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Ausgabe 7/2020

36 Fortbildung Ein Fall

36 Fortbildung Ein Fall aus der Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Freiburg Rehabilitation eines Erosionsgebisses mit direkten Kompositrestaurationen Erosionen – Zahnhartsubstanzverluste aufgrund des direkten Einflusses von Säuren auf die saubere Zahnhartsubstanz – sind ein häufiges Erscheinungsbild und treten in den industrialisierten Ländern mit einer Prävalenz von etwa 20 bis 40 Prozent auf 1 . Sie können durch exogene oder endogene Säureeinflüsse entstehen. Genese. Während endogene Erosionen durch den Einfluss der Magensäure im Rahmen bspw. einer Essstörung in Kombination mit Erbrechen oder im Rahmen eines chronischen Refluxes entstehen, werden exogene Erosionen im Regelfall durch den vermehrten Kontakt der Zähne mit Lebensmittelsäuren verursacht. Durch erosive Säureeinflüsse können erhebliche Defekte an den Zähnen verursacht werden. Dadurch können sowohl die Ästhetik als auch die Funktion der Zähne in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Rehabilitation von Erosionsgebissen stellt den Zahnarzt oder die Zahnärztin immer wieder vor Herausforderungen, da auf der einen Seite größere Anteile der Zahnhartsubstanz durch den Zahnverschleiß verloren gegangen sind, andererseits die übrige Zahnhartsubstanz jedoch in der Regel kariesfrei ist. Zudem sind die Betroffenen oftmals sehr jung, sodass Versorgungen mit Kronen nicht das Mittel der Wahl darstellen. Im Folgenden wird daher eine alternative Therapiestrategie dargestellt, die es ermöglicht, mit minimalinvasiven Methoden ein Erosionsgebiss mit Defekten exogener Genese sowohl funktional als auch ästhetisch zu rehabilitieren. Fallbeschreibung. Ein zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung 37-jähriger Patient stellte sich wiederholt mit verloren gegangenen und herausgebrochenen Füllungen im Ober- und Unterkiefer in der Schmerzambulanz Scores Schweregrad der Defekte 0 Kein Zahnschmelzverlust 1 2 3 Beginnender Verlust der Oberflächenstruktur Deutliche Schädigung, Zahnschmelzverlust von < 50 % der Zahnoberfläche Deutliche Schädigung, Zahnschmelzverlust von > 50 % der Zahnoberfläche Erosive Defekte. Gradeinteilung des Schweregrades erosiver Defekte nach dem BEWE-Index (Basic Erosive Wear Examination Index) (Tabelle 1). der Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie in Freiburg vor. Der Patient wies eine unauffällige Allgemeinanamnese auf. Die spezielle Anamnese ergab, dass weder Hypersensibilitäten noch Beschwerden an den Zähnen oder den Kiefergelenken bestanden. Der Patient stellte sich mit dem Wunsch einer längerfristig stabilen Versorgung der Zähne vor. Die extraorale Inspektion war unauffällig. Intraoral lag ein konservierend insuffizient versorgtes adultes Gebiss bei parodontaler Gesundheit vor (vgl. Abb. 1; PSI: 1, 1, 2, 2, 1, 1). Das gesamte Gebiss zeigte ausgeprägte erosive Defekte mit Verlust der vertikalen Dimension (BEWE-Index (vgl. Tab. 1 2 ): SI 3, SII 3, SIII 3, SIV 3, SV 3, SVI 3; vergleiche Abbildung 2). Die Schleimhäute zeigten sich ebenfalls unauffällig ohne Hinweise auf einen verminderten Speichelfluss. Die Mundhygiene war durchschnittlich. Der Patient gab an, keine Zahnzwischenraumhygiene zu betreiben, da er fürchtete hierdurch weitere Füllungen zu verlieren. Im Rahmen der Ursachenfindung verneinte der Patient auf Nachfrage die Einnahme von Medikamenten, zudem konnten keine Hinweise auf eine bulimie- oder refluxassoziierte Ätiologie der Erosionsdefekte gefunden werden. Die Ernährungsanamnese ergab, dass der Patient in der Vergangenheit täglich mehr als 1,5 Liter Erfrischungsgetränke und Energydrinks zu sich genommen hat. Zusätzlich hat er sehr häufig Zitrusfrüchte gegessen. Der Patient gab eine Änderung der Ernährung vor Jahren an, jedoch isst er nach eigenen Angaben noch heute fast täglich Salat mit Essig-Öl-Dressing. Diagnose. Generalisierte fortgeschrittene erosive Defekte exogener Ätiologie. Besonders starke Ausprägung auf den okklusalen Flächen der Molaren und Prämolaren sowie auf den oralen Flächen der Oberkiefercanini und bukkalen Flächen der Unterkieferprämolaren mit einem Verlust der vertikalen Dimension von 1,5 mm. Therapie. Nach der Feststellung der exogenen Herkunft der Erosionen wurde auf der Basis der Ernährungsanamnese eine Ernährungsberatung durchgeführt, da die Vermeidung der auslösenden Noxe (Säure) bei Erosionen die wichtigste Therapiemaßnahme darstellt (kausale Therapie). Die schädigenden Ernährungseinflüsse lagen in diesem Fall hauptsächlich in der Vergangenheit, so- ZBW 7/2020 www.zahnaerzteblatt.de

