18_TITELTHEMA ZBW_5-6/2023 www.zahnaerzteblatt.de Der GOZ-Ausschuss informiert ABWEICHENDE VEREINBARUNG – GOZ 4.0! Zunehmende Inflation, steigende Kosten, eine beginnende Preis-Lohn-Spirale, Abwanderung von Fachkräften – und immer noch keine Anpassung des Punktwertes der GOZ aus dem Jahre 1988. Die abweichende Vereinbarung nach § 2 GOZ mit dem Faktor 4.0 bietet hier Gestaltungsmöglichkeiten. Fakt ist: Die Hälfte aller GOZ-Leistungen sind mit 2,3-fach unter der Bema- Honorierung fast ein Viertel der GOZ- Leistungen müssen über 3,5-fach abweichend vereinbart werden. Eine Verfassungsbeschwerde gegen das Nichtanpassen des Punktwertes (§ 5 Abs. 1 Satz 3 der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) vom 22. Oktober 1987) wurde schon 2001 nicht angenommen: „Eine Verletzung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten ist nicht ersichtlich, solange der Beschwerdeführer von den Gestaltungsmöglichkeiten, die ihm die Gebührenordnung für Zahnärzte eröffnet, keinen Gebrauch macht“ (Beschluss vom 13.02.2001 – 1 BvR 2311/00). PKV-ÄQUIVALENT Die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, den Gebührenrahmen voll auszuschöpfen, also entsprechende Steigerungssätze über 2,3-fach anzusetzen, findet oft Grenzen in Ermangelung einer sinnvollen entsprechenden Begründung nach Zeit, Umfang und Schwierigkeit. Betriebswirtschaftlich muss eine Honorierung erfolgen, die kostendeckend ist. Bei einem durchschnittlichen Mindesthonorar von 360 Euro je Behandlungsstunde müssen die Leistungen auch entsprechend liquidiert werden. Diese betriebswirtschaftlich notwendige Kostendeckung ist das PKV-Äquivalent: Für eine zweiflächige Kompositfüllung (GOZ-Nr. 2080) als Beispiel stehen Ihnen bei einem Minutensatz von 6 Euro, also bei notwendigen 360 Euro Honorarumsatz je Behandlungsstunde, gerade mal 18 Minuten bei Anwendung des 3,5-fachen Steigerungssatzes zur Verfügung. Reicht Ihnen diese Zeit für eine qualitativ hochwertige Füllung? Wohl selten. Benötigen Sie etwa 30 Minuten für eine dentinadhäsive Kompositfüllung, dann ist bei einem notwendigen Honorarumsatz von 360 Euro/Behandlungsstunde die Vereinbarung des 5,8-fachen Satzes unausweichlich. GKV-ÄQUIVALENT Der betriebswirtschaftliche Mindesthonorarumsatz ist vom Bema vorgegeben: Keine Privatleistung kann unter diesem Mindesthonorar erbracht werden (GKV-Äquivalent). Besonders viele Chi r- urgie-Leistungen liegen in der GOZ darunter. Beispiel Operation Lippenbändchen nach GOZ 3210: Wer dies noch kostendeckend vornehmen möchte, muss den Faktor 7,3 anwenden. Eine chirurgische Wundrevision nach GOZ 3310 erfordert Faktor 4,5. Beispiel Adhäsivbrücke: Hier muss mindestens der 6,8-fache Satz vereinbart werden, um den Privatpatienten äquivalent zum Bema zu versorgen. Eine intraorale Leitungsanästhesie GOZ-Nr.0100 muss mit 3,3-fachem Satz abgerechnet werden, um das Niveau der gesetzlichen KV zu erreichen. Ein einfacher plastischer Aufbau (GOZ-Nr. 2180) mindestens mit 5,0-fachem Satz äquivalent einer F2 (ZE). Ein kieferorthopädischer Heil- und Kostenplan nach GOZ-Nr. 0040 erfordert den 5,8-fachen Satz. Es ist also notwendig, einen Vergleich der Leistungen im Bema und der GOZ vorzunehmen und die Steigerungsfaktoren anzupassen und eventuell mit dem Patienten entsprechend zu vereinbaren. ANALOGIE NACH § 6 Selbstständige Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis der GOZ nicht aufgenommen sind, werden analog berechnet. Der Gesetzgeber ermuntert ausdrücklich dazu – siehe Stellungnahme BT-Drucksache 20/1678 vom 11.5.2022 (Frage 55) zur Anwendung von Analogziffern in der PA-Therapie nach S3-Leitlinie.
