Aufrufe
vor 2 Jahren

Die Seuchen der Menschheit

  • Text
  • Coronapandemie
  • Berufspolitik
  • Politik
  • Maier
  • Praxis
  • Akademie
  • Versorgung
  • Praxen
  • Prof
  • Menschen
Ausgabe 12/2020

Berufspolitik 17 ne

Berufspolitik 17 ne Praxis eröffnet haben und schwer verunsichert sind, wie sie z. B. ihre Kredite zurückzahlen sollen. Praxisinhaber*innen meldeten sich, die ihre Teams in Kurzarbeit schicken mussten oder Zahnärzt*innen, die nicht wussten, wie sie Praxis und Familie unter einen Hut bekommen sollen. Ihnen musste die Weigerung der Politik, einen Rettungsschirm für die Zahnärzt*innen zu spannen, wie bitterer Zynismus vorgekommen sein. Für die flächendeckende wohnortnahe Versorgung ist das keine gute Grundlage. Finster: Wir haben nonstop versucht, persönliche Schutzausrüstungen und Desinfektionsmittel zu organisieren. Fast 200.000 Stück Mund-Nasen-Schutz und 200.000 FFP2-Schutzmasken. Daneben wurden über 6.000 Liter Desinfektionsmittel besorgt, um die Sicherstellungspraxen sowie die für den Notdienst am Wochenende eingeteilten Praxen versorgen zu können. Dem Informationsdefizit haben wir durch die eigene Hotline und regelmäßige Rundschreiben entgegengewirkt. Nicht zuletzt wurden die monatlichen Auszahlungstermine vorgezogen, um den Zahlungsfluss der Praxen zu unterstützen. Besters: Die Sicherstellung der zahnmedizinischen Versorgung im Land war von zentraler Bedeutung. Wir haben ein landesweites Netz mit Schwerpunktpraxen und Coronaambulanzen für COVID- 19-Erkrankte geschaffen und einen Sicherstellungsdienst mit über 600 Praxen eingerichtet, damit jederzeit im ganzen Land die zahnmedizinische Versorgung garantiert war, auch wenn einzelne Praxen wegen Quarantäne- oder Krankheitsfällen ausgefallen sind. Dr. Maier: Als Selbstverwaltung haben wir gemanagt, richtiggestellt und erklärt – ob bei der Politik oder in den Medien. Unter anderem die Relativierung und schließlich die Abschaffung der Corona-Verordnung von Gründonnerstag basierte auf unserem Engagement. Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Erfahrungen der vergangenen Monate? Dr. Maier: Erstens, dass wir ein gutes und robustes Gesundheitssystem haben. Zweitens, kein anderes Land ist so gut durch die Krise gekommen wie Deutschland. Deswegen sagen wir – auch im Lichte der Landtagswahl und der Bundestagswahl 2021 – Finger weg von ideologischen Projekten wie der Bürgerversicherung. Mit der Gesundheit der Menschen spielt man nicht, und deswegen muss es eine Lehre für die Politik sein: Gefährdet unser Gesundheitssystem nicht aufgrund vermeintlicher Gerechtigkeitsfragen. Finster: Für die Selbstverwaltung der Zahnärzteschaft ist eines sicher. Wir müssen lautstark