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Corona – ein Jahr nach dem ersten Lockdown

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Ausgabe 4/2021

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44 Fortbildung Foto: AdobeStock/studio@lafoto.lv Betreuung älter werdender Patienten Worauf sich Praxisteams einstellen sollten Einer der schönsten Aspekte unseres Berufs ist es wohl, dass wir Patient*innen im Laufe ihres Lebens über lange Zeiträume hinweg begleiten. Oft kommen sogar mehrere Generationen einer Familie zu uns. Für die Jüngsten von ihnen sind wir inzwischen mindestens genauso gut gerüstet wie für die Patientengruppe bis zu den „Silver Agern“. Doch spätestens dann tauchen in der Praxis Herausforderungen auf, die weit über die klassische zahnmedizinische Versorgung hinausgehen. Immer häufiger erleben wir, wie sich unsere Patient*innen mit zunehmendem Alter verändern und gleichzeitig wird deutlich wie wichtig es ist, als Team optimal darauf eingestellt zu sein. Regelmäßiges Recall, ein ordentliches Erscheinungsbild, strukturierte und interessierte Konversation: Was bei unseren uneingeschränkt fitten Patient*innen Routine ist, kann für alternde Menschen zur Herausforderung werden. Deshalb können nicht eingehaltene Termine bei sonst verlässlichen Patient*innen, plötzliche Verschlechterung des allgemeinen Pflegezustandes oder irritierende Äußerungen wie „Ich muss jetzt aber meine Tochter vom Kindergarten abholen“ erste Alarmzeichen sein. Für sie sollten wir als Praxisteams nicht nur sensibilisiert, sondern auch sensibel sein. Denn die spontane Reaktion darauf ist ein Schlüsselmoment für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient*innen. Holen wir die Menschen in solchen Augenblicken dort ab, wo sie gerade (gedanklich) sind, bewahren wir uns damit den Zugang zu ihnen. Erleben sie hingegen Ablehnung, Widerspruch oder werden durch unbedachte Kommentare im schlimmsten Fall der Lächerlichkeit preisgegeben, ist das nicht selten das Ende der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Natürlich kann hinter einer Verhaltensänderung auch „nur“ eine vorübergehende Exsikkose stecken. Doch auch dann sollten wir unsere Verantwortung wahrnehmen und beispielsweise den behandelnden Hausarzt oder einen Internisten für eine weiterreichende Anamnese mit ins Boot holen. Drei Gruppen von Patient*innen. Auf den ersten Blick scheinen vielleicht die physisch und psychisch fitten Senioren der Gruppe 1 nicht den Eindruck zu erwecken, ein besonderes Konzept der Ansprache oder der Behandlung zu benötigen. Das trifft allerdings nur in Teilen zu. Schließlich sind sie die Patient*innen, bei denen wir im Rahmen regelmäßiger Termine insbesondere über längere Zeiträume hinweg eventuelle Veränderungen bemerken können. Deshalb sind hier geschulte Augen und Ohren des gesamten Teams gefragt. Nur so können wir uns als aktiver Teil eines präventiven Netzwerks verstehen und auch agieren, indem wir uns unter Umständen mit Angehörigen oder/und behandelnden Kolleg*innen (Hausärzte, Internisten, etc.) in Verbindung setzen. Für die zahnmedizinische Betreuung dieser Altersgruppe sollte im Sinne der nachhaltigen Prävention dringend der Fokus auf den entsprechenden Mundhygienemaßnahmen liegen. UPT und das Recall sollten unbedingt auf den Patient*innen angepasst und mit ihm abgestimmt werden. Hilfreich können hier gezielte Aufklärungsgespräche sein, in denen der Kontext ZBW 4/2021 www.zahnaerzteblatt.de

