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Digitalisierung für Patienten und Praxen erfolgreich gestalten

Ausgabe 7/2020

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8 Titelthema Foto: Martin Stollberg Aktueller Stand der Telematikinfrastruktur Digitalisierung schreitet voran Erste Studien bestätigen: Die Coronakrise führt zu einem Digitalisierungsschub in fast allen Lebensbereichen, insbesondere wird ein Wandel auf dem Arbeitsmarkt beschleunigt. Was bedeutet diese Entwicklung für das Gesundheitswesen? RKI-Präsident Prof. Dr. Lothar Wieler bedauerte Ende März, „dass wir in Deutschland nicht mehr Telemedizin haben“, manches wäre sonst durchaus leichter. Doch was ist der aktuelle Stand beim Ausbau der Telematikinfrastruktur in Deutschland und was bedeutet dieser für die Zahnmedizin? Ein Überblick. Inzwischen sind nach Aussage des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der KZBV, Dr. Karl-Georg Pochhammer, ca. 95 Prozent der Zahnarztpraxen an die Telematikinfrastruktur angeschlossen. „Viele anfängliche Vorbehalte und Probleme konnten durch sachliche Aufklärung aus dem Weg geräumt werden“, inzwischen würde auch ein Mehrwert der TI-Anwendungen für die Zahnärzt*innen und Patient*innen sichtbar, so Dr. Pochhammer. Schlagworte hierbei sind die qualifizierte elektronische Signatur (QES), der elektronische Medikationsplan (eMP), das Notfalldatenmanagement (NFDM), die elektronische Patientenakte (ePA) und das digitale Zahnbonusheft. Wie ebenfalls in dieser ZBW-Ausgabe berichtet, soll nach dem Testbetrieb im dritten Quartal des Jahres auch der Kommunikationsdienst KIM (Kommunikation im Medizinwesen) an den Start gehen. Gesetzliche Regelungen. Die Ausgestaltung der Telematikinfrastruktur beschäftigt den Gesetzgeber, die Standespolitik, wie auch die niedergelassenen Zahnärzt*innen im Land – und dies wird aller Voraussicht nach noch eine Weile so bleiben. Im Dezember 2019 trat das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) in Kraft, das beispielsweise die Verschreibung von Gesundheits-Apps ermöglicht, Videosprechstunden etablieren soll und das papierlose Versenden eines Arztbriefes auf sicherem Weg ermöglicht. Vor dem Bundestag forderte Gesundheitsminister Spahn (CDU) in der dazugehörigen Debatte mehr Tempo in der Digitalisierung. Einigen Beobachtern ging dieses Tempo allerdings zulasten der Sorgfältigkeit: Der Freie Verband Deutscher Zahnärzte sprach in diesem Zusammenhang von „einer Menge Verunsicherung sowohl bei den Ärzt*innen als auch bei den Patient*innen“. Insbesondere auch der durch das Gesetz ermöglichte Eingriff in die Selbstverwal- Nächster Schritt. Ab Juli lassen sich Medikationspläne und Notfalldaten auf der eGK speichern – sofern die Patient*innen damit einverstanden sind. In Notfallsituationen sollen so schnelle Therapieentscheidungen erleichtert werden. ZBW 7/2020 www.zahnaerzteblatt.de

