesundheitsdatenraum, S. 24), sondern auch auf regionaler Ebene wird der Einsatz digitaler Instrumente und Künstlicher Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen diskutiert und vorangebracht. Die badenwürttembergische Landesregierung hat dazu Anfang April den Aufbau eines Reallabors „KI im Gesundheitswesen“ beschlossen. Der Gesundheitsstandort Baden-Württemberg soll damit weiter gestärkt werden. Foto: Landtag von Baden-Württemberg Auch innerhalb der baden-württembergischen Landesregierung ist man sich einig: Die systematische Auswertung von tagtäglich im Gesundheitswesen produzierten Datenmengen wird noch nicht genutzt, heißt es in der Pressemittelung des Staatsministeriums: „Bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten entstehen zahlreiche Daten und Erkenntnisse, beispielsweise in Form von klinischen Studien, Krankenakten oder -bildern“. Bei der Analyse dieser Daten soll nun die KI zum Einsatz kommen. Politiker*innen und Fachleute aus dem Gesundheitswesen erhoffen sich dadurch, die Entwicklung von Medikamenten und die Behandlung von Krankheiten zu verbessern sowie Therapieverläufe individueller vorherzusagen (Stichwort personalisierte Medizin). Außerdem soll der Einsatz der KI die digitale Gesundheitskompetenz der Bevölkerung und der in der medizinischen Versorgung tätigen Menschen fördern. REALLABOR KI IM GESUNDHEITSWESEN Doch was ist unter dem von der Landesregierung beschlossenen Reallabor zu verstehen? Reallabore sind Testräume, in denen „unter realen Bedingungen neue Technologien, Produkte, Dienstleistungen oder Ansätze“ erprobt werden. „Sie bieten die Möglichkeit, Gesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zusammenzubringen. In einem Reallabor zu ‚KI im Gesundheitswesen‘ kann beispielsweise interdisziplinär und sektorenübergreifend zusammengearbeitet werden, um Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen und in der Langzeitpflege zu erproben und den Rechtsrahmen innovationsfreundlich und unter Berücksichtigung europäischer Datenschutzstandards weiterzuentwickeln.“ Das Land stellt 2,3 Millionen Euro für das Projekt zur Verfügung. Um die digitale Auswertung von Gesundheitsdaten für die medizinische Forschung, Versorgung und die Produktentwicklung voranzubringen, beschreibt das Land mit der „Roadmap Gesundheitsdatennutzung Baden-Württemberg“ fünf Schwerpunkte. Darin befinden sich Maßnahmen wie etwa die Harmonisierung von datenschutzrechtlichen Regelungen und die Standardisierung von Gesundheitstaten. Eine vereinheitlichte Antragstellung auf Zugang zu diesen Daten für die medizinische Forschung soll Zugriffsmöglichkeiten verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Die digitale Gesundheitskompetenz der Bevölkerung im Land soll gestärkt werden: Hier sind Aufklärung etwa zu digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) oder zum Aufbau und Nutzen der elektronischen Patientenakte (ePA) gemeint. FORUM GESUNDHEITSSTANDORT Die Gesundheitswirtschaft ist ein wichtiger Pfeiler der baden-württembergischen Wirtschaft. Bereits 2018 hatte die Landesregierung das „Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg“ ins Leben gerufen. Hier vernetzen sich die in den Bereichen Forschung, Gesundheitswirtschaft und -versorgung Tätigen. Im Wahlprogramm der Grünen zur vergangenen Landtagswahl gab die Partei des Ministerpräsidenten die Zielrichtung vor: „Ziel ist es, Baden-Württemberg zu einem weltweit führenden Gesundheitsstandort zu machen“. Folglich haben sich Grüne und CDU bei den Koalitionsverhandlungen auf die Schaffung eines Datenraums Gesundheit geeinigt, auf den die Wirtschaft, die Forschung und Klinken Zugriff haben sollen. Alexander Messmer INFO Weiterführende Informationen zum Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg finden Sie unter www.forum-gesundheitsstandortbw.de oder indem Sie den QR-Code scannen.

Ausgaben des Zannärzteblatt BW

© by IZZ Baden-Württemberg - Impressum - Datenschutz