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Die Seuchen der Menschheit

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Ausgabe 12/2020

Berufspolitik 19 Petra

Berufspolitik 19 Petra Krebs, sozialpolitische Sprecherin Bündnis 90/Die Grünen. 75 Prozent werden zu Hause versorgt, und davon wieder 75 Prozent allein von den Angehörigen, hauptsächlich von Frauen. Wer versorgt denn die Pflegebedürftigen, wenn ihre Angehörigen an Corona erkranken? Es hat sich gezeigt, dass wir da eine Lücke haben, eine Denklücke. Persönlich bin ich deshalb ein Fan von Primärversorgungszentren – damit meine ich nicht Medizinische Versorgungszentren, sondern Modelle, in denen verschiedene Berufsgruppen zusammenarbeiten. Das geht weg von der Ärztezentriertheit und könnte für die Bürger*innen mehr Gesundheit bringen. Wir sollten in diesem Kontext salutogenetisch denken und Gesundheit erhalten, anstatt ihr hinterher zu rennen. Die investorenfinanzierten Medizinischen Versorgungszentren (I-MVZ) sind ja ein großes Problem für uns alle. Als mir Frau Dr. Maier von der KZV das erläutert hat, war ich wirklich entsetzt! Das führt ja auch zu Qualitätsmangel und Überbehandlung. Diese Entwicklung finde ich sehr ärgerlich! Haben Sie denn Ideen, wie das unterbunden werden kann? Ja, das kann über die geplante Novellierung des Heilberufe-Kammer-Gesetzes gelingen. Im aktuellen Entwurf finden sich unsere Forderungen: Der Inhaber muss Zahnarzt sein. Die Mehrheit der Dr. Torsten Tomppert, Präsident der LZK BW. Eigner muss Zahnarzt sein. Und der Kapitalgewinnabfluss an Dritte ist untersagt. Ich kenne eine Studie, die belegt, dass 70 Prozent der MVZ nicht versteuern, sondern das Kapital ins Ausland weiterleiten. Da muss man doch fragen, ob Beiträge zum Gesundheitssystem, die in Deutschland bezahlt werden, irgendwo in der Karibik landen sollen? Frau Krebs, Sie wohnen im Allgäu, in einer wunderschönen Gegend. Die zahnärztliche Versorgung auf dem Land ist gewährleistet, und das soll auch so bleiben. Welche Ansätze sehen Sie, um junge Zahnärztinnen und Zahnärzte zu einer Niederlassung in ländlichen Gebieten zu motivieren? Man könnte eine ähnliche Quote wie die Landarztquote für Allgemeinmediziner einführen. Aber Zwang halte ich für das falsche Instrument. Von Regierungsseite sollten viel mehr bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden. Teilweise stellen die Kommunen im ländlichen Baden-Württemberg auch schon Praxen für junge Ärzte zur Verfügung. Man bekommt nämlich durchaus junge Leute ins schöne Allgäu, wenn klar ist, wo ihre Kinder betreut werden, ob der Ehepartner auch gute Arbeitsbedingungen hat und wie gut der Stand der Digitalisierung ist. Viele junge Menschen wollen auch im Team arbeiten, z. B. in einer Praxisgemeinschaft. Der Landarzt, der Fotos: Kraufmann einsam in seiner Praxis sitzt und den ganzen Tag Leute behandelt, ist keine attraktive Zukunftsperspektive für viele junge Menschen. Ich meine, genossenschaftliche Modelle wären auch für die Zahnmedizin möglich. Oder man könnte moderne Technik nutzen: Video- Besprechungen sind eine Möglichkeit, Gemeinschaft digital zu schaffen und sich im großen Kreis über seine Patienten auszutauschen. Ich finde deshalb, dass Primärversorgungszentren, die man auch für Zahnärzte als genossenschaftliche Modelle denken könnte, zukunftsfähig sind. Es könnte nicht zuletzt auch das Problem der fehlenden ZFAs lösen, wenn man in größeren Einheiten arbeitet. Verraten Sie mir noch, was Sie 2021 im Urlaub machen? Mein Mann und ich planen natürlich einen Urlaub, aber das Ziel ist noch offen. Wir waren schon immer Camper und haben einen kleinen Campingbus, mit dem wir dieses Jahr nur in Deutschland unterwegs waren. Einmal im Jahr möchte ich aber gerne ans Meer, und da nicht unbedingt an die Ostsee, sondern ans Mittelmeer. Ich hoffe, dass man im Spätsommer 2021 wieder ins Ausland kann. Aber es kommt darauf an, dass die Leute das Impfen akzeptieren, sobald ein Impfstoff gegen Corona entwickelt worden ist. Hier bin ich übrigens der Meinung, dass man mit positiver Verstärkung mehr erreicht als durch Verordnung oder Strafen. Wir sollten die Leute überzeugen, dass Impfen etwas Gutes ist, dann wird auch das Verreisen wieder möglich. Frau Krebs, vielen Dank für dieses sehr nette und ausgiebige Gespräch! Zur Person Petra Krebs, Bündnis 90/ Die Grünen Sprecherin für Gesundheits-, Pflege- und Senior*innenpolitik – im Landtag seit März 2016 – verheiratet, zwei Kinder www.zahnaerzteblatt.de ZBW 12/2020

