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Corona – ein Jahr nach dem ersten Lockdown

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Ausgabe 4/2021

16 Titelthema Impfungen

16 Titelthema Impfungen gegen Corona Diese Länder liegen vorne Foto: Imago/UPI Photo Im Vergleich zu anderen Ländern liegt Deutschland beim Impftempo deutlich zurück. Bislang (Stand 9. März) haben erst 5,2 Millionen Menschen mindestens eine Impfdosis erhalten, das sind rund sechs Prozent der Bevölkerung. Seit in Großbritannien Anfang Dezember weltweit der erste Corona-Impfstoff zugelassen wurde, impfen die Brit*innen in einem regelrechten Marathon. US-Präsident Biden versprach bei seinem Amtsantritt, dass in den ersten 100 Tagen seiner Regierung 100 Millionen Amerikaner*innen eine Impfung erhalten und mehr als die Hälfte ist schon geschafft. In Israel ist bereits mehr als die Hälfte der Bevölkerung geimpft. Warum geht es mit den Impfungen in anderen Ländern schneller voran als in Deutschland? Seit dem 27. Dezember wird in Deutschland gegen COVID-19 geimpft. Im Vergleich zu vielen anderen Staaten verläuft die Impfkampagne schleppend und sorgt für viel Kritik. Die Probleme sind vielfältig und haben unterschiedliche Gründe. Zum einen hat Deutschland für eine schnelle Impfung der deutschen Bevölkerung nicht genügend Impfstoff. Dies liegt an der Bestellstrategie der Bundesregierung, die letzten Sommer nicht genug Impfstoff auf Risiko bestellt hat im Gegensatz zu Ländern wie USA oder Großbritannien. Die Verträge mit AstraZeneca, aber auch mit Pfizer wurden deutlich später abgeschlossen. Hinzu kommen Lieferschwierigkeiten der Hersteller. Zudem wird das Logistik-Management stark kritisiert, da es keine einheitliche logistische Lösung aus einer Hand für ganz Deutschland gibt, sondern jedes Bundesland einzeln die Verteilung des Impfstoffes organisieren muss und dies nicht optimal läuft. Aber auch das Vorgehen der Bundesländer bei den Impfungen sorgt für Diskussionen, da die Priorisierung der Ständigen Impfkommission (STIKO) regional unterschiedlich umgesetzt wird und teilweise Möglichkeiten fehlen zur Umsetzung der Impfreihenfolge. Israels Impfstrategie. Israel liegt weltweit an erster Stelle bei den Impfungen gegen das COVID- 19-Virus. Während es in vielen Ländern Lieferengpässe gibt, hat Israel mehr Impfstoff als benötigt wird. Über fünf Millionen Israelis haben Massenimpfzentren. Bereits zu Beginn der Impfkampagne wurde die Pais Arena in Jerusalem in ein Impfzentrum umgewandelt. seit Beginn der Impfkampagne am 20. Dezember die erste Impfdosis erhalten, das ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung. 3,9 Millionen Menschen erhielten bereits die zweite Dosis. Dass sich der Staat so früh große Impfstoffmengen sichern konnte, liegt an den Vertragsbedingungen, die Israel mit den Herstellern ausgehandelt hat. Zum einen zahlt Israel nach Medienberichten deutlich mehr für die Impfdosen von BioNTech/Pfizer, angeblich rund 23 Euro pro Dosis im Vergleich zu zwölf Euro in der EU. Außerdem übernahm der israelische Staat die Produkthaftung, während die EU großen Wert darauflegte, dass die Hersteller BioNTech und Pfizer für ihre Produkte die Produkthaftung übernehmen. Vor allem aber vereinbarte die israelische Regierung mit den Impfstoffherstellern, dass Israel wöchentlich Daten aus der Impfkampagne liefert. Dazu gehören Infektions- und Impfzahlen, aber auch die demografischen Angaben der Patient*innen wie zum Beispiel Alter und Geschlecht. Die Daten werden laut den israelischen Behörden anonymisiert zu Pfizer geschickt. So erhalten die Pharmakonzerne dank des digitalisierten Gesundheitssystems nicht nur schnell und verlässlich Daten, sondern auch mehr Daten, als sie aus jeder Studie erhalten würden. Jede*r Bürger*in in Israel muss Mitglied in einer der vier Krankenkassen sein, die selbst Polikliniken betreiben. Die Impfkampagne läuft sowohl über diese Kliniken als auch über Krankenhäuser und speziell eingerichtete Impfzentren, an sieben Tagen die Woche. Diese Informationen sind für die Pharmakonzerne von unschätzbarem Wert. Im Gegenzug verpflichteten sich die Impfstoffhersteller, Israel so lange mit Impfstoff zu versorgen, bis im Land eine Herdenimmunität erreicht ist. Großbritannien. Auch in Großbritannien läuft die Impfkampagne überaus gut. Dort wurden schon ZBW 4/2021 www.zahnaerzteblatt.de

