16 Berufspolitik Impulse. Ministerin Katrin Altpeter signalisierte Handlungsbereitschaft. Diskussionsrunden. Im „World-Café“ hatten Besucher Gelegenheit, sich im kleineren Kreis an wechselnden Tischen aktiv mit einem der Forenthemen auseinanderzusetzen, unterstützt von moderner Technik. Fotos: KZV BW te Dr. Ulrich Clever, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, – eine Einschätzung, die er selbst nicht teilt. Im Zentrum der Kritik steht § 7 Abs. 4 der ärztlichen Musterberufsordnung, umgangssprachlich als „Fernbehandlungsverbot“ bezeichnet (s. Kasten), in Clevers Augen aber vielmehr ein „Patientenschutzparagraf“. Es sei der falsche Ansatz, einem Patienten, der ein Problem habe, eine Diagnose aufzudrücken und eine Therapie zu verordnen, ohne ihn je gesehen zu haben, führte der Standespolitiker aus. Im Übrigen würden in den Hinweisen und Erläuterungen der Bundesärztekammer zur Fernbehandlung insgesamt sieben Modelle der Patientenversorgung mittels Telemedizin vorgestellt; alle Aufmerksamkeit konzentriere sich jedoch auf das sog. „Fernbehandlungsverbot“. Strukturdefizite. Dass die Bevölkerung E-Health will, ist für Dr. Norbert Metke, Vorstandsvorsitzender der KV Baden-Württemberg, unbestritten: „40 Millionen Deutsche gehen ein- bis mehrmals pro Jahr mit gesundheitlichen Fragen ins Internet. Die Ärzte rechnen 95 Prozent ihrer Abrechnungen, 70 Millionen Behandlungsscheine in Baden-Württemberg IT-gestützt ab. Es findet ungeheuer viel Datenaustausch statt“, resümierte Metke. Was aber fehle, seien Strukturen des Arzt-Arzt-Austauschs und des Arzt- Info Telematik-Infrastruktur Der Begriff „Telematik“ ist eine Kombination der Wörter „Telekommunikation“ und „Informatik“. Die Telematik-Infrastruktur im Gesundheitswesen soll die IT- Systeme aus Praxen, Apotheken, Krankenhäusern und Krankenkassen in einem geschlossenen Netzwerk verbinden und so einen systemübergreifenden Informationsaustausch ermöglichen. Der Zugang zum Netz wird nur mit Heilberufeausweis und elektronischer Gesundheitskarte möglich sein. Die ärztliche Schweigepflicht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sollen damit jederzeit gewahrt bleiben. Krankenkassen-Austauschs. „Das Problem ist, dass der Staat seit Jahren versucht, eine stabile Datenautobahn, die Telematik-Infrastruktur, zu etablieren – und es gelingt ihm nicht“, so der KV-Chef. „Mittlerweile benutzen wir Nebenstraßen.“ Auch Prof. Dr. Mark Dominik Alscher, geschäftsführender ärztlicher Direktor des Robert-Bosch- Krankenhauses in Stuttgart, beklagte das Fehlen der Datenautobahn. „Wir alle nutzen die digitalen Möglichkeiten. Da ist so etwas wie eine Graswurzelrevolution im Gange.“ Aus Sicherheitsgründen sei es aber nicht möglich, sensible Daten etwa über das öffentliche E-Mail-Netz zu verschicken. Wünschenswert wäre, dass die Politik für einen geeigneten Rahmen sorge, in dem innovative Lösungen für die Probleme von morgen entwickelt werden könnten. Insellösungen. Zukunftsträchtige digitale Projekte, die – notgedrungen – ohne funktionierende Telematik-Infrastruktur (s. Kasten) realisiert wurden, existieren jedoch bereits an vielen Stellen im Gesundheitswesen, wenn auch nur als Insellösungen. Wie Metke vonseiten der KV Baden-Württemberg berichtete, verwalte man gemeinsam über 800.000 DMP-Patienten. Allein im letzten Jahr seien 1,6 Millionen Folge- und Erstdokumentationen ausgewertet, protokolliert und analysiert worden. Aktuell befasse man sich mit der Qualitätskontrolle in der Gastroenterologie. Außerdem wolle die KV das Telemonitoring bei Herzschrittmacher-Synchronisierungssystemen einführen, sehr kurzfristig und über die Bundesvorgaben hinaus, und plane ein weiteres Projekt im Bereich Pulmologie. Alscher berichtete über sehr gute Erfahrungen mit einem Projekt im Bereich COPD, das auch die Patienten lieben: Hat ein Telemedizin- Patient ein Problem, wird dies dem Arzt vor Ort über das System signa- ZBW 3/2016 www.zahnaerzteblatt.de
