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Ausgabe 3/2016

8 Titelthema

8 Titelthema Zahnärzte-MVZ Neue Chancen – oder neues Übel? Mit Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes im Juli 2015 können Zahnärztinnen und Zahnärzte Medizinische Versorgungszentren (MVZ) für rein zahnärztliche Leistungen gründen. „Dadurch ergeben sich Entwicklungschancen für Zahnarztpraxen, die den Dentalmarkt verändern können“, so die Prognose kürzlich in einem zahnärztlichen Wochenblatt. Und weiter: Der Trend zu größeren Praxiseinheiten werde „mit dem Z-MVZ einen weiteren Aufschwung erleben“. Was hier als zukunftsweisend gefeiert wird, werten viele Standespolitiker als Bedrohung für Einzel- und Gemeinschaftspraxen. Diese aber sind für die flächendeckende und wohnortnahe zahnärztliche Versorgung, besonders auf dem Land, unverzichtbar. Chancen. Seit Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes im Juli 2015 können Zahnärztinnen und Zahnärzte Medizinische Versorgungszentren (MVZ) für rein zahnärztliche Leistungen gründen. Fotos: dpa Angestellte die Vorschrift des Bundesmantelvertrages nicht, wonach ein zugelassener Vertragszahnarzt maximal zwei ganztags beschäftigte oder bis zu vier halbtags beschäftigte Zahnärzte anstellen darf, damit das Prinzip der persönlichen Leistungserbringung gewahrt wird. Für das MVZ gibt es keine Obergrenze. Haftungsbefreiung und Angestelltenzahl sind in der Tat nachgefragte Punkte bei Z-MVZ-Informationsveranstaltungen, die seit einigen Monaten angeboten werden, wie die DZW (Die Zahnarzt Woche) berichtete. Im Zahnärzte-MVZ steckten viele Entwicklungs- und Karrierechancen. Dazu zählen der Nutzen von Synergien, attraktive Arbeitsplätze für die Generation Y und umfassende zahnmedizinische Behandlungsmöglichkeiten für Patienten aus einer Hand – das Ganze in einem rechtssicheren Raum mit weniger unternehmerischem Risiko für die Privatperson Zahnarzt. Häufig werde die Frage gestellt, ob Gründer von Zahnärzte-MVZ auch Investoren an Bord holen könnten. Die Antwort ist „ja“. Hier gelte jedoch, dass Inhaber und Anteilhaber vom Fach sein müssten: „Nur Zahnärzte, Ärzte, Krankenhäuser und Kommunen können ein MVZ gründen oder sich an einem solchen beteiligen.“ Nach bisheriger Gesetzgebung durfte ein MVZ nur fachübergreifend geführt werden, etwa von Ärzten verschiedener Facharzt- oder Schwerpunktbezeichnungen – eine Voraussetzung, die für Zahnärzte kaum zu realisieren war. Entsprechend dünn war die zahnärztliche Beteiligung. „Hier musste neben Zahnmedizinern ein Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg oder ein Allgemeinmediziner mit ins Boot – und selbst das wurde sehr restriktiv ausgelegt“, erklärte Dr. David Klingenberger, stv. wissenschaftlicher Leiter des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ). Heute seien ganz andere Konstrukte möglich, was auch daran liege, dass die Rechtsform sehr viel freier gestaltbar sei. Lockerungen. Medizinische Versorgungszentren firmieren in der Regel als GmbH oder GbR. „Besonders die beschränkte Haftung (nicht bei Forderungen von KZV und Krankenkasse; Anm. der Red.) wird Interessen wecken, denn diese ist einer Berufsausübungsgemeinschaft oder Personengesellschaft bisher verwehrt“, vermutet Dipl.-Stom. Karsten Geist, Vorstandsmitglied der KZV Berlin. Den „größten Charme“ des MVZ sieht Susanne Müller dagegen im Wegfall der Begrenzung für angestellte Kollegen. Wie die Geschäftsführerin des Bundesverbandes Medizinische Versorgungszentren – Integrierte Versorgung e. V. (BMVZ) darlegte, gilt für MVZ- Strategien. Genau diese Punkte sind es aber auch, die die Berufspolitik sehr skeptisch werden lassen. Es ist zum Beispiel möglich, dass Vertragszahnärzte mehrere MVZ gründen, ohne darin tätig zu sein. Multiplikator-Investoren, nennt sie Prof. Dr. Wolfgang Merk, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Bewertung von Praxen und Unternehmen im Gesundheitswesen. Sie verfügten über ein gutes Konzept, das sie auf mehrere Standorte ausweiten möchten, und beschäftigten dort eine Vielzahl von Zahnärzten. Eine andere Option sei, dass zahnärztliche Unternehmer ihre Großpraxis in ein MVZ umwandelten und ZBW 3/2016 www.zahnaerzteblatt.de