Fortbildung 37 Ausgangssituation. Panoramaschichtaufnahme des Gebisses zum Zeitpunkt der Vorstellung in der Erosionssprechstunde. Suffiziente Kronen (12-22) sowie Wurzelkanalbehandlungen (25, 27), diverse Füllungen sowie okklusale Substanzverluste an fast allen Zähnen (Abbildung 1). dass keine grundlegende Änderung der Ernährung mehr nötig war. Es wurde ergänzend auf die Reduktion der Häufigkeit und Menge saurer Speisen (Essig-Öl-Dressing) und Getränke hingewiesen. Es wurde zudem empfohlen, saure Lebensmittel mit kalziumreichen Speisen wie beispielsweise Milchprodukten zu kombinieren. Zusätzlich zur kausalen Therapie wurden dem Patienten symptomatische Strategien zur Erhöhung der Säureresistenz der Zahnhartsubstanz angeraten. Es wurde die Verwendung einer zinn- und fluoridhaltigen (F/Sn) Zahnpasta zweimal täglich sowie einmal täglich einer F/Sn-haltigen Mundspüllösung zur Mundhygiene empfohlen. Die Erosionen waren durch diese Maßnahmen sehr gut zum Stillstand zu bringen, sodass eine langfristige Restauration geplant werden konnte. Zudem wurde eine allgemeine Instruktion zur Verbesserung der Mundhygiene mit einem besonderen Fokus auf die Interdentalraumhygiene durchgeführt. Aufgrund der funktionellen Einschränkungen bei Verlust der vertikalen Dimension wurde eine Hebung des Bisses um 1,5 mm angestrebt. Um die noch vorhandene Zahnhartsubstanz zu schonen, wurde eine Rehabilitation mit direkt im Mund per Hand geschichteten Kompositrestaurationen in Mehrschichttechnik geplant. Therapeutisches Ziel der Bisshebung war die Wiederherstellung der physiologischen Bisshöhe in Normalverzahnung mit einer Ruheschwebelage von 2 mm vor Okklusionskontakt bei einem passiv suffizienten Lippenschluss (Abb. 3). Im Zuge der Bisshebung sollten die bukkal und oral freiliegenden Dentinoberflächen vollständig überschichtet werden. Der Patient wurde im Vorhinein über das mögliche Auftreten von Muskelverspannungen im Bereich der Kaumuskulatur aufgeklärt. Die Dimension der Bisshebung ließ eine direkte Therapie ohne vorherige Anhebung der Vertikaldimension mit Schienen zu. Für die Versorgung wurde selbstkonditionierendes Adhäsiv mit einem multifunktionalen Monomer (Clearfil SE, Kuraray, Japan) mit selektiver Schmelzätzung verwendet. Die Rekonstruktionen erfolgten im Seitenzahngebiet mit dem Hybridkomposit CeramX (Dentsply Sirona Deutschland), Farbe A4 und im Frontzahnbereich mit Hybridkomposit CeramX (Dentsply Sirona Deutschland), Farbe A3,5. Alle Arbeiten erfolgten unter absoluter Trockenlegung mit Kofferdam. Die Hebung des Bisses wurde im Kauzentrum mit dem Aufbau der Unterkiefermolaren (36, 46, 37, 47) begonnen, gefolgt von den zweiten Prämolaren des Unterkiefers (35, 45). In einem zweiten Termin erfolgte die Rekonstruktion der Molaren und zweiten Prämolaren des Oberkiefers (17, 27, 16, 26, 15, 25), wodurch die Okklusion auf die neue vertikale Dimension eingestellt wurde. Die Okklusion, sowie Latero- und Protrusion wurden folgend adjustiert. Anschließend wurden die Eckzähne (13, 23, 33, 43) und die ersten Unterkieferprämolaren (34, 44) aufgebaut und deren bukkale und palatinale Defekte gedeckt. Zum Abschluss der Rekonstruktion wurden die ersten Prämolaren des Oberkiefers (14, 24) aufgebaut, um den Biss optisch zu schließen. Die bestehenden Kronen an den Oberkieferinzisivi waren suffizient und wurden daher nicht verändert. Einen Tag nach der letzten Anfertigung der Rekonstruktionen wurde die Okklusion nochmals rejustiert und die Füllungen abschließend poliert. Eine Kontrolle der neuen Bisshöhe und der Verzahnung wurde eine Woche später nochmals vorgenommen und eine Verlaufskontrolle ein halbes Jahr später vereinbart. Epikrise. Bisshebungen und Defektrestaurationen im Erosionsgebiss können mit verschiedenen Techniken durchgeführt werden. Neben den direkten Verfahren stehen ebenso indirekte Versorgungen mit konventioneller oder adhäsiver Befestigung zur Verfügung. Die Präparation von Zähnen zur Aufnahme von Restaurationen mit konventioneller Befestigung ist im Regelfall www.zahnaerzteblatt.de ZBW 7/2020

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