12 Titelthema Das ZBW-Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Cichutek, Präsident des RKI Erkenntnisgewinn wächst mit Impfeinführung In Deutschland überwacht das Paul-Ehrlich-Institut die Sicherheit von Impfstoffen und biomedizinischen Arzneimitteln. Bereits seit dem Jahr 2009 ist Prof. Dr. Klaus Cichutek Präsident des Instituts. Dem Zahnärzteblatt Baden-Württemberg gab der Biochemiker und Experte für HIV und DNA-Vektorimpfstoffe klare Antworten auf wichtige Fragen. ZBW: Welche Erfahrungen mit genbasierten Impfstoffen liegen der aktuellen Forschung vor? Prof. Dr. Klaus Cichutek: Es gibt Erfahrungen im Bereich der Immuntherapie in der Onkologie, aber auch im Bereich der präventiven Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten. Bei den mRNA-Tumorimpfstoffen hat das Paul-Ehrlich-Institut bisher 29 klinische Prüfungen genehmigen können, von denen einige (Phase 1 oder 2) bereits abgeschlossen sind. 17 davon sind derzeit aktiv oder befinden sich in der Begutachtung, neun davon betreffen die Phasen 2 und 3. Erste Zulassungen von Vektorimpfstoffen gegen Infektionskrankheiten gab es schon vor COVID-19, nämlich zwei Impfstoffe gegen Ebola als Prime-Boost- Kombination und einer gegen das Dengue-Fieber. Bei den mRNA-Impfstoffen ist Comirnaty der erste zugelassene Impfstoff, aber es gab schon viele Projekte von mRNA-Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten, die es zum Teil auch bis in die ersten Phasen der klinischen Prüfungen geschafft haben. Das waren beispielsweise Impfstoffe gegen Tollwut, aber auch gegen Influenza und SARS-Coronavirus von 2003, vor allem gab es Projekte mit mRNA-Impfstoffen gegen das MERS-Coronavirus seit 2012. Das sind die Projekte gewesen, die ganz wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Entwicklung der COVID-19-Impfstoffe so schnell und erfolgreich vorangegangen ist. Sind die neuen mRNA-Impfstoffe tatsächlich ausgereift? Sie sind ausgiebig nichtklinisch und an mehr als 10.000 Probanden klinisch geprüft worden – aber dennoch nimmt der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn mit der COVID-19-Impfeinführung nochmal erheblich zu. Optimierte Verfahren. Mehr Proband* innen und mehr Personal sorgten für eine schnellere Zulassung des Impfstoffs. Vieles war ja aus der Entwicklung von Impfstoffen gegen MERS bekannt, die nicht fortgeführt wurde, weil die SARS- CoV-2-Pandemie begonnen hat. Aber es gab Ergebnisse aus Tierversuchen, auf die aufgebaut werden konnte, vor allem war bekannt und gut untersucht, dass das SPIKE-Protein als Antigen in Foto: T. Jansen/PEI den Impfstoffen potenziell Schutz bieten kann. Das Paul-Ehrlich-Institut hat die Verfahrensabläufe optimiert, u. a. indem wir sehr frühzeitig wissenschaftliche Beratungen angeboten haben – auch mehrfach – u. a. um die klinischen Prüfungen und den beschleunigten Entwicklungspfad zu konzipieren. Bei den Genehmigungsverfahren – sowohl der klinischen Prüfungen wie auch für die Zulassungen selbst – wurde das Rolling-Review-Verfahren eingeführt. Damit ist es den Antragstellern möglich, Datenpakete sukzessive bereits zur wissenschaftlichen Bewertung einzureichen, während andere Untersuchungen noch laufen. In den klinischen Prüfungen selbst wurden in allen Phasen deutlich mehr Proband*innen eingeschlossen als üblich. So konnten in wenigen Monaten große Datenmengen zur Impfstoffsicherheit und -wirksamkeit erhoben werden, sodass eine Reihe statistisch signifikante Ergebnisse erzielt wurde. Wurden einzelne Testphasen verkürzt, um eine schnellere Zulassung für den Corona-Impfstoff zu erlangen? Nein, wie erwähnt haben wir die einzelnen Verfahren optimiert, wir haben mehr Proband*innen in die klinischen Prüfungen aufgenommen und wir haben auch mehr Personal eingesetzt. Aber es war und ist klar, dass es keine Abstriche bei der Sorgfalt der Bewertung gibt oder gab. Und es gab auch keine Kompromisse, was die Aussagekraft und Validität der Daten angeht. Die Zulassungsempfehlung durch den Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA und die Zulassung durch die EU-Kommission gab es nur, weil die vorgelegten Daten gezeigt haben, dass der ZBW 4/2021 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 13 Nutzen der dann zugelassenen einzelnen Impfstoffprodukte gegenüber möglichen Risiken überwiegt. Die Langzeitsicherheit und -wirksamkeit wird in den laufenden Phase-3-Prüfungen noch bis etwa zwei Jahre nach Impfung weiterverfolgt. Die bedingte Zulassung erlaubt es, dem Zulassungsinhaber solche Pflichten aufzuerlegen. Es war ja ein durchaus interessantes Phänomen, dass zu Beginn der Entwicklung mehrheitlich bezweifelt