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Das Schiedsamt hat gesprochen – was nun?

Ausgabe 12/2018

28 Fortbildung 22.

28 Fortbildung 22. KH-Symposium und Herbsttagung der Bezirkszahnärztekammer Stuttgart Herbstlicher Fortbildungsauftakt Seit 1996 bietet die Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie gemeinsam mit der Bezirkszahnärztekammer Stuttgart und der Wissenschaftlichen Vereinigung für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Stuttgart e. V. jährlich ein wissenschaftliches Symposium für Zahnärzte und Zahnärztinnen an. Am 6. Oktober 2018 war es das 22. KH-Symposium/Herbsttagung der BZK Stuttgart „Zunehmende Risiken im Praxisalltag Antiresorptiva-assoziierte Kiefernekrose und Antikoagulantien der neuen Generation“ in der Reithalle des Hotel Maritim in Stuttgart. 200 Kolleginnen und Kollegen waren der Einladung gefolgt. Auditorium. Die gut frequentierte Reithalle in Stuttgart beim 22. KH-Symposium/ Herbsttagung der BZK Stuttgart. Die zunehmenden Risiken im zahnärztlichen Praxisalltag durch die Medikamentengruppen „Antiresorptiva“ und „neue Antikoagulantien“ waren Themata. Dazu begrüßten Dr. Eberhard Montigel, Vorsitzender der BZK Stuttgart, und Prof. Dr. Dr. Dieter Weingart, Ärztlicher Direktor der MKG-Klinik am Klinikum Stuttgart, das Auditorium und die Referenten. Pathogenese der „MRONJ“. Privatdozent Dr. Dr. Sven Otto von der Ludwig-Maximilians-Universität München ist ein international anerkannter Spezialist für die medikamentenbezogene Kiefernekrose die heute mit „MRONJ“ abgekürzt wird. War dieses Krankheitsbild vor 2003 praktisch unbekannt, hat es sich in den letzten 15 Jahren weltweit verbreitet. Nicht nur die Bisphosphonate, sondern auch andere als Antiresorptiva bekannte Medikamente, die einerseits zur Vermeidung und Behandlung von Skelettmetastasen bei Tumorerkrankungen, andererseits bei der Behandlung der Osteoporose erfolgreich eingesetzt werden, haben unerwünschte Wirkungen auf die Kieferknochen. Sie führen zu freiliegenden nekrotischen Knochenarealen, zu schmerzhaften Entzündungen der Weichteile und können gravierende Folgen wie intra- und extraorale Fisteln, Abszesse, pathologische Frakturen und Verluste von Kieferknochen haben. Privatdozent Otto erläuterte, wie man heute zu erklären versucht, warum diese Nebenwirkung sich gerade an den Kieferknochen manifestiert: Durch die Häufung entzündlicher Erkrankungen der Zähne und des Parodonts und durch die Vielzahl von Eingriffen gerade an den Kieferknochen bilden sich azidotische Milieus, in denen die eigentlich in den Knochen gespeicherten antiresorptiven Medikamente gelöst werden. Sie hemmen dann nicht nur das Remodeling der Knochen, sondern auch zahlreiche andere physiologische Prozesse. Der Typ des Antiresorptivums, die Dosis und die erwähnten lokalen Entzündungen spielen demnach die entscheidenden Rollen in der Pathogenese der „MRONJ“. Allerdings könne so Otto durch sorgfältige Sanierung der Mundhöhle und intensive Mundhygienemaßnahmen vor dem Beginn einer solchen Therapie das Risiko für Patienten ganz erheblich gesenkt werden. Eingriffe während einer laufenden oder stattgehabten Antiresorptiva-Medikation sollten unter bestimmten Kautelen, wie antibiotischer Langzeitprophylaxe, sorgfältiger Vermeidung scharfer Knochenkanten, geringer Knochenexposition und plastischer Deckung der Wunden am besten von ausgewiesenen Fachleuten durchgeführt werden. Kiefernekrosen. Oberarzt Dr. Rolf Bublitz vom Klinikum Stuttgart zeigte, dass das Krankheitsbild „MRONJ“ auch in Stuttgart nicht selten ist. Er analysierte Daten von 120 aktuellen Stuttgarter Patienten, die stationär im Katharinenhospital operativ behandelt wurden und bei denen neben kleineren modellierenden Osteotomien und plastischen Deckungen Kastenresektionen der Kiefer oder gar ausgedehnte Kontinuitätsresektionen erforderlich wurden, um die Nekrosenbildungen zu stoppen. Neue orale Antikoagulantien. Prof. Dr. Dr. Max Heiland, Ärztlicher Direktor der Mund-Kiefer- Gesichtschirurgie an der Charité in Berlin, referierte über dentoal- ZBW 12/2018 www.zahnaerzteblatt.de