Fortbildung 45 von Präventionsmaßnahmen und der individuellen, perspektivischen Zahnsituation deutlich wird. Wir legen übrigens großen Wert darauf, unsere Patient*innen in diesen, an das Lebensalter angepassten, Aufklärungsgesprächen über den Zusammenhang von Mund- bzw. Zahnhygiene und koronaren Herzerkrankungen, Diabetes und dem gesamten Immunsystem hinzuweisen. Oft zeigt sich das Verständnis dafür als große Motivation für die Übernahme der Selbstverantwortung. Nehmen wir nun aber wieder den aktuellen Zustand und mögliche Veränderungen des Patient*innen in den Fokus: Grundsätzlich sollten wir schon aufmerksam werden, wenn der Patient bei einfachen Fragen auffällig reagiert. In meiner Praxis nutze ich in einem solchen Fall standardmäßig vier Fragen zur Kognition: Wann sind Sie geboren? Wie alt sind Sie? Wissen Sie, wo Sie sind? Wo wohnen Sie? In Einzelfällen ergänze ich diese Fragen auch durch motorische Tests wie dem Zusammenbauen einer elektrischen Zahnbürste. Eine übergeordnete Rolle für alle drei Gruppen spielt eine gründliche und immer aktualisierte Medikamentenanamnese. So lassen wir die Patient*innen regelmäßig ihren Anamnesebogen neu ausfüllen und bitten um die aktuelle Medikamentenliste beziehungsweise fordern sie bei behandelnden Kolleginnen und Kollegen an. Hier zeigt sich oft eine der besonderen Herausforderungen: Viele der älteren Patient*innen bekommen nicht nur eine Vielzahl unterschiedlicher Medikamente von verschiedenen Ärzten, sondern betreiben zusätzliche Selbstmedikation (OTC- Artikel). In der Regel sind die Patient*innen dieser Gruppe 1 jedoch uneingeschränkt behandlungsfähig. Daher betrachten wir die folgenden Erläuterungen zur Zahnmedizinischen Funktionellen Kapazität im Kontext der folgenden beiden Patientengruppen 2 und 3. Zahnbehandlung. Mit zunehmendem Alter der Patient*innen tauchen in der Praxis Herausforderungen auf, die weit über die klassische zahnmedizinische Versorgung hinausgehen. Funktionelle Kapazität. Um für die älter werdenden Patient*innen gut gerüstet zu sein, bedarf es deshalb nicht nur eines neuen Blickwinkels, sondern auch spezieller Handlungskonzepte für das gesamte Praxisteam. Die richten sich danach, wie sich die älteren Patient*innen darstellen. Hierzu klären wir individuell die Zahnmedizinische Funktionelle Kapazität nach Prof. Nitschke und Hopfenmüller (s. Tabelle 1). Diese beinhaltet drei Kriterien, die bei jedem Patient*innen abgeschätzt werden müssen: a) Therapiefähigkeit: Kann eine Standardtherapie durchgeführt werden oder liegen Einschränkungen vor? b) Mundhygienefähigkeit: Kann ein/e Patient*in einer individualprophylaktischen Sitzung folgen? Sind die kognitiven und motorischen Fähigkeiten zur Umsetzung vorhanden? c) Eigenverantwortlichkeit: Kann die/der Patient*in selbstständig entscheiden, dass er den Zahnarzt aufsuchen will? Ist sie/er fähig, die Therapie mitzubestimmen? Kann sie/er den Zahnarztbesuch selbstständig organisieren? Foto: Dr. Ramm Belastbarkeitsstufe Therapiefähigkeit Mundhygienefähigkeit Eigenverantwortlichkeit 1 Normal Normal Normal 2 Leicht reduziert Leicht reduziert Normal 3 Stark reduziert Stark reduziert Reduziert 4 Keine Keine Keine (Nach Nitschke, I. , Hopfenmüller, W.: Die zahnmedizinische Versorgung älterer Menschen. In: Mayer, K. U., Baltes, P. B. (Hrsg.): Die Berliner Altersstudie. Akademieverlag, Berlin 1996, S. 429-448) Belastbarkeitsstufen und Zusammenhänge. Die Zahnmedizinische Funktionelle Kapazität (FK) nach Prof. Nitschke und Hopfenmüller beinhaltet drei Kriterien, die bei jedem Patienten abgeschätzt werden müssen (Tabelle 1). www.zahnaerzteblatt.de ZBW 4/2021

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