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Die Seuchen der Menschheit

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Ausgabe 12/2020

Berufspolitik 23

Berufspolitik 23 Zahnärztliche Behandlung und Infektionsschutz in Coronazeiten Ist in der Pandemie alles anders – oder doch nicht? Eine Betrachtung der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) S1-Leitlinie „Umgang mit zahnmedizinischen Patienten bei Belastung mit Aerosol-übertragbaren Erregern“ In Zeiten der Coronapandemie und der weltweiten Ausbreitung von SARS-CoV-2 ist das Übertragungsrisiko von Erregern in den Fokus des allgemeinen öffentlichen Lebens gerückt. Gerade auch die Zahnärzte und ihre Praxisteams befinden sich in der gegenwärtigen Situation in einem Spannungsfeld zwischen Virusepidemiologie, zahnärztlicher Versorgung sowie Patienten- und Mitarbeiterschutz und den ökonomischen Auswirkungen auf ihre Praxen. In der Gesellschaft wie auch in der Kollegenschaft gehen die Einschätzungen zum Umgang mit dieser Situation weit auseinander, auf der einen Seite mit Forderungen von massiven Schutzmaßnahmen und auf der anderen Seite dem Wusch nach „einem Weiter so, wie bisher“. Auch bisher schon stellten Hygiene und Infektionsschutz einen elementaren Bereich der zahnärztlichen Praxisführung dar. Bei Betrachtung der typischen Infektionswege in der Zahnheilkunde scheinen neben dem direkten Kontakt mit Blut, Speichel und kontaminierten Instrumenten und Materialien im Hinblick auf die Übertragung von SARS-CoV-2 kontaminierte Hände und Oberflächen und insbesondere die Übertragung durch Aerosole von ganz besonderer Bedeutung zu sein. Was folgt daraus für die Zahnarztpraxen, müssen andere, vielleicht vollkommen neue Infektionsschutzmaßnahmen getroffen werden? Um den Zahnarztpraxen Entscheidungshilfen an die Hand zu geben, welche der bisher angewandten Maßnahmen weiterbetrieben, angepasst oder neu initiiert werden sollten, hat deshalb die DGZMK in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften, der BZÄK und der KZBV, die S1-Leitlinie „Umgang mit zahnmedizinischen Patienten bei Belastung mit Aerosolübertragbaren Erregern“ erarbeitet. Die Leitlinie wurde von einer Expertengruppe auf der Basis der aktuell verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse verfasst. Sie hat eine Gültigkeit bis März 2021 und wird, wenn nötig, angepasst. Typisches Beispiel organisatorischer Maßnahmen ist die gezielte Anamneseerhebung, hier als Triage, um Verdachtsfälle und bestätigte COVID-19-Fälle möglichst im Vorfeld zu detektieren. Die Praxis kann dann entscheiden, ob in räumlicher und organisatorischer Trennung von den Patienten der Normalsprechstunde und insbesondere den Risikopatienten eine Behandlung möglich oder eine Überweisung in eine „Corona- Schwerpunktpraxis“ notwendig ist. Sofern möglich, sollten alle zahnärztlichen Behandlungen bei diesen Patienten auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Sinnvoll ist ferner die Distanzierung, z. B. durch Plexiglasscheiben an der Anmeldung, die Einhaltung von Abstandsregeln und die Einbeziehung der Patienten in Hygienemaßnahmen wie beispielsweise das Tragen von Schutzmasken und die Durchführung von Händehygienemaßnahmen. In der Leitlinie wird unterschieden zwischen Tröpfchen, Aerosolen und Spraynebeln. Das ist deshalb besonders relevant, da COVID-19 vorwiegend als Tröpfcheninfektion durch Sprechen, Niesen und Husten auf die Schleimhäute des Gegenübers übertragen wird. Die höchste Viruskonzentration scheint sich im Nasen-Rachenraum zu finden. Hier macht die Schleimhautantiseptik Sinn, ebenso wie Kofferdam als Barrieremaßnahme. Nach Schätzungen geht man davon aus, dass der in der Zahnmedizin entstehende Spraynebel Pathogene enthalten kann, allerdings durch den hohen Anteil an Kühlwasser in stark verdünnter Form. Aktuell reicht die Evidenzlage nicht aus, um eine aerogene Übertragung mit SARS-CoV-2 im Rahmen zahnärztlicher Behandlungen sicher zu bestätigen oder auszuschließen. Die Leitlinie verdeutlicht aber den Wert arbeitssystematischer Maßnahmen und anerkannter Technologien, wie die Grundregeln der Nichtkontamination, geeigneter und hochvolumiger Absaugtechnik und der konsequenten Umsetzung der Basishygiene wie Oberflächenhygiene und effektives Lüften. Breiten Raum nimmt die differenzierte Betrachtung der Notwendigkeit und Schutzwirkung unterschiedlicher Masken (MNS, FFP und NIOSH) ein. Demnach soll zahnmedizinisches Personal bei Kontakt mit Patienten mit Infektion oder begründetem Verdacht einer SARS-CoV-2-Infektion FFP-2/FFP-3 oder analog hierzu N95 Masken tragen, in anderen Fällen mindestens einen medizinischen MNS. Schutzschilde können die Sicherheit erhöhen. Abschließend werden Schutzempfehlungen für nicht verschiebbare zahnärztliche Notfälle bei symptomatischen und infizierten Patienten (SARS-CoV-2), bzw. unangemeldet in der Praxis erschienenen Patienten mit Atemwegsinfekt oder SARS-CoV-2-Symptomen ausführlich erläutert. Dr. Norbert Struß, stv. Präsident der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg www.zahnaerzteblatt.de ZBW 12/2020

