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Corona – ein Jahr nach dem ersten Lockdown

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Ausgabe 4/2021

32 Berufspolitik Kammer

32 Berufspolitik Kammer Konversation mit Kai Rosenberger Gemeinsam gegen die Bürgerversicherung Der Landesvorsitzende des BBW Beamtenbund Tarifunion, Kai Rosenberger, vertritt die Interessen der Beamt*innen im Landesdienst und in der Kommunalverwaltung und damit rund 140.000 Mitglieder. Im Rahmen der Kammer Konversation tauschte er sich mit dem LZK-Präsidenten Dr. Torsten Tomppert über digitale Hürden im Land aus, die durch die Coronapandemie deutlich sichtbar werden. Das Hamburger Modell als Türöffner zur Bürgerversicherung lehnt Rosenberger ab und betont die wichtige Rolle der Privaten Krankenversicherung für das Funktionieren des dualen Gesundheitssystems, das im Jahr 2020 seine Stärke unter Beweis gestellt hat. Dr. Torsten Tomppert: Herr Rosenberger, welche Themen bewegen Sie als Landesvorsitzenden aktuell am meisten? Kai Rosenberger: Im Fokus steht neben den Koalitionsverhandlungen nach der Landtagswahl natürlich die öffentliche Verwaltung in Zeiten des Lockdowns. Hier werden die digitalen Versäumnisse der Politik in den letzten Jahren schonungslos offengelegt. Beispielsweise ist selbst in Ballungszentren wie Stuttgart oder Tübingen die Netzabdeckung teilweise so schlecht, dass in Videokonferenzen das Bild ruckelt oder stehenbleibt, weil wir nicht flächendeckend 4G haben. Wie sieht es denn generell in Landes- und Kommunalverwaltungen aus? Können Beamtinnen und Beamte im Homeoffice arbeiten? Dies ist tatsächlich sehr unterschiedlich. Die Ministerien sind am besten aufgestellt. Hier ist es meist kein Problem, wenn die Beschäftigten größtenteils von zuhause arbeiten. In den untergeordneten Bereichen der Landesverwaltung ergibt sich dagegen ein diffuses Bild. In der Finanzverwaltung gibt es viele Bereiche, in denen die Telearbeit sehr stark ausgebaut worden ist und die Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten. Dagegen ergibt dies bei Polizei und Justiz auf Dauer wenig Sinn. In Schulen ist zwar das Homeschooling die derzeit überwiegende Form des Unterrichts, doch fehlt es hier noch an dienstlicher Hardware und vielem anderen mehr. Auch bei Landratsämtern und Kommunen ist das Bild sehr unterschiedlich. Wir haben Behörden, die ihre Beschäftigten vorbildlich unterstützen, und wenige Landratsämter und vor allem kleinere Kommunen, die Homeoffice nur ausnahmsweise und nur unter strengen Voraussetzungen ermöglichen. Es soll sogar vorkommen, dass die Beschäftigten die erforderliche Hardware selbst anschaffen müssen. Das sind aber glücklicherweise wenige Ausnahmen. Durch Corona wurde vor allem der Öffentliche Gesundheitsdienst stark gefordert. Das ist richtig. Die Gesundheitsämter sind personell deutlich unterbesetzt und oft auch die Leidtragenden, was unseren Rückstand bei der Digitalisierung angeht. Teilweise konnte man auch in den Medien lesen, dass manche noch mit dem Faxgerät kommunizieren müssen. Warum gibt es trotz des Erfolgs unseres dualen Gesundheitssystems während der Coronapandemie wieder Bestrebungen, mit der Bürgerversicherung ein Einheitssystem zu errichten? Unser Gesundheitssystem gilt als eines der weltweit besten. Seit Jahrzehnten gibt es einen positiven Wettstreit zwischen der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung, die um die besten Leistungen für ihre Mitglieder konkurrieren. Nicht selten hat erst eine der beiden Säulen eine neue Leistung eingeführt und die andere Säule hat dann entsprechend nachgezogen. Im Gegensatz zu Deutschland hat Großbritannien mit dem National Health Service ein staatliches Gesundheitssystem, welches nicht über Krankenkassenbeiträge, sondern über Steuereinnahmen finanziert wird. Während der Pandemie zeigten sich eindeutige Nachteile der britischen Bürgerversicherung. Anders als dort kam es in Deutschland bislang zu keiner Überlastung der Krankenhäuser oder der Intensivbetten und auch die Todeszahlen durch das Coronavirus sind bei uns deutlich niedriger als im Vereinigten Königreich. Die deutschen Privatversicherten generieren im Verhältnis zu den gesetzlich Krankenversicherten einen sogenannten Mehrumsatz in Höhe von ca. 13 Milliarden Euro pro Jahr, der unserem gesamten Gesundheitssystem zugutekommt. Dieser Mehrumsatz, der umgerechnet auf alle Arztpraxen jährlich mehr als 50.000 Euro je Praxis bedeutet, garantiert in Deutschland die Finanzierung von medizinischer Infrastruktur, zum Beispiel von Röntgengeräten oder MRTs, die allen Bürgerinnen und Bürgern nutzen. ZBW 4/2021 www.zahnaerzteblatt.de

