14_TITELTHEMA ZBW_5-6/2022 www.zahnaerzteblatt.de Digitalisierung in der Zahnmedizin DER ZAHN DER ZUKUNFT Digitale Innovationen haben mittlerweile fast alle Bereiche des Alltags durchdrungen und damit nicht nur die darin stattfindenden Arbeitsprozesse verändert, sondern auch die Art und Weise der Kommunikation. Auch in Zahnarztpraxen, Zahnkliniken und Fakultäten ist die Digitalisierung mittlerweile zuhause und weit mehr als ein Hype oder eine vorüber gehende Erscheinung. Die Geschwindigkeit, mit der die Digitalisierung Prozesse, aber auch Organisationen verändert, hat das Potenzial, die Zukunft der Zahnmedizin zu revolutionieren. Seit 2012 praktiziert Kai Boller als Zahnarzt in Mannheim-Rheinau, einem Stadtteil, der als Arbeiterviertel bekannt ist. Villen sucht man hier vergeblich, die Einwohnerdichte ist hier so hoch wie in kaum einem anderen Mannheimer Bezirk und die sozialen Brennpunkte sind sichtbar. Die Praxis führt er in zweiter Generation mit seine Mutter Dr. Sylvia Boller und seiner Schwester ZÄ Marlen Boller. Alles in allem ein eher bodenständiges Umfeld, in dem die Praxis angesiedelt ist. Dennoch setzt ZA Boller bei den Arbeitsabläufen seiner Praxis auf die Digitalisierung und die Devise „vom Mund in den Mund“. RESSOURCENSCHONEND Natürlich geht es dabei nicht darum, das Denken oder Zähneziehen einem Foto: Cornelia Schwarz/IZZ Digitale Abformung. Der Intraoralscanner erspart der Patientenschaft von ZA Kai Boller bei dieser Chairside Behandlung den Abdrucklöffel im Mund. Schonendes Verfahren. Die digitale Abformung vermeidet Würgereiz oder gar panische Erstickungsanfälle. Zudem schont sie die gesunde Zahnsubstanz mehr. Roboter zu überlassen. Digitale Möglichkeiten ergänzen und erweitern die bestehenden Arbeitsabläufe und ermöglichen es, Restaurationen und Zahnersatz ressourcenschonender und zeitsparender anzufertigen. Ein Vorteil, der natürlich auch den Patienten*innen zugute kommt, weil weniger Termine nötig sind und damit Anfahrtswege entfallen, wenn Abdrücke für Zahnersatz und Restaurationen in der Praxis Boller mittlerweile deutlich weniger Zeit in Anspruch nehmen. Schon lange bevor die Praxis in der Kropsburgstraße karteikartenfrei war und das digitale Röntgen zum Standard gehörte, beschäftigte sich ZA Kai Boller mit den digitalen Bildgebungsverfahren und der dazugehörenden diagnostikunterstützende Technik. „Ich habe mich manchmal wochenlang in meiner Freizeit mit diesen Prozessen auseinandergesetzt“, berichtet er von den Anfängen seiner digitalisierten Praxis und bestätigt, dass die Entwicklungen in seiner Praxis ohne seine Technikaffinität sicher heute anders aussehen würden. Denn nicht nur finanziell ist die Umstellung auf eine rein digitalisierte Praxis eine Herausforderung, sondern natürlich auch personell. Wochenende um Wochenende und regelmäßig nach Feierabend optimierte Boller den digitalen Workflow seiner Praxis. Vollenden konnte er seine Ansätze schließlich, als er mit Alex Hertel einen Zahntechniker gewinnen konnte, der nicht nur genauso begeistert von den digitalen Prozessen ist, wie Boller selbst, sondern auch mit Hintergrundwissen und fachlicher Expertise punkten kann. Gemeinsam tüfteln sie bis heute an einzelnen Arbeitsschritten, minimieren Fehlerquellen, wenn sie denn auftreten, und improvisieren, wenn das neue Gerät noch nicht alles hält, was der Vertreter beim Verkaufsgespräch in Aussicht gestellt hat.
