22_TITELTHEMA ZBW_5-6/2022 www.zahnaerzteblatt.de Hybrid. Der Geschäftsführer des Sachverständigenrats Gesundheit, Dr. Frank Niggemeier, war in Brüssel zugeschaltet. 17. Europatag der Bundeszahnärztekammer DEUTSCHLAND – EIN LAND DER BEDENKENTRÄGER? Von Richard David Precht war beim 17. Europatag der Bundeszahnärztekammer in Brüssel wiederholt die Rede. Die Ansichten des populären deutschen Philosophen wirken zweifellos in weite Bereiche der Gesellschaft und beeinflussen die öffentliche Meinung. Nicht umsonst war sein Buch „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens“ wochenlang in den Bestsellerlisten. Die Diskutanten des Panels „Digitalisierung des Gesundheitswesens – Zielsetzung der europäischen Politik – Erwartungen der Gesundheitsberufe“ beim Europatag, Marion Walsmann, Prof. Dr. Falk Schwendicke, Dr. Frank Niggemeier und Dr. Freddie Sloth-Lisbjerg teilen die Thesen Prechts definitiv nicht. „Precht liegt sowohl philosophisch als auch ökonomisch falsch, weil Programme immer von Menschen bedient werden – die Ausbildung, Erfahrung und Urteilskraft eines Zahnarztes lässt sich nicht ersetzen“, betonte der Geschäftsführer des Sachverständigenrates Gesundheit, Dr. Frank Niggemeier. Dass Maschinen jemals Menschen ersetzen, glaubt auch Marion Walsmann, MdEP (CDU) nicht. Sie ist Mitglied des Binnenmarktausschusses und des Sonderausschusses zu Künstlicher Intelligenz (KI) im digitalen Zeitalter des Europäischen Parlaments. INTELLIGENTE ASSISTENZ „Wir brauchen Systeme, die uns intelligent assistieren, aber vom Menschen trainiert werden.“ Hendrik Kafsack, Brüssel, Korrespondent der FAZ und langjähriger Moderator des BZÄK-Europatages, hatte die Paneldiskussion mit der Frage eingeleitet, ob der KI-Diskussion nicht die Schärfe genommen werden könnte, wenn man – statt von einer Konkurrenzsituation zwischen Mensch und Maschine – von einem Zusammenspiel sprechen würde. „Das nimmt sicherlich vielen die Ängste, ersetzt zu werden?“. Auch Dr. Freddie Sloth-Lisbjerg, Zahnarzt und Präsident des Council of European Dentists (CED), hält die Angst, durch Maschinen ersetzt zu werden für unbegründet. Künstliche Intelligenz ist für ihn eine „Innovation, die sich nicht zurückdrehen lässt wie die Uhr“. Impulsvortrag. Prof. Dr. Falk Schwendicke zeigte in seinem Impulsvortrag auf, welche Risiken KI und Digitalisierung bergen und welche Anforderungen sie an Profession und Standespolitik stellen.
ZBW_5-6/2022 www.zahnaerzteblatt.de 23_TITELTHEMA Innovation. „Alles in Dänemark läuft digital, alles läuft über das Smartphone“, berichtete Dr. Freddie Sloth-Lisbjerg. RISIKOBASIERTER ANSATZ Entscheidend werde sein, wie stark die Kommission eingreife und reguliere, gab Hendrik Kafsack zu bedenken. Hierzu führte Marion Wasmann aus, dass die Europäische Kommission am 21. April 2021 den weltweit ersten Vorschlag für eine Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften über Künstliche Intelligenz vorgelegt hat. Aktuell wird der Verordnungsvorschlag im Europäischen Parlament und im Rat beraten. Dabei zeichne sich eine Einigung auf eine Risikoabstufung ab, die vom Ansatz ähnlich der des EU-Medizinprodukterechts sei, erläuterte Dr. Niggemeier, „und das ist ein guter Ansatz“. EIN DEUTSCHES PROBLEM? Hendrik Kafsack warf als nächstes die provokante Frage in den Raum, ob die Skepsis gegenüber Digitalisierung und Künstliche Intelligenz ein vordergründig deutsches Problem ist? „In Deutschland sieht man eher die Gefahr als die Möglichkeit“, ist sich Dr. Sloth-Lisbjerg sicher, „bei uns in Dänemark sehen wir die Möglichkeiten, wir sind froh über die digitalen Hilfsmittel, die uns das Leben einfacher machen“. Und der dänische Zahnarzt und CED-Präsident ging sogar noch einen Schritt weiter: „Ohne diese Entwicklung wären wir als