12 Titelthema Foto: Fotolia Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird wichtiger Feminisierung befördert Strukturumbau Seit Jahren nimmt der Frauenanteil in der Zahnmedizin zu. Ende 2014 lag er bundesweit bei 43 Prozent. In der Altersgruppe bis 35 allerdings stellten die Zahnärztinnen mit 62 Prozent schon die Mehrheit aller zahnärztlich Tätigen – mit wachsender Tendenz, wie die Studentenstatistik zeigt. Diese sog. „Feminisierung“ hat gravierende Folgen für den Berufsstand: Frauen, insbesondere Berufsanfängerinnen, setzen oftmals andere Prioritäten als die ältere, männlich dominierte Zahnärztegeneration und benötigen deshalb andere Arbeitsstrukturen. Die Work-Life-Balance ist vielen nachrückenden Berufskolleginnen, aber auch -kollegen, sehr wichtig. entgegengesetzte Richtung: Zahnärztinnen gelten als besonders einfühlsam und sozial kompetent. Gerade in der vorsorgenden Zahnmedizin und in der Ästhetik der Zahnversorgung spielt die Frau als vertrauenswürdiger Partner in der Leistungsberatung eine zunehmend erfolgreiche Rolle. Aber oftmals gibt es doch Probleme – nicht im Bereich des zahnmedizinischen Könnens, sondern hinsichtlich der ganz persönlichen Lebensplanung: Wie schafft es die Zahnärztin, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren? Wie steht es mit der finanziellen Absicherung im Fall einer Schwangerschaft – ganz abgesehen davon, dass das Berufs- und Familienleben auch nach der Ankunft des Nachwuchses organisiert werden muss? Wie unterschiedlich die Situationen sein können, zeigt ein kurzer Blick in drei Praxen. Der Zahnarztberuf als Männerdomäne – das ist lange vorbei. Nicht unbedingt zur Freude mancher männlicher Kollegen, die diese Entwicklung anfangs, wie in der Presse nachzulesen ist, als „dramatisch“ ansahen, den „hochtechnisierten Beruf“ als unpassend für Frauen bezeichneten und sogar einen „merklichen Qualitätsverlust der Praxisführung“ ausgemacht haben wollten. Heute wird dies sicherlich differenzierter gesehen, und auch die Erfahrungen im Praxisalltag weisen in die Beispiel 1 Dr. Stephanie W. ist bereits einige Jahre als angestellte Zahnärztin in einer Praxisgemeinschaft tätig, als sie sich für ihr erstes Kind entscheidet und schwanger wird. Mit der Arbeit am Behandlungsstuhl ist es wegen der Infektionsgefahr vorerst vorbei. Die Umlagekasse zahlt ihr jedoch während der gesamten Ausfallzeit das volle Gehalt weiter. ZBW 3/2016 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 13 Beispiel 2 Weniger gut trifft es ihre Kollegin Dr. Ann-Katrin H. Auch sie arbeitet in einer Praxisgemeinschaft, jedoch als selbständige Zahnärztin. So bekommt sie keinerlei finanzielle Unterstützung, als sie ein Baby erwartet. Vorsorglich hat sie Geld zurückgelegt, ist aber längerfristig dennoch auf finanzielle Hilfe ihres Partners angewiesen. Ihr früheres Arbeitspensum in der Praxis schafft sie nach der Geburt vorerst nicht mehr. Immerhin läuft der Praxisbetrieb problemlos weiter; sie kann sich mit ihrer Praxiskollegin arrangieren. Beispiel 3 Finanzielle Klimmzüge und Durchhaltevermögen werden Dr. Julia M. abverlangt. Sie ist Inhaberin einer Einzelpraxis. Als sie schwanger wird, muss sie für die Monate ihrer Abwesenheit eine Urlaubsvertretung anstellen und bezahlen. Und nicht nur das: Die Verantwortung für die Praxis lastet schwer auf ihr – fast jeden Tag sieht sie nach dem Rechten und hofft, dass weder in Praxis noch Familie unvorhergesehene Probleme auftreten. Kaum ist der Nachwuchs da, steigt sie wieder voll ein – schon aus finanziellen Gründen. Die Beispiele zeigen: Als Zahnärztin und Mutter hat frau es nicht leicht – meist geht es nicht ohne Abstriche, entweder in der Praxis oder in der Familie. Dennoch ist die Zahnmedizin für Abiturientinnen attraktiv wie nie. Im Wintersemester 2014/2015 zum Beispiel waren fast 65 Prozent der Studierenden weiblich; das sind 12,7 Prozent mehr als im Wintersemester 2000/2001. Ähnlich ist es bei den Promovierenden. Hier gab es im gleichen Zeitraum sogar ein Plus von 14,7 Prozent. Selektion. Dass Frauen in aller Regel die besseren Abiturnoten und damit leichteren Zugang zum Zahnmedizin-Studium haben, ist aus Sicht mancher