den eingeschlagenen Weg weitergehen. Wir müssen verstärkt in der Öffentlichkeit darlegen, welche wichtige Rolle die Zahnmedizin spielt; was geleistet wird, um die Versorgung der Menschen in Baden- Württemberg sicherzustellen. Besters: Für uns als Organisation, die über 8.000 Zahnärzt*innen vertritt und über 300 Mitarbeitende beschäftigt, ziehen wir eine Vielzahl an Lehren für unsere internen Abläufe. Als Arbeitgeber*in freut uns, dass eine Befragung der Mitarbeitenden eine Zustimmung von über 80 Prozent zu unserem Krisenmanagement in der vergangenen Zeit ergeben hat und dass sich unsere Wahrnehmung mit der unserer Beschäftigten weitgehend deckt. Ganz konkret werden wir einige Punkte unmittelbar umsetzen: Das mobile Arbeiten hat sich bewährt und wird beibehalten, die Flexibilisierung der Arbeits- und Anwesenheitszeiten und die digitale Modernisierung der KZV BW wird vorangetrieben. Damit geht auch erhebliches Einsparpotenzial bei räumlichen und finanziellen Ressourcen einher. Ebenso möchten wir zusätzliche Angebote für die Zahnärzteschaft anbieten, beispielsweise über das Instrument der Webinare für Fortbildungen – so kann auch eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie erreicht werden. Des Weiteren möchten wir uns mit dem Thema befassen, eine App zu entwickeln, in welcher man alle Online-Angebote der KZV nutzen kann. Von ZA-Online über die Abrechnungsleitlinien, Zugriff auf Rundschreiben und Seminarprogramme mit Buchungsmöglichkeit. Alles auf dem Handy, alles in einer App. Das soll natürlich nur ein Zusatzangebot für diejenigen sein, die das auch wollen. Was wünschen Sie sich für 2021? Besters: Dass die Politik sich darauf konzentriert, Probleme zu lösen, die vorhanden sind – da gibt es in den jetzigen Zeiten genug zu tun. Gegenüber der Zahnärzteschaft und den Menschen bedarf es vermehrt eine Kultur des Respekts, des Vertrauens und nicht des Misstrauens. Finster: Dass erkannt wird, dass die Selbstverwaltung und speziell die Freiberuflichkeit im Gesundheitswesen Garanten für eine gute ambulante Versorgung – gerade in Krisenzeiten – sind. Daran darf nicht politisch herumgedoktert werden. Dr. Maier: Die Stärkung des Ansatzes, dass eine gute Gesundheitspolitik nur gelingt, wenn die Partner auf kommunaler sowie auf Landes- und Bundesebene mit den Akteuren der Selbstverwaltung gemeinsam in einem vernetzten Handeln die Verantwortung für die Gesundheit wahrnehmen: gemeinsam statt einsam. Das ist zielführender als jeder vorgeschlagene Radikalumbau des Versicherungssystems. Die Fragen stellte Florian Wahl Info Den Bericht des Vorstands 2020 können Sie auf der Website der KZV BW (www. kzvbw.de) einsehen. www.zahnaerzteblatt.de ZBW 12/2020