kleines Land nicht weitergekommen – wir bauen keine Autos wie Sie in Deutschland und haben keine Bodenschätze - wir haben nichts anderes, um zu überleben“. Die Ende März 2022 vom Fraunhofer- Institut für System- und Innovationsforschung publizierte Studie kommt zu dem erschreckenden Ergebnis, dass Deutschland bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens im europäischen Vergleich zu den Schlusslichtern gehört! GESUNDHEITSDATENRAUM Am 5. April 2022 möchte die Europäische Kommission ihren Verordnungsvorschlag zur Schaffung eines europäischen Gesundheitsdatenraums präsentieren, mit dem ein verbindlicher Rechtsrahmen für den grenzüberschreitenden Austausch von Gesundheitsdaten geschaffen werden soll. EU-Bürgerinnen und Bürger sollen dabei einen sicheren Zugang zu einer vollständigen elektronischen Akte mit ihren Gesundheitsdaten haben. Um dies zu ermöglichen, will die Europäische Kommission schrittweise die Interoperabilität der bestehenden nationalen elektronischen Patientendatensysteme ausweiten und die Entwicklung eines europäischen Austauschformats unterstützen. Von Brisanz ist dabei die Gewährleistung der Interoperabilität der verschiedenen Systeme bei Sicherstellung eines angemessenen Datenschutzniveaus, dessen notwendiger Grad in den EU-Mitgliedsstaaten zum Teil sehr unterschiedlich bewertet wird. „Ich will eine Lanze brechen für die EU-Datenschutz-Grundverordnung“, betonte Dr. Niggemeier, „sie bietet gute Möglichkeiten“. In Deutschland leiste man sich 18 Datenschutzbehörden, „das verlangt die Verordnung nicht“. Hier wäre eine innerdeutsche Harmonisierung wünschenswert. Fotos: A. Louvet DIGITALE KOMPETENZEN Als letzten Aspekt widmete sich die Diskussionsrunde dem Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Sie ist wichtig, um mit den neuen Technologien arbeiten zu können. „Digitale Kompetenzen müssen in den Aus- und Weiterbildungsprogrammen der Universitäten vermittelt werden, um eine kritische Entscheidungsfähigkeit gegenüber KI zu ermöglichen“, betonte Dr. Niggemeier. Es gehe nicht um die Ebene der Informatik. „Angehende Mediziner müssen das lernen und verstehen und gegenüber ihren Patienten kommunizieren“. In die gleiche Kerbe schlug der Ehrenpräsident der BZÄK, Dr. Peter Engel: „Wir müssen die Technik beherrschen, sonst beherrscht die Technik uns“. Deutschland sei ein Land der Bedenkenträger geworden, benötigt werde aber eine positive Kritikfähigkeit. „Wir müssen positiv in die Zukunft schauen und die Ausund Fortbildung in den Blick nehmen“. Das Fazit des 17. Europatages mit Schlussfolgerungen für die Arbeit der BZÄK zog abschließend Dr. Michael Frank, Präsident der European Regional Organization of the World Dental Federation (FDI). „Wir wollten sensibilisieren, aufmerksam machen, Potenzial. „Wir können entscheiden, ob Europa mitspielt oder ob wir das anderen überlassen“, betonte Marion Walsmann. Chancen und Risiken darstellen, über den Tellerrand Deutschlands hinausschauen und den Blick auf Europa werfen – diese Zielsetzung ist gelungen und ja, wir müssen uns einbringen und beteiligen!“ Andrea Mader » KI unterstützt Behandler und Personal und kann den Zeitaufwand reduzieren – Empathie und Fingerspitzengefühl bekommen unsere Patienten aber auch in Zukunft nur von ihrem Zahnarzt!« Dr. Torsten Tomppert, Präsident der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg
Laden...
Laden...
Informationszentrum Zahn- und Mundgesundheit Baden-Württemberg (IZZ)
Haus: Heßbrühlstraße 7, 70565 Stuttgart
Post: Postfach 10 24 33, 70200 Stuttgart
Telefon: 0711 222 966 0
Fax: 0711 222 966 20
presse@izzbw.de
Eine Einrichtung der Kassenzahnärztlichen
Vereinigung Baden-Württemberg
& der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg
© by IZZ Baden-Württemberg - Impressum - Datenschutz