14 Titelthema Gemeinsames europäisches Verständnis von Freiberuflichkeit Eine Europäische Charta der Freien Berufe verabschieden Die Freien Berufe sind in allen EU-Mitgliedstaaten ein wichtiger Wirtschafts- und Stabilitätsfaktor. Über zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften sie im Durchschnitt. Dennoch fehlt auf europäischer Ebene ein gemeinsames Verständnis von Freiberuflichkeit. Der Berufsstand fordert deshalb schon seit vielen Jahren, eine Europäische Charta der Freien Berufe zu verabschieden, die eine Standortbestimmung der Freiberuflichkeit auf europäischer Ebene vornimmt. In ihrem gesundheits- und binnenmarktpolitischen Positionspapier erneuert die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) ihr Anliegen und empfiehlt, auf die Vorarbeit des EWSA und den Entwurf des Council of European Dentists zurückzugreifen. Die hohe Professionalität und Qualität auf der Basis einer gründlichen Ausbildung und die persönliche Integrität und fachliche Unabhängigkeit sind wesentliche Merkmale des Freien Berufs. Dieses Vertrauensverhältnis wird nicht zuletzt durch die besondere Verschwiegenheitsverpflichtung der Freien Berufe untermauert. Die Freien Berufe sind im Grundsatz ihres Handelns auf die gesamte Gesellschaft ausgerichtet. Konsentierter Entwurf. Schon seit vielen Jahren wird daran gearbeitet und die Empfehlung ausgesprochen, dass die europäischen Institutionen eine EU-Charta der Freien Berufe verabschieden, die auf die speziellen Bedürfnisse von Freiberuflern eingeht, da es bis heute kein einheitliches Verständnis von Freiberuflichkeit in Europa gibt. Im Council of European Dentists (CED) wurde eine solche Charta erarbeitet und europaweit mit den Zahnärzteverbänden der CED-Mitgliedsländer konsentiert. Weitere europäische freiberufliche Dachverbände, nämlich die der Ärzte, der Apotheker, der Veterinäre und der Ingenieure, haben die Charta bereits angenommen. In dem Papier geht es darum, konkrete Forderungen aufzustellen, wie die EU-Gesetzgebung den Erfordernissen der Freien Berufe besser gerecht werden kann. Im Entwurf der EU-Charta der Freien Berufe des CED werden folgende Empfehlungen ausgesprochen: • Die EU-Kommission erkennt den Mehrwert der Freien Berufe für die europäische Gesellschaft an und stellt sicher, dass die Freien Berufe nicht ausschließlich auf Grundlage marktwirtschaftlicher Kriterien beurteilt werden. • Die EU-Kommission nimmt zur Kenntnis, dass eine Entscheidung zur Deregulierung der Freien Berufe, ohne Berücksichtigung aller möglichen Konsequenzen, zu einem Qualitätsrückgang führen kann, wie zum Beispiel im Bereich Gesundheitsdienstleistungen. • Die EU-Kommission respektiert die Selbstverwaltungsstrukturen der Freien Berufe, so wie sie in vielen Mitgliedstaaten existieren. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität haben die Mitgliedstaaten die Freiheit, selbst die Art und Weise der Organisation der professionellen freiberuflichen Strukturen zu wählen. • Die Europäischen Institutionen führen eine Folgenabschätzung über die spezifischen Auswirkungen der Legislativvorschläge für die Freien Berufe vor und nach Annahme der europäischen Gesetzgebung durch. In dieser Hinsicht soll der europäische Gesetzgeber insbesondere die negativen Auswirkungen der bürokratischen Belastung auf die Freien Berufe berücksichtigen. • Die Europäische Union garantiert, dass die von Freien Berufen erbrachten Dienstleistungen individuelle Lösungen auf einer sehr kreativen Grundlage sind, die nicht Gegenstand einer Normung/Standardisierung auf europäischer Ebene sind. • Die Europäische Union garantiert, dass das besondere Vertrauensverhältnis zwischen den Angehörigen der Freien Berufe und ihren Patienten/Klienten/ Kunden vollständig geschützt ist. Manifest des EWSA. Die Bundeszahnärztekammer empfiehlt darüber hinaus, auf die Vorarbeit des Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss (EWSA) zurückzugreifen. Der EWSA beschäftigt sich mit den wesentlichen Fragen zur Gestaltung des zukünftigen Umfeldes der Freien Berufe aktiv und im Sinne des Berufsstandes. Im Dezember 2017 hat der EWSA bereits ein Manifest der Freien Berufe verabschiedet, auf das für die Verabschiedung einer Charta der Freien Berufe ebenso zurückgegriffen werden kann wie auf den Entwurf des CED. » mader@lzk-bw.de ZBW 5/2019 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 15 EuGH zum Thema Honorarordnung Jetzt geht es um die Zukunft der Freien Berufe Die EU nimmt die Honorarordnung der Architekten und Ingenieure unter Beschuss. Nur ein Randproblem? Von wegen. Unter dem Deckmantel des freien Binnenmarktes findet ein systematischer Angriff auf das bewährte System der deutschen Freiberuflichkeit statt. In Deutschland hat das System der Freiberuflichkeit eine lange und bewährte Tradition. Bestimmte Berufsgruppen, die sogenannte Dienste höherer Art erbringen und deren Qualität vom Verbraucher nicht ohne Weiteres beurteilt werden können, unterliegen besonderen Berufspflichten und einer besonderen