18 Berufspolitik Kammer Konversation mit Petra Krebs MdL, Bündnis 90/Die Grünen Auf jeden Fall sind Zahnärzte systemrelevant Im März 2021 ist Landtagswahl in Baden-Württemberg. Der Präsident der Landeszahnärztekammer BW, Dr. Torsten Tomppert, lädt im Vorfeld der Wahlen die gesundheits- und sozialpolitischen Sprecherinnen und Sprecher aller Landtagsfraktionen zur Kammer Konversation ein. Als Erste stellte sich Anfang November die sozialpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Petra Krebs MdL, den Fragen von Kammerpräsident Dr. Torsten Tomppert. Im Gespräch ging es nicht nur um standes- und gesundheitspolitische Themen, auch persönliche Aspekte kamen zur Sprache. Dr. Torsten Tomppert: Frau Krebs, vielen Dank für dieses persönliche Treffen. Derzeit ist das keine Selbstverständlichkeit. Arbeiten Sie wegen Corona jetzt eher im Homeoffice oder im Büro? Petra Krebs: Das ist eine Frage, die mich im Moment wirklich beschäftigt. Videokonferenzen finde ich sehr gut, weil ich nicht extra für ein Gespräch von einer Stunde von Wangen im Allgäu nach Stuttgart fahren muss. Das spart mir fünf Stunden Reisezeit. Aber Video ersetzt nicht alles. Ich merke schon, dass der persönliche Aspekt fehlt. Denn häufig werden die zu behandelnden Themen in der Pause oder beim Kaffee in lockerer Runde nochmals aufgegriffen und in einer Art und Weise vertieft, wie es bei Videokonferenzen nicht möglich ist. Die Mischung aus beidem finde ich deshalb nicht schlecht. Und ein Gespräch wie unseres kann man per Video nicht so persönlich führen. Da gebe ich Ihnen Recht, Corona verändert vieles. Die Zahnarztpraxen haben zum Beispiel erhebliche finanzielle Einbußen zu beklagen – eine Folge des drastischen Patientenrückgangs, der zumindest in Baden-Württemberg auch dem politischen Kurs der Landesregierung geschuldet war. Ich erinnere an den § 6a. Warum sind wir Zahnärzte nicht im gleichen Maße wie die Ärzte unter den Schutzschirm genommen worden? Die Gestaltung der Corona-Verordnungen zeigt vor allem, dass die gewünschten Effekte – also die Stärkung des kollektiven Gesundheitsschutzes in Pandemiezeiten – auch mit Nebenwirkungen einhergehen, zum Beispiel branchenspezifischem Unmut. Fakt ist, und das galt vor allem zu Beginn der Pandemie, dass es viele offene Fragen gab und man hier das Vorsorgeprinzip gelten lassen musste. Rückblickend stelle ich schon fest, dass § 6a zu viel Verunsicherung geführt hat. Ein Behandlungsverbot hätte ich ebenso wenig zielführend gefunden. Denn auch in einer Pandemie muss eine zahnmedizinische Versorgung gewährleistet werden. Also wie gesagt, ich kann den Unmut durchaus nachvollziehen, bitte aber auch um Verständnis, dass solche Abwägungen schwierig zu treffen sind. Genauso wie die Frage der Systemrelevanz. Auf jeden Fall sind Zahnärzte systemrelevant! Die Versorgung unserer Zähne halte ich für immens wichtig. Wir haben ja auch beim Tag der Zahngesundheit gehört, welchen Einfluss Parodontose- Behandlungen auf die Mundgesundheit und den gesamten somatischen Bereich haben. Aber ich würde dennoch zu behaupten wagen, dass in der Zahnmedizin viele Extraleistungen abgerechnet werden können. Hier muss man schon abwägen, ob jede zahnärztliche Behandlung in den Extremzeiten einer Pandemie unbedingt nötig und der Situation angemessen ist. Eine ähnliche Problematik hatten wir ja auch bezüglich notwendiger beziehungsweise unnötiger Krankenhausoperationen. Wir stehen vor der Landtagswahl: Was haben die Grünen gesundheitspolitisch im Land vor? Ziel wird es sein, die sektorenübergreifende Versorgung auszubauen und hybride Versorgungsmodelle zu stärken, die den sich wandelnden Gesundheitsbedürfnissen der Patientinnen und Patienten gerecht werden. Das ist die Gestaltungskompetenz der Landespolitik. Da sind auch die Zahnärzte gefragt, damit wir zum Beispiel eine ambulante Versorgung von Pflegebedürftigen leichter und besser hinbekommen. Aus meiner Zeit als Krankenschwester weiß ich, dass es auch stationär oft ein Versorgungsdefizit bei Langzeitpatient*innen gibt. In der Klinik ist vieles wichtiger als der Zahnstein. Aber wenn die Zähne nicht mehr mitmachen, droht der Patientin oder dem Patienten Unterernährung. Hier gibt es klaren Handlungsbedarf. Mein persönlicher Schwerpunkt liegt bei der Entlastung pflegender Angehöriger. Während der ersten Pandemiewelle haben wir in Baden- Württemberg die Versorgung in Krankenhäusern und Praxen ganz gut hinbekommen. Sie haben das meiste abgefedert. Aber wir haben ca. 400.000 pflegebedürftige Menschen in Baden-Württemberg. ZBW 12/2020 www.zahnaerzteblatt.de

Ausgaben des Zannärzteblatt BW

© by IZZ Baden-Württemberg - Impressum - Datenschutz