Titelthema 9 tung der KZVen und der KZBV sowie zu kurze Umsetzungs- und Anpassungsfristen gestalteten und gestalten sich nach wie vor als schwierig. Patientendaten. Anfang Juli soll das Patientendaten-Schutz- Gesetz (PDSG) zur Verabschiedung auf der Tagesordnung des Bundestages stehen (siehe Infokasten). Es ist das nächste große Gesetzgebungsprojekt, das digitale Lösungen schnell in die Versorgung bringen, aber dennoch den Schutz der sensiblen Gesundheitsdaten garantieren soll. Eine App soll das Einlösen von E-Rezepten in der Apotheke ermöglichen, Facharzt-Überweisungen sollen auch digital möglich werden. Für Diskussionsstoff sorgte in der Anhörungsphase insbesondere das Vorhaben, dass Patient*innen ein Recht darauf erhalten, dass der Arzt die elektronische Patientenakte befüllt. Die KZBV machte sich in der Anhörung vor dem Gesundheitsausschuss dafür stark, dass Zahnarztpraxen nicht zu „Datenservicestellen“ umfunktioniert werden. Die Digitalisierung müsse ja gerade helfen, Bürokratie zu reduzieren, statt neuen Aufwand zu erzeugen. Verschärfte Protokollierungspflichten, wie beispielsweise die mehrjährige rückwirkende Auskunft, wer in welcher Weise in der Praxis auf personenbezogene Daten zugegriffen hat, wären für die Zahnärzt*innen eine zusätzliche Belastung, durch die auch das Vertrauen in die Digitalisierung im Berufsstand verloren gehen könnte. Sicherheitslücken. Ende Dezember 2019 wurde ein weiteres Mal das Thema Datensicherheit in der Telematikinfrastruktur sehr präsent: Hackern des Chaos Computer Clubs (CCC) war es gelungen, sich Zugangsberechtigungen zum Telematik-Netzwerk zu verschaffen. Dadurch konnten Außenstehende unter anderem Zugang zu gültigen Heilberufs- und Praxisausweisen erlangen. So hatten die Sicherheitsforscher des CCC den Ausweis schließlich an einen Käseladen versenden lassen – zweifelsohne ein Aufreger beim weiteren Ausbau der Telematikinfrastruktur. Bei genauerer Betrachtung relativiert sich allerdings die Sichtweise wieder: Einerseits legte die Bundesregierung nach einer kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dar, dass „medizinische Daten zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen“ seien. Nach einem vorläufigen Stopp bei der Ausgabe von Ausweisen seien in der Folge die Schwachstellen behoben worden. Maßnahmen wie die Verschärfung der Ausgabeprozesse oder die regelmäßige Prüfung der Datensicherheit durch sogenannte Penetrationstests wurden verstärkt. Andererseits bestanden die Sicherheitslücken für den zahnärztlichen Bereich zu keiner Zeit: Durch besondere Festlegungen können die Praxisausweise für Zahnarztpraxen nur an die Meldeadressen oder Praxisanschriften der Zahnärzt*innen gesendet werden – ein Versand an einen Käseladen wäre so unmöglich. Ein weiterer Bericht des Computermagazins c’t im Januar dieses Jahres legte rund 402 Sicherheitsmängel bei der im Konnektor von T-Systems eingesetzten Software offen. Elf der potenziellen Verwundbarkeiten wurden als kritisch eingestuft, die KZV Bayerns forderte daraufhin die Verschiebung der Einführung der elektronischen Patientenakte. Was bedeuten diese Vorgänge für die Sicherheit der TI? Datenschutz und Datensicherheit sind von enormer Wichtigkeit – auch für die gesellschaftliche Akzeptanz des Systems – und müssen beim Ausbau der Telematikinfrastruktur Priorität haben. Probleme müssen offen angesprochen und gelöst werden – erst recht, wenn es um die Sicherheit des Systems geht. Dr. Karl-Georg Pochhammer macht sich aber auch für eine ausgewogene Sichtweise stark: „Es geht vielmehr darum, undifferenzierter – und oft missinformierter – Fundamentalkritik an der TI mit klaren Fakten entgegenzutreten.“ Grundsätzlich begrüßen die Standesorganisationen die Digitalisierung im Gesundheitswesen – wenn diese einer besseren Versorgung der Patient*innen dient und der Missbrauch von sensiblen Daten ausgeschlossen werden kann. Gesundheitskarte. Im Juli dieses Jahres wird nun ein weiterer Schritt eingeläutet: Fortan können Medikationsplan und Notfalldaten auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden. Die Notfalldaten können insbesondere Krankenhäusern helfen, wenn ein Patient eingeliefert wird und nicht ansprechbar ist. Der elektronische Medikationsplan soll unter anderem auch Zahnärzt*innen mit einem Klick über die medikamentöse Behandlung informieren. Gerade in Situationen, in denen schnelle Therapieentscheidungen getroffen werden müssen, soll das Vorliegen dieser Informationen unterstützen oder gar Leben retten. Der Geschäftsführer der gematik GmbH, Dr. med. Markus Leyck Dieken, glaubt, „dass viele Menschen den Mehrwert der Anwendungen erkennen und diese aus der Patientenversorgung bald nicht mehr wegzudenken sind“. Für die erfolgreiche Einführung dieses Schritts wäre die breite gesellschaftliche Akzeptanz erforderlich – gespeichert werden die Daten nämlich nur, wenn die Patienten dies ausdrücklich möchten. Um die Nutzung möglich zu machen, ist für die Praxis ein E-Health-Konnektor notwendig. In der Regel wird der bisherige Konnektor durch ein Software-Update zum E-Health-Konnektor. Aktuell läuft diesbezüglich ein Feldtest im ärztlichen Versorgungsalltag der Region Westfalen-Lippe – den Berichten der Gematik nach bisher zufriedenstellend. Sofern der Feldtest erfolgreich abgeschlossen wird und schließlich auch eine Sicherheitszertifizierung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vorliegt, kann mit der Ausstattung – zunächst der Apotheken – für die Anbindung begonnen werden. Konnektoren. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen soll weiter voranschreiten. Immer wieder aber geraten Fristen in Gefahr: Einem Bericht des Handelsblatts von Ende Mai zufolge besteht möglicherweise ein Risiko einer www.zahnaerzteblatt.de ZBW 7/2020

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