Berufsaufsicht. Bei Freiberuflern darf nicht das Gewinnstreben im Vordergrund stehen. Kennzeichnend sind vielmehr die Gemeinwohlverpflichtung und die fachlich-unabhängige Beratung oder sonstige Dienstleistung zum Wohle des Auftraggebers. Dies bedeutet, dass ein Anwalt von einer Klage abraten muss, wenn sie offenkundig aussichtslos ist. Auch ein Architekt muss zwar die Vorstellungen des Auftraggebers aufnehmen, sie aber unter Planungsgesichtspunkten optimieren und zum Beispiel auch die städtebauliche Einbindung und öffentliche Interessen berücksichtigen. Es geht um nichts Geringeres als Baukultur und die Qualität unserer gebauten Umwelt. Denn Bauen ist nie nur privat, sondern immer auch öffentlich. Und wer billig plant, baut im Ergebnis meistens teurer. Wie viel die Planung von Gebäuden kostet, regelt im Moment die HOAI, eine verbindliche Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen. Darin sind alle notwendigen Leistungsphasen von der Grundlagenermittlung über Entwurf- und Ausführungsplanung beschrieben. In der Verordnung sind die Planungskosten im Sinne des Verbraucherschutzes transparent und verbindlich an Bausumme und Komplexitätsgrad einer Bauaufgabe gekoppelt. In Deutschland (und früher auch in anderen europäischen Staaten) war und ist es ein guter Grundsatz, dass das „Feilschen“ um Honorare bei hoch qualifizierten Leistungen wie der Planung von Gebäuden und Quartieren nicht im Vordergrund stehen soll, sondern deren Qualität. Der Planer soll sich darauf verlassen können, dass er mit dem ihm gesetzlich zustehenden Mindesthonorar auskömmlich arbeiten kann. Umgekehrt ist der Auftraggeber durch gesetzliche Höchstsätze davor geschützt, keine „Mondpreise“ für Leistungen zu zahlen, deren Art, Umfang und Ergebnis er nur bedingt einschätzen kann. All dies gewährleistet die HOAI. Leider verfolgt die jetzige EU- Kommission hingegen in allen Bereichen eine marktliberale Agenda nach angloamerikanischem Vorbild und hat für die Idee und den Wert der Freiberuflichkeit keinerlei Verständnis. Deshalb greift sie verbindliche Honorarordnungen überall in Europa an und hat, nicht zuletzt durch politischen Druck, fast überall Erfolg damit. Als eine der letzten Honorarordnungen nahm sie bereits vor einigen Jahren die HOAI ins Visier. Die Bundesregierung hat dankenswerterweise nicht nachgegeben und gemeinsam mit Kammern und Verbänden für den Erhalt des etablierten und verbindlichen Preisrechts gekämpft. Als letzten Schritt ist die EU-Kommission nun vor den EuGH gezogen. Der Generalanwalt hat ihr in seinen Schlussanträgen von Ende Februar dieses Jahres bedauerlicherweise recht gegeben. Das finale Urteil wird im Herbst erwartet. Erfahrungsgemäß folgt der EuGH oftmals dem Generalanwalt. Verbindliche Mindest- und Höchstsätze wären damit nicht mehr zulässig, Qualitätsverlust und unberechenbare Preise sind zu befürchten. Nicht nur die nationalen und europäischen Dachverbände der Architekten und Ingenieure, sondern vor allem auch die Interessenverbände der privaten Bauherren, also der Hauptbetroffenen, haben die verbindliche HOAI ausdrücklich unterstützt. Alle, die meinen, dies sei ein Randproblem, verkennen, dass die EU- Kommission unter dem Deckmantel des freien Binnenmarktes einen systematischen Angriff nicht nur, aber insbesondere auf das bewährte System der deutschen Freiberuflichkeit insgesamt fährt. Gestern war es die Gebührenordnung der Steuerberater und der Versandhandel von Arzneimitteln, heute sind es die HOAI und die Steuerberatung als Vorbehaltsaufgabe bestimmter fachlich besonders qualifizierter Berufsgruppen, morgen wird es die Selbstverwaltung der Freien Berufe in einem Kammersystem sein, das als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung erheblich zur staatlichen Entbürokratisierung beiträgt. Der Föderalismus in Deutschland bietet den 16 Bundesländern auf vielen Feldern die Gelegenheit, für sich die jeweils besten Lösungen zu finden. Dieser „Wettbewerb“ hat Deutschland nicht geschadet, im Gegenteil. Trotzdem würde niemand bestreiten, dass Deutschland einen funktionierenden Binnenmarkt hat. Den Subsidiaritätsgrundsatz ernst zu nehmen hat die EU-Kommission offenbar nie gelernt. Gleichmacherei und Plattwalzen unterschiedlicher, in den jeweiligen Ländern gewachsener und bewährter Strukturen scheint das Programm jedenfalls dieser Kommission zu sein, die sich bewusst vor allem als „politische“ begreift. Ob dies die verbreitete Europaskepsis beflügelt? Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt, hat Jacques Delors gesagt. Die Vision eines geeinten Europas war und bleibt grandios. Aber Liebe kann nur dort entstehen und gedeihen, wo die Eigenart der Partner respektiert wird. Es bleibt die Hoffnung, dass die neue Kommission nach den Wahlen zum EU-Parlament im Mai dies besser versteht als die gegenwärtige. Barbara Ettinger-Brinckmann, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus Die Welt vom 25.4.2019 www.zahnaerzteblatt.de ZBW 5/2019
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