24 Berufspolitik Bundesweit einmalige Partizipationsplattform in der Selbstverwaltung Die Beteiligungs-App kommt Anfang dieses Jahres hat der Vorstand der KZV BW beschlossen, mithilfe einer App eine dauerhafte Basisbeteiligung und Abstimmungsmöglichkeit innerhalb der Vertragszahnärzteschaft zu ermöglichen. Diese Form der kontinuierlichen Basisbeteiligung ist die erste ihrer Art in der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen in Deutschland. Auch in der Vertragszahnärzteschaft haben sich gesellschaftliche Realitäten verändert. Ähnlich wie im politischen Raum werden in den vergangenen Jahren die Rufe nach zusätzlichen Beteiligungsmöglichkeiten über die in Gesetz und Satzung vorgeschriebenen Gremien hinaus lauter. Der Vorstand der KZV BW hat dieser Entwicklung Rechnung getragen. So wurden bereits in den vergangenen Jahren Diskussionsforen wie „Denkwerkstätten“ eingerichtet, welche die Arbeit des Vorstandes und der Verwaltung zu bestimmten Themen dauerhaft begleiten. Des Weiteren hat der Vorstand in den vergangenen Jahren vermehrt das Instrument der Online-Umfragen genutzt, um die Stimmungslagen innerhalb des Berufsstandes abzufragen. Auch werden jährlich jeweils für bestimmte Zielgruppen wie angestellte Zahnärzt*innen repräsentative Umfragen durchgeführt. Dies soll dazu beitragen, dass die Bedürfnisse, Anliegen und Erwartungen der Mitglieder immer besser erkannt werden und somit noch stärker Grundlage für das Handeln der KZV BW sind. Beteiligungsmöglichkeiten. Der KZV BW war es ein Anliegen, über die bestehenden bewährten Instrumente hinaus, einen weiteren Schritt zu gehen. Durch die fortschreitende Digitalisierung und die veränderten Rahmenbedingungen in Sachen Datensicherheit hat sich der Vorstand mit den daraus entstandenen Möglichkeiten der Partizipation auseinandergesetzt und Anfang 2020 beschlossen, eine Smartphone-Applikation für die KZV BW zu erstellen, die eine anonyme und sichere Basisbeteiligung ermöglicht sowie den allgemeinen Wahlgrundsätzen entspricht. Die Beteiligungs-App der KZV BW ermöglicht als erste digitale Einrichtung ihrer Art im Gesundheitswesen eine Plattform zur stetigen Beteiligung ihrer Mitglieder. „Wir als Vorstand sind der Meinung, dass solche Instrumente notwendig sind, um die Selbstverwaltung auch in Zukunft attraktiv zu machen. Wir ermöglichen direkte Beteiligung der über 8.000 Vertragszahnärzt*innen. Die Coronapandemie hat uns zudem noch vor Augen geführt, wie wichtig zusätzliche Entscheidungs- und Beteiligungsmöglichkeiten sind, wenn zum Beispiel keine physischen Treffen möglich sind“, erklärt Dr. Ute Maier, Vorstandsvorsitzende der KZV BW. Benedikt Schweizer Gisela Erler im ZBW-Gespräch Partizipation und Mitsprache Die Schirmherrschaft für die Beteiligungs-App hat Staatsrätin Gisela Erler übernommen. Sie ist als Staatsrätin Mitglied der baden-württembergischen Landesregierung mit der Zuständigkeit für „Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung“. Im Gespräch mit dem ZBW spricht sie über ihre Einschätzung und die Erfolgsprognosen des neuen Projekts. ZBW: Die KZV BW hat als erste Organisation der sozialen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen eine App entwickelt, die eine anonyme und sichere Basisbeteiligung und auch Abstimmungen unter Beachtung allgemeiner Wahlgrundsätze unter ihren Mitgliedern ermöglicht. Sie übernehmen für die BeteiligungsApp der KZV BW die Schirmherrschaft. Was hat Sie dazu bewogen? Gisela Erler: Ich bin sehr erfreut darüber, dass die KZV BW neue Wege gehen möchte, um ihre Mitglieder an aktuellen Themen zu beteiligen. Diese Form der internen Mitgliederbeteiligung sehen wir leider noch viel zu selten. In vielen Verbänden und Vereinen dominiert nach wie vor die Delegiertenvertretung. Eine direkte Rückkopplung über digitale Medien ermöglicht es einem Verband, das Vertrauen und die Sichtbarkeit bei seinen Mitgliedern zu stärken. Die Mitglieder identifizieren sich dann mehr mit der Arbeit und die Ergebnisse haben eine höhere Akzeptanz. Solche Beteiligungsformate machen es zudem möglich, Meinungen zu bündeln und die Identifikation mit der Verbandsarbeit zu stärken und herzustellen. Wenn man in Verbänden und Organisationen hiermit gute Erfahrungen macht, stärkt das auch die Demokratie. Unsere institutionellen und demokratischen Strukturen sind in diesen Tagen und Zeiten starken Herausforderungen ausgesetzt. ZBW 12/2020 www.zahnaerzteblatt.de

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