Standespolitiker nicht unproblematisch. So forderte der Landesverband Niedersachsen des Freien Verbandes vor einigen Monaten sogar die Abschaffung des Numerus clausus für Zahnmedizin und eine „Männerquote“, denn es gebe mittlerweile Studienjahrgänge mit 100 Prozent Frauenanteil. Junge Männer müssten verstärkt zum Studium ins Ausland ausweichen, weil ihre Abiturnote für einen deutschen Studienplatz nicht ausreiche. Frauen aber, so die Verbandssprecherin Annette Apel, würden viel seltener als ihre männlichen Kollegen das Risiko einer Praxisgründung eingehen. Nach der Kinderpause wählten nur etwa 30 Prozent diesen Weg. Die meisten würden aus Gründen der Familienplanung lieber in ein Angestelltenverhältnis gehen. Tatsächlich hat die „Existenzgründungsanalyse Zahnärzte 2014“ von IDZ und apoBank ergeben, dass zwar fast die Hälfte aller neuen Praxen von Frauen gegründet werden, sich aber dennoch deutlich mehr Frauen gegen die Selbständigkeit entscheiden. Die innerhalb einer Praxis abhängig Beschäftigten sind zu über 60 Prozent weiblich. Erfordernisse. Doch ob eine Männerquote die Lösung des Problems darstellen könnte, ist sehr fraglich. Für männliche Abiturienten hat das Berufsziel „Zahnarzt“ offenbar an Attraktivität verloren. Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Sicherlich spielt mit, dass die finanziellen Bedingungen sich verschlechtert haben, während Risiko und Arbeitsbelastung gestiegen sind, nicht zuletzt durch wachsenden Verwaltungsaufwand. Zudem hat das Ansehen des Berufes in der Öffentlichkeit einige Schrammen davongetragen – alles Dinge, die Frauen offenbar bereit sind, in Kauf zu nehmen, wenn sie dennoch ihre Lebensentwürfe umsetzen können. Dies funktioniert aber nur mit Strukturen, die vor allem familienfreundlich sind oder im weiteren Sinne eine ausgeglichene Work- Life-Balance ermöglichen. Eigentlich dürfte die Umstrukturierung der zahnärztlichen Arbeitswelt nicht nur den jungen Zahnärztinnen entgegenkommen, sondern auch ihren gleichaltrigen Kollegen. Denn die Suche nach sinnvollen Aufgaben ist in der „Generation Y“ verbreitet, wie einige Soziologen meinen. Diese zwischen 1980 und 1995 Geborenen seien zwar ausgesprochen leistungsorientiert und an lebenslanges Lernen wie auch an den Umgang mit modernen Medien gewöhnt. Aber ihnen sei ein hohes Einkommen weniger wichtig als Wir- Werte wie Familie, Partnerschaft und Freunde. Die Ausgewogenheit von Berufs- und Familienleben, die sich beispielsweise durch Elternzeit und flexible Arbeitszeiten realisieren lässt, hat einen hohen Stellenwert. Lebensphasen. Die Work-Life- Balance lässt sich jedoch nicht an bestimmten Strukturen festmachen, da Anforderungen und Wünsche unterschiedlich sind und sich im Laufe der Zeit verändern. Während des Studiums ist intensive Arbeit gefordert. Dann aber folgt in der Regel die Phase der Familiengründung, und gerade Berufstätige mit Kindern müssen hier die Arbeitszeit zugunsten des „Life“-Anteils zurückschrauben. Ab etwa 40 Jahren kann die Arbeitszeit häufig wieder zunehmen: Die Zahnärztin ist noch voll leistungsfähig, muss aber auch schon langsam ans Alter denken und die Altersversorgung aufbauen. Und etwa ab 60 möchte man noch etwas mehr vom Leben haben und fährt die Arbeitszeit wieder zurück. Eigentlich kommt der Zahnarztberuf solchen Wünschen durchaus entgegen, freilich nur schwer in einer Einzelpraxis. Aber die Liberalisierung hat schon vor einigen Jahren Freiräume geschaffen. Längst ist die Einzelpraxis nicht mehr Maß aller Dinge. Flexibel ausgestaltete Anstellungsverträge sowie Gemeinschaftspraxen, Medizinische Versorgungszentren (etwa in Form einer GmbH) oder Tageskliniken bieten neue Möglichkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren. Angepasste Arbeitszeiten, Teil- und Elternzeit oder auch die Rückkehr in den Beruf nach längerer Pause sind hier viel leichter möglich als in einer Einzelpraxis. Dennoch sollte die Niederlassungsbereitschaft junger Zahnärztinnen in eigener Praxis, wie die Beratung in den Körperschaften zeigt, grundsätzlich nicht unterschätzt werden. » schildhauer@meduco.de www.zahnaerzteblatt.de ZBW 3/2016
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