Titelthema 9 auf diese Weise mehr Zahnärzte anstellen könnten. Außerdem sei denkbar, so Merk, dass Finanzinvestoren mit strategischem Interesse auf dem Markt aktiv würden und Ketten bildeten. Wenn der Investor selbst kein Vertragszahnarzt sei, könne er indirekt gründungsfähig werden, indem er ein Plankrankenhaus kaufe. Denn Kliniken wiederum dürften MVZ im ambulanten Bereich gründen, zum Beispiel in Form einer GmbH. „Eine solche Konstruktion bietet den Vorteil, die hundertprozentige Kontrolle über ein MVZ zu gewinnen“, wird der Sachverständige in den ZM zitiert. „Ich kann mir vorstellen, dass im zahnmedizinischen Bereich insbesondere Dentaldepots ihre Chance nutzen werden, die bereits Knowhow auf dem Gebiet besitzen, und ein Business für junge Zahnärzte aufbauen werden.“ Fehlentwicklungen. Die Motive zur Gründung eines MVZ sind nach Klingenbergers Einschätzung „eindeutig durch die Vermutung getragen, dass sich hier mehr Geld verdienen lässt als mit einer Einzelpraxis oder in der Rechtsform einer Berufsausübungsgemeinschaft“. Wenig wünschenswert ist sicherlich ein gewinnfixiertes Gesundheitssystem wie z. B. in den USA. In einem solchen Szenario bliebe auch die Freiberuflichkeit auf der Strecke. Die Gefahr, dass MVZ den freien Beruf ein Stück weit aushöhlen, sieht auch Klingenberger. So bezweifelt er, dass in MVZ angestellte Zahnärzte in dem Maße eigenverantwortlich und fachlich unabhängig sind wie die in freier Praxis Niedergelassenen. Wenn die Firmenphilosophie bestimmte Behandlungsverfahren oder Materialien nicht vorsehe, dann könne der angestellte Zahnarzt sie dem Patienten nicht anbieten, auch wenn er es im Einzelfall für zahnmedizinisch sinnvoll hielte. „Je mehr MVZ auf den Markt kommen, umso mehr Stellen werden angeboten, was den Trend zur Anstellung vermutlich verstärken wird“, sagte er im ZM-Interview. „Im Grunde werden hier die Grundfesten des Berufsbildes berührt: Wie lange wird die Zahnmedizin noch als freier Beruf ausgeübt?“ Zum gleichen Schluss kam Christoph Besters, stv. Vorstandsvorsitzender der KZV BW, bereits vor gut einem Jahr: „Die mit der Neuregelung verbundene Förderung der Tätigkeit von Zahnärzten im Angestelltenverhältnis widerspricht (...) grundlegend dem Selbstverständnis des Berufsstandes“, schrieb er im ZBW-Leitartikel (1/2015). „Nur ein selbstständig tätiger Zahnarzt ist unmittelbar seinen Patienten für eine qualitativ hochstehende zahnmedizinische Versorgung verantwortlich.“ Verdrängung. Ohne Einzel- oder Gemeinschaftspraxen hält Besters die flächendeckende und wohnortnahe Versorgung, insbesondere im ländlichen Raum, nicht für machbar. „Zudem garantieren nur diese Praxisformen das vom Patienten stets hervorgehobene individuelle Vertrauensverhältnis“, so der stv. Vorstandsvorsitzende. Ob sich die vielzitierten Vorteile des MVZ in Bezug auf Haftung und Steuer tatsächlich in dem behaupteten Umfang realisieren lassen, bedürfe einer umfassenden Prüfung im Einzelfall. Die Möglichkeit der unbegrenzten Beschäftigung von angestellten Zahnärzten stelle jedenfalls einen massiven Wettbewerbsnachteil der Vorteile. Zahnärzte- MVZ bieten das Nutzen von Synergien, attraktive Arbeitsplätze für die Generation Y und umfassende zahnmedizinische Behandlungsmöglichkeiten für Patienten aus einer Hand. Freien Praxis dar. Besters: „Unsere Forderung an die Krankenkassen sowie den Gesetzgeber ist, diese ungleiche Behandlung umgehend zu beseitigen!“ Welche entscheidenden Vorteile blieben dann noch im Vergleich zur Berufsausübung in Freier Praxis? » guido.reiter@kzvbw.de Info Wie Medizinische Versorgungszentren (MVZ) die zahnmedizinische Versorgung und den Zahnarztberuf verändern könnten, erläutert Dr. David Klingenberger, stellvertretender wissenschaftlicher Leiter des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ), im Gespräch mit den „Zahnärztlichen Mitteilungen“. Link: http://www.zm-online. de/hefte/MVZ-sind-da-wo-die- Kaufkraft-ist_309863.html www.zahnaerzteblatt.de ZBW 3/2016

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