Fortbildung 29 veoläre Eingriffe bei Patienten unter Antikoagulantien-Medikation bzw. Thrombozytenaggregationshemmern. Er half den Zuhörern, die Medikamente in solche einzuteilen, welche die Thrombozyten hemmen, solche, welche mehrere (Vitamin-K-abhängige) Gerinnungsfaktoren hemmen und diejenigen, welche nur einzelne Gerinnungsfaktoren hemmen. Die Letzteren werden als neue orale Antikoagulantien (NOAK) bezeichnet: Sie haben eine kurze Halbwertszeit, sind nicht von der Ernährung in ihrer Wirkung beeinflusst und werden nur einmal am Tag gegeben. Sie benötigen kein laborchemisches Monitoring und es gibt Anhalte dafür, dass sie in bestimmten Indikationen sicherer wirken als herkömmliche Präparate. Anhand der aktuellen S3-Leitlinie sprach Prof. Heiland für die einzelnen Substanzen detaillierte Empfehlungen für operative Eingriffe aus. Bei Cumarinderivaten (z. B. Marcumar ® ) und Eingriffen im komprimierbaren Bereich (z. B. einer Alveole) soll die Antikoagulation möglichst fortgeführt werden und der INR-Wert bekannt sein; bei hohem Blutungsrisiko und fortgeführter Therapie sollte eine Überweisung in eine Fachklinik erfolgen; die Wirkung der Cumarine soll für den operativen Eingriff im unteren therapeutischen Bereich gehalten werden (meist Zielwert INR 2 bis 3). Typisch zahnärztliche-chirurgische Eingriffe, wie Extraktionen, Osteotomien und Implantationen sollen also unter laufender Therapie mit Vitamin- K-Antagonisten ohne ein Bridging stattfinden. Nur bei größeren Eingriffen (Mundboden, Sinus, retromaxillär) kann eine Umstellung auf Heparin sinnvoll sein. Bei Dabigatran (Pradaxa ® ) sollten einfache Eingriffe unter Fortführung oder Unterbrechung der Medikation für einen Tag erfolgen, elektive Eingriffe sollten nicht früher als 12 bis 24 Stunden nach der letzten Einnahme stattfinden und bei hohem Blutungsrisiko ist die Überweisung an den Facharzt indiziert. Ebenso sollten bei den sog. Xa-Inhibitoren, also Rivaroxaban (Xarelto ® ), Apixaban (Eliquis ® ), Gastgeber und Referenten (v. l.): Dr. P. Scharer, Klinikum Stuttgart, PD Dr. Dr. S. Otto, Univ. München, Dr. E. Montigel, BZK Stuttgart, Prof. Dr. Dr. D. Weingart, Klinikum Stuttgart, Prof. Dr. Dr. M. Heiland, Univ. Berlin, und Dr. R. Bublitz, Klinikum Stuttgart. Edoxaban (Lixiana ® ), einfache Eingriffe im komprimierbaren Bereich unter Fortführung der Medikation bzw. elektive Eingriffe 12 bis 24 Stunden nach der letzten Einnahme durchgeführt werden. Bei hohem Blutungsrisiko oder zu kurzer Zeit nach der letzten Einnahme (d. h. weniger als 12 Stunden) ist die Überweisung an den Facharzt sinnvoll. Die Fortführung der Medikation postoperativ ist sinnvoll, wenn in der „individuellen postoperativen Beobachtungszeit“ keine Blutung aufgetreten ist. Bei Acetylsalicylsäure gilt: Fortführung der ASS-Medikation bei einfachen zahnärztlich-chirurgischen Interventionen. Bei den anderen Thrombozytenaggregationshemmern, wie Clopidogrel und Prasugrel, sollte bei einfachen zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen und einer Monotherapie die Medikation ebenfalls fortgeführt werden; hingegen sollte bei hohem Blutungsrisiko die Behandlung durch Spezialisten erwogen werden. Dahingegen sollte bei einer dualen oder Triple-Therapie vom Zahnarzt auf gar keinen Fall eigenmächtig eines der Medikamente abgesetzt werden. Bei dualer oder Triple-Therapie sind elektive Eingriffe zu verschieben, bis keine doppelte Antikoagulation mehr nötig ist; ansonsten sollten dringende Eingriffe unter doppelter Antikoagulation oder Triple-Therapie beim Facharzt und ggf. unter stationären Bedingungen stattfinden. Nachblutungen im Notdienst. Oberarzt Dr. Philip Scharer stellte aus Sicht des Klinikums Stuttgart das Problem der Nachblutungen im zahnärztlichen Notdienst dar. Er zeigte, dass bei der überwiegenden Zahl der Nachblutungspatienten, welche den Notdienst im Klinikum im vergangenen Jahr aufsuchen mussten, gar keine Wundversorgung erfolgt war. Ein überhöhter Blutdruck, fehlende Wundnähte und das Unterlassen hämostyptischer Wundversorgungen bei Risikopatienten führten zu den Blutungen, die für die Betroffenen sehr unangenehm sind. Kollege Scharer gab wichtige Hinweise zur richtigen Versorgung der Wunden in der Zahnarztpraxis und zur Beherrschung von Nachblutungskomplikationen in der Praxis. Er zeigte aber auch, dass Zwischenfälle, wie Einblutungen in den Mundboden bei Implantationen, zu lebensgefährlichen Zuständen führen können. Diese Patienten bedürfen des sofortigen Transports mit dem Rettungswagen in den Schockraum des Klinikums. Hier sind alle Verzögerungen für den Patienten lebensgefährlich. Die Diskussion der Vorträge und die Rückmeldungen der Zahnärzteschaft nach der Veranstaltung zeigten, dass einmal wieder wichtige Themen komprimiert vermittelt werden konnten. Das 23. Symposium ist bereits in Planung. OA Dr. Rolf Bublitz Fotos: Frank Kleinbach www.zahnaerzteblatt.de ZBW 12/2018

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