Berufspolitik 33 Eine Bürgerversicherung, die von ihren Förderern zumindest gefühlt für mehr Gerechtigkeit sorgen würde, ist rein ideologisch begründet und würde unserem Gesundheitssystem diese Mehrumsätze entziehen und es dadurch schwächen. Das System würde deutlich leiden. Alternativ müssten die weggebrochenen Mehrumsätze durch höhere Krankenversicherungsbeiträge zur Bürgerversicherung oder durch Steuermittel kompensiert werden und auch dann wäre noch kein Vorteil für das System erreicht. Im Videogespräch. Kai Rosenberger, Landesvorsitzender des BBW - Beamtenbund Tarifunion, und der LZK-Präsident Dr. Torsten Tomppert sind sich einig in der Ablehnung der Bürgerversicherung. Foto: LZK BW Beamte und ihre Familienangehörigen sind meist über die Beihilfe und ergänzend über eine private Krankenversicherung (PKV) abgesichert, nur wenige freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die niedrigeren Beiträge in der GKV gelten als Vorteil, der gesetzliche Schutz hat aber meist reduzierte Leistungen, zum Beispiel für Zahnersatz oder die Professionelle Zahnreinigung. Zudem zahlen freiwilligversicherte Beamte ihren vollen Beitrag selbst; Privatversicherte erhalten vom Land einen Arbeitgeberanteil. Um diese „Gerechtigkeitslücke“ zu schließen, erhalten GKV-versicherte Beamte im sogenannten Hamburger Modell einen pauschalen Zuschuss. Wie stehen Sie dazu? Für das Hamburger Modell spricht laut seinen Befürwortern die Wahlfreiheit. Dies ist mitnichten so; es handelt sich um eine echte Mogelpackung. Das Hamburger Modell lässt ausschließlich den Wechsel von der PKV in die GKV zu, nicht jedoch umgekehrt. Echte Wahlfreiheit sieht für mich anders aus. Die politischen Befürworter finden sich bei den Grünen, der SPD und den Linken. Alle drei Parteien machen keinen Hehl daraus, dass ihr langfristiges Ziel eine Bürgerversicherung ist. Das Hamburger Modell, welches kurz- bis mittelfristig für das Land sogar zu deutlichen Mehrkosten führen würde, dient diesen Parteien als Türöffner und Wegbereiter für die ideologisch gewollte Bürgerversicherung. Zudem sind wir der Ansicht, dass eine pauschalierte Beihilfe gar nicht gesetzeskonform ist. Auch die Zahnärzteschaft möchte die Fortführung des dualen Systems, das hervorragend funktioniert. Sehen Sie denn Verbündete im Kampf gegen die Einführung des Hamburger Modells in Baden-Württemberg? Wir haben schon feste Zusagen von CDU und FDP, dass mit ihnen kein Hamburger Modell kommt und auch keine Bürgerversicherung. Aber auch in den anderen Parteien gibt es vernünftige Menschen, die Bedenken gegenüber dem Hamburger Modell haben. Das wird sehr spannend, auch mit Blick auf die Verhandlung der Koalitionsverträge nach der Wahl. Welche Angebote können Sie sich denn für Beamtinnen und Beamte vorstellen, die in der PKV teurere Verträge abschließen müssen, etwa weil sie Vorerkrankungen haben? Hier möchte ich ausdrücklich den Verband der Privaten Krankenversicherung loben. Noch bis Ende März gab es in Deutschland eine erweiterte Öffnungsaktion des PKV-Verbands. Jede Beamtin und jeder Beamte, die/der GKV-versichert war, hatte bis zum 31. März 2021 die Möglichkeit in die PKV zu wechseln. Dies galt erstmals auch für Beamtinnen und Beamte, die nach dem 31. Dezember 2004 verbeamtet worden sind. Unabhängig von Schwerbehinderungen, chronischen Erkrankungen oder anderen Vorerkrankungen verpflichteten sich die PKV-Unternehmen dazu, keine Leistungsausschlüsse vorzunehmen und den Risikozuschlag auf 30 Prozent zu begrenzen. Aus unserer Sicht ist dies ein faires Angebot und ich habe oft ermuntert, das auch zu nutzen und zu günstigen Konditionen in die PKV zu wechseln. Auch wir Zahnärztinnen und Zahnärzte haben von den Hygienezuschlägen profitiert, welche die PKV wegen der durch Corona gestiegenen Kosten erstattet. Von der GKV kam gar nichts. Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihre beruflichen und privaten Pläne umsetzen können. Vielen Dank, für das interessante Gespräch! Zur Person Kai Rosenberger BBW - Beamtenbund Tarifunion - Landesvorsitzender seit Dezember 2017 - 52 Jahre, Single www.zahnaerzteblatt.de ZBW 4/2021

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