Berufspolitik 17 lisiert, der daraufhin entsprechende Maßnahmen ergreift. Insofern ist die Telemedizin kein Ersatz für den Arzt, sondern eine Unterstützung, insbesondere in Gegenden mit Fachkräftemangel wie Ostdeutschland oder Norddeutschland. Allerdings biete sich diese Kommunikationsmethode nicht für alle Patienten an, stellte Alscher klar. Sinn mache ihr Einsatz etwa bei chronisch Kranken, die vorher ihren Spezialisten gesehen haben und zuhause längerfristig gut betreut werden sollen. In dieser Konstellation falle das Projekt auch nicht unter das „Fernbehandlungsverbot“. Visionen. Mit dem Fortschreiten der epidemiologischen Entwicklung werden digitale Lösungen wohl auch in heute noch gut versorgten Bereichen an Bedeutung gewinnen. In der Schweiz verfolgt man schon heute einen noch breiteren Ansatz: Dort hat sich der Telemedizin-Dienstleister „Medgate“ etabliert (s. Kasten). Wie sich aus der Diskussion herauskristallisierte, ist die Digitalisierung aber nicht nur ein Weg, Versorgungsengpässen zu begegnen. Werden Daten sinnvoll zusammengeführt, eröffnen sich vielversprechende Möglichkeiten für Forschung und Medizin – ein Aspekt, auf den Dr. Matthias Reumann, tätig im Züricher Forschungslabor von IBM Research, mit viel Verve einging. Für ihn ist die elektronische Gesundheitskarte, selbst wenn sie dereinst alle projektierten Funktionen enthalten sollte, nur ein Etappenziel. Stünden die verfügbaren Datenmengen für die Analyse zur Verfügung, könnten daraus wertvolle Schlüsse gezogen werden. Ein Arzt könnte zum Beispiel die erfolgversprechendste Behandlung für seinen Patienten ermitteln, wenn er Zugriff auf die Datensammlung hätte, die andere Ärzte vor ihm bei der Behandlung eines vergleichbaren Patientenkollektivs erhoben haben. Reumann räumte ein, dass das Thema „Datenschutz“ in diesem Zusammenhang sensibel behandelt werden muss. Selbst bei der elektronischen Gesundheitskarte gehen die Ansichten auseinander, ob, wie und wie weitgehend Datensicherheit gewährleistet werden kann. Für Metke Info Medgate In der Schweiz ist bereits seit 15 Jahren ein Telemedizin-System im Einsatz, das regionale Engpässe kompensieren kann und auch wirtschaftlich von Bedeutung ist: Der Dienstleister „Medgate“ macht bis zu 30 Prozent der persönlichen Arztkontakte unnötig, und das offenbar bei hoher Zufriedenheitsrate der Patienten. Dr. Timo Rimner, Leitender Arzt im Medgate Telemedicine Center, gab zum Abschluss des Landeskongresses Gelegenheit, den Info Kooperation Eine „nachhaltige Verbesserung der Zusammenarbeit“ im Gesundheitswesen ist das erklärte Ziel, das die Bezirksärztekammer Nordwürttemberg als ideeller Träger mit dem Landeskongress Gesundheit Baden-Württemberg verfolgte. Dass durchaus Kooperationsbereitschaft vorhanden ist, zeigte nicht zuletzt die Beteiligung zahlreicher Unterstützer des neuen, zentralen Forums für alle Akteure und Verantwortungsträger im Gesundheitswesen. Dies waren die Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg, die Techniker Krankenkasse, die IKK classic, der BKK Landesverband ist klar, dass Datenschutz angesichts der Sensibilität der Daten und des damit verbundenen Missbrauchpotenzials ein zentrales Thema ist. „Das kriegen wir aber in den Griff.“ Wenn man einen Informationsfluss wolle, der dem Patienten diene, dann sei die elektronische Gesundheitskarte das richtige Medium. Denn die Datenspeicherung verhindere Doppeluntersuchungen, einen „medizinischen Blödsinn“, der viel Geld koste. Die Frage sei: „Wollen Sie eine effektive Medizin? Oder einen Datenschutz, wo effektive Medizin nicht mehr möglich ist?“ „Doc around the clock“ live kennenzulernen. Für den Dienstleister übernehmen derzeit 90 Ärztinnen und Ärzte rund 4000 Konsultationen pro Woche. Reicht das telefonische Gespräch für eine Beurteilung des Falles nicht aus, werden die Patienten an niedergelassene Ärzte überwiesen. In Deutschland ist ein Service in dieser Form aufgrund der ärztlichen Berufsordnung (s. „Fernbehandlungsverbot“) nicht möglich. Süd, die Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg, die DAK-Gesundheit und die AOK Baden-Württemberg. Als Partner beteiligten sich neben der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg auch die Landesärztekammer Baden-Württemberg, die Baden- Württembergische Krankenhausgesellschaft und die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg. Als Sponsoren fungierten die Deutsche Apotheker- und Ärztebank sowie DocMorris. Die Schirmherrschaft hatte Winfried Kretschmann, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, übernommen. Alscher stellte den medizinischen Nutzen der klug eingesetzten Datenanalyse in den Vordergrund: Oftmals fehle Ärzten die breite Erfahrungsbasis, was gerade bei seltenen Erkrankungen problematisch sei – da könnten digitale Lösungen durchaus helfen. Für eine qualitativ hochwertige Versorgung müsse man alle Unterstützungsmöglichkeiten nutzen. Oder, wie es in der Diskussion zum Ausdruck kam: Wir sollten uns nicht von der „German Angst“ um den medizinischen Fortschritt bringen lassen. » schildhauer@meduco.de www.zahnaerzteblatt.de ZBW 3/2016
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