Titelthema 17 mehr als 23 Millionen Impfstoff-Dosen verabreicht. Das Land hat sich zum Ziel gesetzt, allen Mitgliedern von Risikogruppen und Personen über 50 bis Anfang Mai eine erste Impfdosis zu verabreichen. Damit steht Großbritannien sehr viel besser da als die europäischen Nachbarn. Dieser Erfolg kommt nicht von ungefähr. Das Land hat schon früh begonnen, die Impfkampagne zu planen und dabei hat die Regierung keine Kosten gescheut. Laut Medienangaben hat Großbritannien seit Beginn der Pandemie 280 Milliarden Pfund im Zusammenhang mit dem Coronavirus ausgegeben dies sind 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Fast 12 Milliarden Pfund gingen in den Erwerb, die Herstellung und den Vertrieb von Impfstoffen. Dabei ist die Regierung Johnson durchaus auch Risiken eingegangen. Britische Behörden haben schon früh 367 Millionen Dosen der sieben aussichtsreichsten Impfstoffkandidaten erworben, der Vertrag mit AstraZeneca wurde drei Monate vor dem der EU unterzeichnet. Bereits im April 2020 wurde eine „Impfstoff-Taskforce“ ins Leben gerufen, die die Risikokapitalunternehmerin Kate Bingham leitete. Die Biochemikerin hat es schneller und effizienter als die EU-Kommission geschafft, in großer Menge Vakzine zu bestellen. Auch die medizinische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel in Großbritannien spielte eine wichtige Rolle. Sie beschleunigte den Zulassungsprozess der Impfstoffe, indem sie Prozesse, die normalerweise hintereinander ablaufen, zeitgleich ablaufen ließ. Dadurch konnte der Impfstoff von BioNTech/Pfizer bereits am 2. Dezember zugelassen werden. Die Logistik wurde mithilfe des Militärs organisiert und dank der zentralistischen Struktur und Verteilung über den Nationalen Gesundheitsdienst kann der Impfstoff zügig in die einzelnen Regionen verteilt werden. Geimpft wird nicht nur in den großen Impfzentren auf Sportplätzen oder in Shopping-Zentren sondern parallel auch in Hausarztpraxen und Apotheken. Impfungen gegen das Coronavirus (COVID-19) je 100 Einwohner Israel Vereinigte Arab. Emirate Großbritannien Bahrain USA Chile Serbien Dänemark Marokko Deutschland 9,7 12,8 12,1 Anzahl der verabreichten Einzel-Impfdosen gegen das Coronavirus (COVID-19) je 100 Einwohner weltweit. Gezählt wurde jede Impfdosis einzeln, oftmals sind jedoch zwei Impfungen nötig für den vollständigen Schutz vor COVID-19 (Stand 9. März). Quelle: Our world in Data Coronaimpfungen. Israel liegt mit 103 Impfungen je 100 Einwohner an erster Stelle bei der Schnelligkeit des Impfens. Erst mit deutlichem Abstand folgen die Vereinigten Arabischen Emirate und Großbritannien. USA. In den USA laufen die Impfungen ebenfalls in rasantem Tempo. Anfang März verkündete Präsident Biden: „Wir sind auf dem besten Weg, jeden Amerikaner bis Ende Mai zu impfen“. Ein Grund, warum die USA die Impfungen so schnell und effizient durchführen können, liegt in der Politik der Trump-Regierung. Frühzeitig wurden Milliardenbeträge in die Entwicklung von Impfstoffen gesteckt und erhebliche Mengen der beiden sich damals noch im Entwicklungsstadium befindlichen Wirkstoffe von Moderna und BioNTech eingekauft. Die USA sicherten sich bereits im vergangenen Juli 600 Millionen Dosen des BioNTech-Impfstoffs, obwohl zu der Zeit noch nicht klar war, wie wirksam die BioNTech- und Moderna-Lösungen sein würden. Währenddessen organisierte die EU- Kommission erst die Kaufverträge für alle Mitgliedstaaten und setzte dabei auf mehrere Impfstoffe. Dass der ehemalige US-Präsident nicht auf die vielfältigen Interessen und die langsame Bürokratie eines Staatenverbunds wie der Europäischen Union Rücksicht nehmen musste, gereichte den USA zum Vorteil. Die neuen Impfstoffe wurden von den US-Behörden auch schneller freigegeben als in der Europäischen Union. Der BioNTech-Impfstoff 30,2 26,6 25,7 13,1 35,0 63,9 103,7 wurde am 11. Dezember durch die zuständige Food and Drug Administration autorisiert. Die Autorisierung durch die EU-Kommission erfolgte erst zehn Tage später. Bei der Herstellung der Impfstoffe in den amerikanischen Produktionsstätten von Pfizer/BioNTech und Moderna gab es bisher keine Probleme, während AstraZeneca deutlich weniger Impfstoffdosen ausliefern will als zuvor vereinbart. Bei der Verteilung des Impfstoffs hilft das Verteidigungsministerium und auch Nationalgardisten sowie der Katastrophenschutz sind im Einsatz. Pensionierte Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen verstärken die Impftruppe. In kürzester Zeit wurden Massenimpfzentren aufgebaut wie z. B. auf einem Parkplatz in Maryland, wo täglich 4000 Impfungen vorgenommen werden die Menschen können dafür im Auto sitzen bleiben. Im ganzen Land gibt es solche Impfstellen in Kongresszentren, Football-Stadien, sogar in Disneyland. Dazu kommt ein engmaschiges Netz von Apotheken, medizinischen Gemeindezentren und Kliniken, wo mit und ohne Termin geimpft wird. Gabriele Billischek Grafik: IZZ; pixabay/Alexandra Koch www.zahnaerzteblatt.de ZBW 4/2021

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