wurde, dass in so kurzer Zeit – angestrebt war Anfang 2021 – wirksame und sichere Impfstoffe entwickelt werden könnten. Ab Anfang November 2020 sahen die EMA und die nationalen Arzneimittelbehörden in den EU-Mitgliedstaaten sich dem Vorwurf ausgesetzt, es würde alles viel zu lange dauern, andere Staaten (USA, UK) würden nicht so einen Aufwand treiben, die Zulassung solle endlich erteilt werden. Wir alle in den EU-Arzneimittelbehörden haben uns davon nicht beirren lassen und können nun mit fester Überzeugung sagen, dass die zugelassenen Impfstoffe ausgiebig geprüft und von uns bewertet wurden. Immer wieder hört man von Nebenwirkungen der Vakzine – und damit beziehe ich mich nicht auf Kopfschmerzen oder Übelkeit, sondern meine unter anderem die Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit. Wie bekannt sind die Spätfolgen der COVID-19-Impfungen? Die Erfahrungen mit vielen Impfstoffen über viele Jahre haben gezeigt, dass die meisten Nebenwirkungen kurze Zeit nach der Impfung auftreten. Innerhalb von Stunden und Tagen, manchmal auch Wochen. Aufgrund der großen Anzahl von Studienteilnehmer*innen in den klinischen Prüfungen der COVID- 19-Impfstoffe (> 10.000 Geimpfte) ist davon auszugehen, dass auch seltene Nebenwirkungen mit einer Häufigkeit von 1:100 bis vielleicht 1:1 000 im Beobachtungszeitraum der klinischen Prüfungen von sechs Wochen hätten erkannt werden können. Um auch später auftretende Nebenwirkungen zu erkennen, werden die Impfstoffe aber auch nach der Zulassung in den klinischen Phase-3-Prüfungen weiter über etwa zwei Jahre untersucht. Auch bei der Einführung von CO- VID-19-Impfungen, jetzt beispielsweise in Deutschland, werden mögliche Nebenwirkungen der Impfstoffe weiter überwacht, einmal durch die Beobachtung und Bewertung von Verdachtsfallmeldungen zu Nebenwirkungen und Impfkomplikationen, also die passive Pharmakovigilanz. Aber auch durch aktive Pharmakovigilanz, zum Beispiel eine Beobachtungsstudie mit Hilfe der SafeVac-2.0- App des Paul-Ehrlich-Instituts, die in den Smartphone-Stores heruntergeladen werden kann. Hier fragen wir auch aktiv zu Nebenwirkungsverdachtsfällen oder COVID-19-Fällen nach, sodass hier weitere Erkenntnisse zur Sicherheit und Effektivität der Impfstoffe gewonnen werden können. Speziell zum Thema der Mutmaßungen zu Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit – das ist etwas, was in den nicht-klinischen Untersuchungen, in Tierversuchen, bei einigen Impfstoffen untersucht wurde. Dabei ergaben sich für die COVID- 19-Impfstoffe keine Hinweise. Schützen die aktuell eingesetzten Impfstoffe auch vor den neuen Virusmutationen von Sars-CoV-2, die aktuell in Deutschland vermehrt auftreten? Für die beiden mRNA-Impfstoffe und den COVID-19-Vektorimpfstoff gibt es erste Untersuchungen, die Hinweise ergeben, dass sie vor der herkömmlichen und der Variante aus UK schützen, während die Wirksamkeit gegenüber mildem und moderatem COVID-19 hervorgerufen durch die südafrikanischen Coronavirus-2-Variante deutlich geringer ist. Zum Schutz vor der Virusvariante aus Brasilien und dem Schutz gegen schweren COVID-19-Verlauf nach Infektion mit der südafrikanischen Variante liegen klare Daten nach Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff Astra- Zeneca derzeit nicht vor. Bei Auftreten hauptsächlich zirkulierender Coronavirus-2-Varianten könnten genetische und gentechnisch hergestellte Impfstoffprodukte möglicherweise relativ schnell auf den Schutz gegenüber neuen Virusvarianten angepasst werden. Die Hersteller der mRNA-Impfstoffe geben ca. sechs Wochen für die Umstellung des Impfstoffkonstrukts und sechs Wochen für die Herstellung einiger Millionen Dosen an. Aus derzeitiger Sicht des Paul-Ehrlich-Instituts wird es ein vereinfachtes Entwicklungs- und Zulassungsverfahren geben, bei dem bei einer Umstellung eines bereits zugelassenen Impfstoffprodukts keine neuen nichtklinischen Untersuchungen und eine auf wenige hundert Proband*innen begrenzte klinische Prüfung zum Immuno- Bridging erfolgen sollten. Sicher für das Immuno-Bridging muss sein, dass die Überlegenheit des umgestellten Impfstoffprodukts gegenüber dem parentalen Impfstoffprodukt gezeigt werden: Es sollte CoV-2-neutralisierende Antikörper bei Geimpften erzeugen, die die hauptsächlich zirkulierenden Virusvarianten besser abfangen als das parentale Impfstoffprodukt. Die Herstellung muss natürlich weiterhin konsistent zu einem hochqualitativen Produkt führen. Ob hierzu Gesetzesänderungen notwendig werden, wird derzeit geklärt. Das Gespräch führte Cornelia Schwarz www.zahnaerzteblatt.de ZBW 4/2021
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