ZBW_5-6/2022 www.zahnaerzteblatt.de 15_TITELTHEMA Hightech. Die digitalen Planungsdaten werden an die Fräseinheit übermittelt, die das konstruierte Restaurationsstück vollautomatisch herausarbeitet. Computergestützt. Via Monitor wird das dreidimensionale Bild aus der Praxis ins eigene Labor geschickt, wo Krone, Veneer oder Inlay digital konstruiert und passgenau angefertigt werden. 3D-Drucker. In größeren Zahnarztpraxen ist er bereits fester Bestandteil bei der Fertigung von Knirscher- und Aufbissschienen. ETAPPEN Die Entwicklung von der analogen in die nahezu abdruckfreie und modellfreie Praxis erfolgte sukzessive und unterliegt auch heute noch einem permanenten Prozess. So standen die Investitionen in aktuelles und digitalisiertes Equipment zeitlich vor der Renovierung der Praxisräume. Zu Beginn arbeitete Boller allein mit einem 3D-Drucker und einer kleineren CEREC-Maschine, die einzelne Kronen anfertigte. Heute erfolgt die Behandlung nach dem Bollerschen Prinzip direkt vom Mund in den Mund. „Wir stellen immer mehr herausnehmbare Arbeiten digital und teilweise modellfrei im Eigenlabor her“, erklärt er das Prinzip. „Dabei wird im Mund der Patienten gescannt, das Modell über den Computer angesteuert, schließlich gefräst und ohne Modell direkt in den Mund eingesetzt. Sozusagen die CAD/CAM- Technologie in Reinkultur. Bollers aktuelle Maschine lässt Verfahren zu, die Inlays, Implantataufbauten, Kronen oder Brücken aus Glas- oder Vollkeramik, aber auch aus verschiedenen Metallen herstellt. Auch die Kunststoffe für die Prothesen lassen sich mittlerweile alle komplett inhouse bearbeiten. Dank der computergesteuerten Planung und Fertigung mit höchste Präzision und Passgenauigkeit, wie der Zahnarzt bestätigt. „Einschleifen muss ich viel seltener als früher“. Dass eine Arbeit nicht verwendbar ist, kam früher hin und wieder vor, mittlerweile hingegen überhaupt nicht mehr. Die meisten der herausnehmbaren Arbeiten wurden modellfrei hergestellt. Die Maschine fräst übrigens auch ohne die Anwesenheit von einem*einer Techniker*in. Während Quarantänezeiten konnte Zahntechniker Hertel auch von Zuhause aus weiterarbeiten, ohne die laufende Prozesse aufzuhalten oder gar zu unterbrechen. Möglich ist dies, da die Maschine online ansteuerbar und » Ich bin fest davon überzeugt, dass die Digitalisierung arbeitsintensive, manuelle Fertigungsprozesse zukünftig komplett ablösen wird.« ZA Kai Boller Ohne Modell. Diese Brücke wurde ohne Abdrucknahme, einzig aus einem Scan hergestellt und gefräst. Noch in der selben Sitzung kann der Zahnersatz beim Behandelten eingesetzt werden. der Arbeitsprozess über ein spezielles Programm visuell verfolgbar ist. FORTBILDUNG Für eine digitale Praxis muss auch Raum geschaffen werden, sowohl im Labor als auch in den Köpfen des Praxisteams. Zahntechniker Alex Hertel tippt mittlerweile mehr am Computer als dass er handwerklich im Einsatz ist. Missen oder gar verändern wollte er diesen Umstand nicht, „allerdings bin ich auch wirklich froh, dass ich die Technik des Berufs von Grund auf erlernt habe und beides bedienen kann“. Dennoch sind regelmäßige Schulungen und Fortbildungen angesagt, um auf der digitalen Höhe der Entwicklungen zu bleiben, alle technischen Möglichkeiten vollumfänglich zu beherrschen und vor allem auch zu nutzen. Wenngleich die Zukunft der Zahnmedizin digital ist, so muss man sich diese auch finanziell leisten können. Die Umstellung einer analogen auf eine rein digitale Praxis lässt sich natürlich nicht in konkreten Zahlen abbilden, da dabei zu viele verschiedene Komponenten eine Rolle spielen. Bezahlt macht sich die Investition allemal – und wenn man ZA Kai Boller einen Tag lang bei der Arbeit über die Schulter schaut, auch Spaß. Cornelia Schwarz Handwerk. Auch in einer gut digitalisierten Praxis braucht es Menschen, die es vermögen, den Zahnersatz an die individuelle Zahnfarbe anzupassen und das Ergebnis zu perfektionieren.
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