ZBW_5-6/2023 www.zahnaerzteblatt.de 19_TITELTHEMA Kostenerstatter haben dies wohl nicht vernommen, denn Analogziffern führen oft zu einem erhöhten Bürokratieaufwand, weil die Erstattung verweigert wird. Analogabrechnungen führen die Beanstandungsliste von Kostenerstattern an. ABWEICHENDE VEREINBARUNG „Die im Regelfall nur schmale Marge schadet jedoch nicht, weil der Zahnarzt gemäß § 2 GOZ eine abweichende Vereinbarung treffen kann. Sie ist dem Gesetzeswortlaut nach materiell an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft. „(BVerfG, Beschluss vom 25. 10.2004-1 BvR 1437/02)“. Bereiten Sie sich, Ihr Team und Ihre Patienten darauf vor. Beginnen Sie jetzt mit dem formularmäßigen Einüben im Team. Die Vereinbarung muss gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 GOZ in jedem Fall eine Angabe der jeweiligen Gebührennummer, der Bezeichnung der Leis- Abbildung: Adobe Stock/Tri tung, des vereinbarten Steigerungssatzes und des sich daraus ergebenden Betrages enthalten. Vorbereitete Ausdrucke sind möglich, es muss sich nur um eine Individualvereinbarung handeln. Diese kann auch alle denkbaren Leistungen enthalten, die möglicherweise während des Behandlungsverlaufes aber gar nicht in Anspruch genommen werden. (AG Düsseldorf, Urteil vom 25.06.2015, Az.: 27 C 9542/13). Beginnen Sie beispielsweise mit den dentinadhäsiven Füllungen, die ohnehin im Vergleich zur geübten Abrechnungspraxis vor 2012 abgewertet worden sind. Diese Füllungen müssen – sofern keine Richtlinie dagegen spricht – mit gesetzlich Versicherten nach § 28 Abs. 2 SGB V zunächst als Mehrleistung vereinbart und abweichend nach § 2 GOZ die Gebührenhöhe festgelegt werden. Abweichende Vereinbarungen sind auch innerhalb des Gebührenrahmens möglich, also die Vereinbarung von Faktoren unter 3,5- fach. Eine Begründung des Faktors in der Rechnung ermöglicht der Patientin bzw. dem Patient die Kostenerstattung. Starten Sie mit der abweichenden Vereinbarung nach § 2 GOZ innerhalb des Gebührenrahmens, zum Beispiel 3,5, und Sie werden keine Rechtfertigungsgespräche mehr zu Ihren Begründungen haben. Auch 3,6-fach ist zum Einstieg möglich. Auch Analogziffern können vereinbart werden. Grundlage jeder abweichenden Vereinbarung ist das strikte Einhalten der Formvorschrift des Paragrafen 2 Abs. 1 und 2 GOZ. Das Formular finden Sie unter www. LZKBW.de, GOZ Inform (http://www. lzk-bw.de/zahnaerzte/gebuehrenrecht/gozinform). Hier finden Sie auch den erwähnten Vergleich von Bema und GOZ, ebenso ein Kalkulationsraster zur Kostendeckung entsprechend Ihrem notwendigen Zeiteinsatz. Eine Vereinbarung ist nur über die Gebührenhöhe möglich, nicht über den Punktwert oder ein Stundenhonorar oder einen Pauschalbetrag. Ein Eurobetrag aller vereinbarten Leistungen ist anzugeben. Die Höhe der Vereinbarung ist nicht limitiert, es gilt als Grenze nur der Wucher, wenn die Honorierung der Leistung also nicht angemessen ist. Die Vereinbarung muss von der Zahnärztin bzw. dem Zahnarzt mit den Patientinnen und Patienten vor der Behandlung besprochen werden und beide Unterschriften müssen sich auf der Vereinbarung befinden. Eine Delegation an eine angestellte Zahnärztin oder einen angestellten Zahnarzt mit Vollmacht (i. V.) ist möglich. Es handelt sich um einen Individualvertrag, es darf sich nicht um allgemeine Geschäftsbedingungen handeln. Notfallbehandlungen dürfen logischerweise nicht von einer abweichenden Vergütungsvereinbarung abhängig gemacht werden. Praktisch ist es, einen Heil- und Kostenplan (HKP) auf dem Formular § 2 GOZ zu erstellen und unterschreiben zu lassen. Sie legen sich auf den Steigerungsfaktor fest, schaffen aber Kostentransparenz und entledigen sich der leidigen Begründungsakrobatik. Anfallende Materialkosten werden gesondert als Kosteninformation mitgeteilt, eine Vereinbarung über Materialbzw. Laborkosten ist nicht möglich. Merke: Die Versicherung kann immer erstatten, wenn die Rechnung GOZkonform erstellt ist. Viele ältere Verträge haben keine Limitierung im Steigerungssatz. Mit Anwendung des § 2 wird die GOZ zu einer Erstattungsordnung der Versicherer. Nutzen Sie den § 2 möglichst oft. Kein HKP, keine Rechnung mehr ohne mindestens einmal Faktor 4.0. Die abweichende Vereinbarung ist die Möglichkeit, eine angemessene Honorierung Ihrer Leistungen in der GOZ zu erzielen. Die abweichende Vereinbarung schafft Kostentransparenz, erfüllt die wirtschaftliche Informationspflicht nach § 630 c Absatz 3 BGB. Der Patient ist darauf vorbereitet, dass möglicherweise die Versicherung nicht alles erstattet – ganz im Sinne des Verbraucherschutzes. Ihr Privatpatient ist zunehmend unterversichert - möchten Sie ihm eine schriftliche Erläuterung in die Hand geben? Ebenfalls zu finden unter GOZ Inform auf der Homepage Ihrer LZK Baden-Württemberg. Dr. Herbert Martin
Laden...
Laden...
Informationszentrum Zahn- und Mundgesundheit Baden-Württemberg (IZZ)
Haus: Heßbrühlstraße 7, 70565 Stuttgart
Post: Postfach 10 24 33, 70200 Stuttgart
Telefon: 0711 222 966 0
Fax: 0711 222 966 20
presse@izzbw.de
Eine Einrichtung der Kassenzahnärztlichen
Vereinigung Baden-Württemberg
& der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg
© by IZZ Baden-Württemberg - Impressum - Datenschutz