20 Berufspolitik Kammer Konversation mit Jochen Haußmann MdL, FDP/DVP Die Arbeit von Zahnärztinnen und Zahnärzten im Gesundheitswesen ist unverzichtbar Die Urlaubsplanung für 2021 muss bis auf weiteres zurückstehen beim stellvertretenden Vorsitzenden der FDP/DVP-Landtagsfraktion, Jochen Haußmann. „Meine Gedanken sind bei der anstehenden Landtagswahl und den großen Herausforderungen, vor denen unser Land steht“. Wie die Gesundheitspolitik in Baden-Württemberg unter liberaler Führung aussehen würde und was der Berufsstand von einem Sozialminister Haußmann zu erwarten hätte, skizzierte der FDP-Politiker im Gespräch mit LZK-Präsident Dr. Torsten Tomppert. Für die zweite Runde von Kammer Konversation war der Kammerpräsident der Einladung von Jochen Haußmann ins Haus der Abgeordneten am Schlossplatz gefolgt. Nach dem unsäglichen Gründonnerstag, als die Landesregierung einen Lockdown für die Zahnarztpraxen beschlossen hatte, Stichwort § 6a, hat die FDP eine Pressemitteilung im Sinne der Zahnärzteschaft herausgegeben. Dr. Torsten Tomppert: Lieber Herr Haußmann, ich erinnere mich noch gut an unsere nächtlichen Telefonate über die Osterfeiertage und möchte Ihnen für Ihre Unterstützung nochmals danken. Der Lockdown hat zehn Tage gedauert. Die Zahnarztpraxen hatten infolge des drastischen Patientenrückgangs erhebliche finanzielle Einbußen. Dennoch sind wir Zahnärzte nicht wie die Ärzte unter den Schutzschirm genommen worden! Wird hier mit unterschiedlichem Maß gemessen? Jochen Haußmann: In der Tat stelle ich hier eine Unwucht fest, die mehr als ärgerlich ist. Ich bin froh, dass die FDP-Bundestagsfraktion im Deutschen Bundestag die Initiative ergriffen und seinerzeit von der Bundesregierung einen Gesetzentwurf gefordert hat, der analog zum Artikel 3 des COVID- 19-Krankenhausentlastungsgesetzes alle weiteren betroffenen Leistungserbringer im Gesundheitssystem – und damit auch ausdrücklich die Zahnärztinnen und Zahnärzte – für finanzielle Hilfen aus Mitteln der GKV berücksichtigt. Bei der Verteilung von Schutzausrüstung ist die Zahnärzteschaft ebenfalls unzureichend berücksichtigt worden durch das Land. Die finanzielle Erstattung dieser Kosten, die wir bei der Landesregierung eingefordert haben, wurde abgelehnt. An erster Stelle steht mein Dank an die Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie die Kammer, die unter schwierigsten Umständen die Situation gemeistert haben – und das zum Teil auch noch auf eigene Kosten! Ich habe schon mehrfach eine Bevorratungsstrategie des Landes angemahnt. Denn es ist wahrlich nicht Aufgabe einer Zahnarztpraxis für alle möglichen Katastrophenfälle oder Pandemien Vorsorge zu treffen. Die Praxen sind bereits heute mit den Hygieneanforderungen und vor allem der Dokumentation mit viel zu viel Bürokratie belastet. Das Land muss bei einer Pandemie alle Klassen der erforderlichen Schutzausstattungen vorhalten und als durchlaufendes System anlegen. Zahnärztinnen und Zahnärzte sind systemrelevant! Sehen Sie das auch so? Diesen Satz unterstreiche ich nicht nur, ich hebe ihn mit Textmarker hervor. Im Ernst: Die Arbeit von Zahnärztinnen und Zahnärzten ist im Gesundheitswesen unverzichtbar. Deshalb ärgert mich auch die Ungleichbehandlung im Zuge der Corona-Hilfen und der Corona-Krisenbewältigung. Haben Sie die Corona-Warn-App auf Ihrem Smartphone? Denken Sie, die App leistet einen Beitrag, um das Infektionsgeschehen einzudämmen? Ja, ich habe die App. Sie bleibt leider weit hinter den Möglichkeiten zurück. Es kann doch nicht sein, dass im Jahr 2020 die Gesundheitsämter mit Telefon und Bleistift noch immer so arbeiten wie in Zeiten der Lochkartensteuerung. Teilweise gibt es erhebliche zeitliche Lücken zwischen positivem Testbefund und Benachrichtigung sowie Anordnung der Quarantäne. In dieser Zeit, die teilweise über eine Woche dauert, können viele unnötige Übertragungen stattfinden. Die Möglichkeiten der Digitalisierung müssen unter Beachtung des Datenschutzes endlich genutzt werden. Wir erleben, dass Baden-Württemberg und Deutschland noch immer digitale Entwicklungsländer sind. Das muss dringend überwunden werden. Gesetztenfalls Jochen Haußmann wird nach der Landtags- ZBW 12/2020 www.zahnaerzteblatt.de

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